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4. Politologische und soziologische Befunde zur Wirkungsanalyse

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2. Ein entscheidendes Gr<strong>und</strong>problem bei Silbermann ist die Tatsache, daß er - wie Soziologie generell - bei dem nur<br />

individuell zu konstatierenden "Erlebnis" stehen bleiben muß, das er benötigt, um in der Aggregation seinen meßbaren „fait<br />

social" zu haben, das - auch aufgr<strong>und</strong> der Nicht-Zuständigkeit der Soziologie in dieser Frage - letztlich nur als <strong>und</strong>efinierte<br />

Black-Box fungiert, die daher nach Belieben gefüllt werden kann. Dies ist nun auch hinreichend geschehen, so daß in der<br />

ohnehin schillernden Terminologie, in der über Kunst einzelwissenschaftlich oder philosophisch verhandelt wird, "Erlebnis"<br />

ein besonders schillernder Begriff wird <strong>und</strong> daher als zentrale Gr<strong>und</strong>kategorie einer rationalen empirischen Soziologie<br />

locker auch noch die leichtesten Strenge-Anforderungen an Kategorien unterläuft.<br />

3. Es gibt also gesellschaftliche Wirkungen, die sich jedoch den quantifizierenden Methoden entziehen. Dies muß den<br />

Alltagsverstand (<strong>und</strong> das Wissenschaftsdenken schon gar nicht) nicht beunruhigen, da auch (als Beispiele) eine "exakte<br />

Definition" von groß oder klein beziehungsweise warm oder kalt nicht möglich ist, diese Begriffe aber deshalb nicht aus der<br />

Kommunikation verbannt werden.<br />

<strong>4.</strong> Das Ende (<strong>und</strong> tragischerweise auch der Anfang) von Soziologie findet also - zumindest in der hier referierten<br />

Kunstsoziologie - bei dem einzelnen Individuum statt. Daraus folgt konsequent, daß auch Pädagogik <strong>und</strong> Psychologie als<br />

hierfür zuständige Disziplinen legitimerweise auf den Wirkungs- <strong>und</strong> Funktionskomplex von Kunst befragt werden müssen.<br />

5. Die letztliche Hinwendung <strong>zur</strong> Lesekultur <strong>und</strong> deren Einbettung in die Gesamtheit der sozialen Prozesse führt zwanglos zu<br />

der Frage nach der sozialstrukturellen Rolle von Kunst, führt also zu den Untersuchungen von P. Bourdieu <strong>und</strong> von G.<br />

Schulze, an die wiederum folgerichtig Überlegungen <strong>zur</strong> möglichen politischen Einflußnahme - etwa durch Kulturpolitik -<br />

angeschlossen werden können. In einer aktuellen Untersuchung von A. Göschel u.a. (1994) werden daher<br />

kunsttheoretische Fragen des letzten Abschnittes, das empirische Anliegen von Silbermann <strong>und</strong> kultur<strong>soziologische</strong><br />

Analysen von Bourdieu <strong>und</strong> Schulze zusammengeführt.<br />

Kulturbegriffe in Kultursoziologie, Kulturgeschichte <strong>und</strong> Kulturpolitik<br />

Um den Einfluß von Kunst - beziehungsweise die Ansichten über diesen Einfluß - auf die Gesellschaft oder auf gesellschaftliche<br />

Teilbereiche weiter diskutieren zu können, müssen wir uns der Aufgabe unterziehen, neben einem Kunstbegriff nun auch den<br />

Kulturbegriff einzubeziehen. Da "Kultur" - vielleicht noch neben "Bildung" - zumindest in der deutschen Tradition zu den meist<br />

beschriebenen <strong>und</strong> behandelten Konzepten <strong>und</strong> Begriffen gehört (vgl. Bollenbeck 1994), kann dies natürlich nur äußerst<br />

kursorisch geschehen.<br />

Slogans der kulturpolitischen Diskussion der siebziger Jahre bezogen sich auf einen "engen" <strong>und</strong> einen "weiten Kulturbegriff":<br />

Kultur als Kunst auf der einen Seite, Kultur als Art <strong>und</strong> Weise, wie der Mensch lebt <strong>und</strong> arbeitet, auf der anderen Seite.<br />

Interessant, daß bei Hofmann <strong>und</strong> anderen der Allgemeinheitsanspruch unter deutlicher Berufung auf das Sozialstaatsgebot<br />

(Art. 20 GG) des Gr<strong>und</strong>gesetzes erfolgte, ein Hinweis, der neuerdings insbesondere in den kultur-(politik-)<strong>soziologische</strong>n<br />

Untersuchungen von A. Göschel (z.B. 1994 a <strong>und</strong> b) hervorgehoben <strong>und</strong> gewürdigt wurde, gerade in der Beziehung von<br />

Sozialstaatsgebot zu den Topoi "Kulturstaat" <strong>und</strong> "Kulturgesellschaft". Interessant auch, daß diese Bewegung international war:<br />

Bewegung der animation socio-culturelle in Frankreich oder "culture and welfarestate" in Großbritannien (vgl. Bennett 1994).<br />

Dies allerdings war kein Zufall, da diese nationalen Diskussionen wesentlich von Diskussionen auf Europa- Ratsebene<br />

beziehungsweise im Rahmen der UNO vorangetrieben wurden (vgl. Deutsche Unesco-Kommission 1983, Kirchgäßner 1979<br />

<strong>und</strong> neuerdings Röbke 1993). Werfen wir - stellvertretend für zahlreiche Dokumente - einen Blick in die Diskussion des<br />

Kulturbegriffs der Weltkonferenz über Kulturpolitik (Mexiko 1982):<br />

„Ohne den Versuch zu unternehmen, den Begriff der Kultur wissenschaftlich oder allzu starr festlegen zu wollen, stimmten die<br />

Delegierten darin überein, daß Kultur jedenfalls nicht in jenem eingeengten Sinne von belles-lettres, schönen Künsten, Literatur<br />

<strong>und</strong> Philosophie zu verstehen sei, sondern als die charakteristische, spezifische Art <strong>und</strong> Weise jedes Individuums <strong>und</strong> jeder<br />

Gemeinschaft zu denken <strong>und</strong> das Leben zu bewerkstelligen. Kultur ist daher sowohl die künstlerische Schöpfung als auch die<br />

Interpretation, Aufführung <strong>und</strong> Verbreitung von Kunstwerken, Körperkultur, Sport, Spielen <strong>und</strong> Freiluftaktivitäten wie auch die Art<br />

<strong>und</strong> Weise, in der eine Gesellschaft <strong>und</strong> deren Glieder ihr Gefühl für Schönheit <strong>und</strong> Harmonie ausdrücken <strong>und</strong> ihre Sicht der<br />

Weit, aber auch die Art <strong>und</strong> Weise ihrer wissenschaftlichen <strong>und</strong> theoretischen Erfahrungen sowie der Kontrolle ihrer natürlichen<br />

Umgebung.“<br />

Sowie:<br />

"Die Konferenz hielt es für eine unbestreitbare Tatsache, daß die Kultur in jeder menschlichen Gemeinschaft ihren Ausdruck in<br />

der grenzenlosen Vielfalt von Aktionen <strong>und</strong> Interaktionen findet, mittels derer die Menschen ihrem Leben Bedeutung geben <strong>und</strong><br />

ihren Platz in der Geschichte einnehmen.“ (Deutsche Unesco-Kommission 1983, S. 19 f.)<br />

Daran knüpft sie das folgende Konzept von Kulturpolitik an:<br />

"Unter Kulturpolitik sei die Art <strong>und</strong> Weise zu verstehen, in der der schöpferische Elan jedes Mitglieds der Gesellschaft oder der<br />

Gesellschaft selbst durch die Gesamtsumme praktischer Maßnahmen, organisatorischer Bestrebungen sowie die wirtschaftliche<br />

<strong>und</strong> soziale Entwicklung anerkannt <strong>und</strong> ermutigt werde. Kulturpolitik sei folglich die Sache aller, jedes einzelnen <strong>und</strong> jedes<br />

Landes, <strong>und</strong> umfasse auf diese Weise sämtliche Aspekte des nationalen Lebens.“<br />

Eine weitere zentrale Leitlinie - <strong>und</strong> damit eine weitere erwünschte WIRKUNG war die Beziehung der so verstandenen Kultur<br />

<strong>und</strong> Kulturpolitik <strong>zur</strong> Entwicklung:<br />

„Ein globales Herangehen an Entwicklung<br />

Das sich immer steigernde Tempo der wirtschaftlichen, wissenschaftlichen <strong>und</strong> technischen Entwicklung nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg erweckte große Hoffnungen. Die Umstände machten es erforderlich, daß Wiederaufbau <strong>und</strong> Befriedigung der<br />

Gr<strong>und</strong>bedürfnisse die wichtigsten Aufgaben waren; <strong>und</strong> unter solchen Bedingungen war es möglich, daß eine Entwicklung<br />

ausschließlich auf der Gr<strong>und</strong>lage des materiellen Wachstum <strong>und</strong> der Verbesserung der Lebensbedingungen als Schlüssel für<br />

den Fortschritt angesehen werden konnte.

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