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4. Politologische und soziologische Befunde zur Wirkungsanalyse

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charakteristisch für die Moderne, zum Problem, weil die Antworten der Religion, der Tradition (Lebenssicherung <strong>und</strong><br />

Pflichterfüllung) <strong>und</strong> der politisch-sozialen Zukunftsentwürfe nicht genügen: die Frage wird dringlich, die Antworten werden<br />

relativ. Kurz, die Dissonanz zwischen empfindsamem <strong>und</strong> reflektierendem Ich <strong>und</strong> seinen Ansprüchen einerseits, der<br />

gesellschaftlichen Wirklichkeit andererseits wie die Identitäts- <strong>und</strong> Sinnprobleme dieses Ich selbst werden eine typisch moderne<br />

Erfahrung, die sich gerade in der Literatur ausspricht, sie ist nicht auf Deutschland beschränkt, denn sie ist europäisch, man<br />

kann sie nicht auf den bösen Kapitalismus <strong>zur</strong>ückführen, denn sie tritt lange vor diesem auf.<br />

Daß diese Erfahrung zu einem Gr<strong>und</strong>problem der Literatur wird, hängt damit zusammen, daß die Kunst in diesem Weitzustand<br />

problematisch wird. Die Wissenschaft beansprucht, die moderne gesellschaftliche Wirklichkeit zu erkennen, die Politik <strong>und</strong> die<br />

Ökonomie <strong>und</strong> Technik, sie zu gestalten. Vor solch konkurrierenden "Wahrheitsansprüchen“ wird Sache der Kunst eben das<br />

Individuelle <strong>und</strong> Private, <strong>und</strong> auch da können Wahrheitsanspruch <strong>und</strong> ästhetische Forderung auseinandertreten.<br />

Von daher läßt sich ein Stück des frappierenden Widerspruchs verstehen, der zwischen den literarisch laut werdenden<br />

Existenzerfahrungen <strong>und</strong> denen der Wissenschaft <strong>und</strong> der Politik wie des Alltags besteht, die doch vom Glauben an<br />

nachidealistische Humanität, an Fortschritt, Nation <strong>und</strong> Verfassung, Arbeit <strong>und</strong> Familie, kurz: an die Götter der Zeit geleitet<br />

sind'. (Nipperdey 1983, S. 574 f.). Es scheint, daß inzwischen auch diese von dem Leiden an der Moderne erfaßt worden sind.<br />

Kunst <strong>und</strong> die Kultur(waren)industrie<br />

Zwei (gesellschaftskritische) Diskussionsansätze diskutieren W. Grasskamp (am Beispiel der bildenden Kunst) <strong>und</strong> Lutz<br />

Winckler (am Beispiel der Literatur). Grasskamp (1989, S. 137 ff). zeigt, wie in der jungen B<strong>und</strong>esrepublik gerade die auch<br />

international überraschend gute Förderung moderner Kunst <strong>und</strong> speziell der Avantgarde auch auf das schlechte Gewissen<br />

wegen der Nazi-Verfolgung ("entartete Kunst") <strong>zur</strong>ückzuführen war <strong>und</strong> der Außendarstellung <strong>und</strong> Imagebildung des Landes<br />

diente, wenn etwa der im Inland äußerst umstrittene Joseph Beuys als offizieller Repräsentant der B<strong>und</strong>esrepublik bei<br />

internationalen Ausstellungen auftrat <strong>und</strong> dort als Beleg für Liberalität <strong>und</strong> Toleranz der neuen Republik wahrgenommen wurde.<br />

Eine Kulturpolitik der Förderung moderner Kunst diente also einem politischen Modernitätsnachweis zu einer Zeit, als die<br />

Republik diesen in anderen gesellschaftlichen Bereichen (etwa der Bildungspolitik) noch schuldig blieb. Die documenta 1955<br />

interpretiert Grasskamp daher konsequent als internationalen Beweis dafür, daß der von den Nazis verursachte strukturelle<br />

Rückstand inzwischen nachgeholt wurde.<br />

In traditionell kritisch-theoretischer Weise diskutiert Winckler (1973, v.a. S. 116 f.) Wirkungen <strong>und</strong> Funktionen der<br />

Kulturindustrie:<br />

1 . Kulturwarenproduktion dient unmittelbar der Verwertung des in diesem Bereich angelegten Kapitals.<br />

2. Verbesserung der Verwertungsbedingungen des Kapitals durch R<strong>und</strong>funk <strong>und</strong> Fernsehen.<br />

3. Leistungssteigerung <strong>und</strong> Desintegration in Betrieben durch offizielle Betriebszeitungen, Design am Arbeitsplatz <strong>und</strong> an<br />

Arbeitskleidung.<br />

<strong>4.</strong> Kulturwarenproduktion in Form von Reklame <strong>und</strong> ästhetisch vermittelten Werbetechniken dient der Beschleunigung von<br />

Zirkulationszeit.<br />

5. TV-Medien (Quiz etc.) erhöhen das verwertbare Wissen.<br />

6. Dabei entsteht ein Widerspruch zwischen der Weckung von Konsumbedarf <strong>und</strong> der Begrenztheit der Mittel.<br />

Auf ähnlicher theoretischer Gr<strong>und</strong>lage diskutieren Silke Wenk die Rolle von "Kunst im Betrieb“ <strong>und</strong> Peter Ulrich Hein (1982) die<br />

Rolle des "Künstlers als Sozialtherapeut", als Träger vor "Kunst als ideeller Dienstleistung in der entwickelten<br />

Industriegesellschaft" (so der Untertitel) die Kunst in ihrer Funktion <strong>zur</strong> Erhaltung der Loyalität <strong>und</strong>/oder der (sozialpolitischen<br />

Aufgabe der) Erhaltung des gesellschaftlichen Friedens betrachten. Diese Wirkungen ergeben sind dabei alleine aus der Art der<br />

gesellschaftlichen Organisation der Veranstaltung Kunst <strong>und</strong> der Art der Förderung ihrer Träger, der Künstler zum Teil in<br />

diametralem Gegensatz zu dem Bewußtsein der Künstler, die sich mehrheitlich gegen eine derartige soziale Indienstnahme <strong>und</strong><br />

Funktionalisierung wehren, wie entsprechende Befragungen zeigen (z.B. Künstler-Enquete; vgl. Fohrbeck/Wiesand 1975).<br />

Im Hinblick auf unsere Fragestellung liefert uns diese Diskussion die Sensibilisierung darauf, daß subjektive Absichten von<br />

objektiven, sich unter Umständen hinter dem Rücken der Beteiligten einstellende Wirkungen unterschieden werden müssen.<br />

Dieser sich aus dem Warencharakter von Kunst ergebende Mechanismus - bleibt man einmal in dieser<br />

gesellschaftstheoretischen Logik - ist nun einerseits total, weil eben die Warenförmigkeit in der Gesellschaft total ist. Er bedeutet<br />

jedoch keineswegs Ausweglosigkeit, da es - ebenfalls der gesellschaftlichen Ordnung immanent - keine Einheitlichkeit <strong>und</strong><br />

Einförmigkeit von Funktionen gibt. So zeigt etwa Heydorn in Bezug auf das in Grenzen mit dem Kunstbetrieb vergleichbare<br />

Bildungswesen den "Widerspruch zwischen Bildung <strong>und</strong> Herrschaft", der darin besteht, daß <strong>zur</strong> Aufrechterhaltung des Betriebes<br />

intellektuelle Leistungen benötigt werden, die aus politisch-ideologischen Gründen der Herrschaftssicherung unerwünscht sind.<br />

Trotz dieses Hoffnungsschimmers bleibt jedoch die Warenförmigkeit der Kunst dieser nicht bloß äußerlich wie insbesondere H.<br />

H. Holz (1972) gezeigt hat (vgl. auch Grasskamp 1989 <strong>und</strong> 1992 oder Weber 1981).<br />

Nicht die Wirkung von <strong>und</strong> auf Kunst im engeren Sinne, sondern die Wirkung von <strong>und</strong> auf Ästhetik in der doppelten Bedeutung<br />

des schönen Scheins der (Waren)-Welt <strong>und</strong> des Zustandes der von dieser anvisierten Sinnlichkeit diskutiert die Konzeption der<br />

Warenästhetik von W.F. Haug, wobei die im Nachwort <strong>zur</strong> achten Auflage formulierte Selbstkritik gegen einen zu starken<br />

ökonomischen Determinismus der ersten Fassungen den "Alptraum einer fatalen, nur noch warentausch-logisch bewirkten<br />

Handlungsunfähigkeit nimmt" (Haug 1983, S. 185 ff.). Haug hat konsequent seine anfangs ökonomisch geprägten<br />

Untersuchungen fortgeführt mit den - die relative Autonomie des Überbaus respektierenden - Untersuchungen <strong>zur</strong><br />

(gesellschaftlichen) Ideologie <strong>und</strong> diese für einzelne historische Etappen (Faschismus) konkretisiert. Dies ist insofern relevant<br />

auch für die Frage der Wirkungen, als hier die in bürgerlichen Gesellschaften ohnehin vorhandene (warenförmig organisierte)<br />

Bewußtseinsindustrie noch zusätzlich mit Staatsorganen verwoben, wenn nicht gar selbst Staatsorgan ist, so daß die<br />

Voraussetzungen für eine Beeinflussung der "gesellschaftlichen Psychologie" günstig wären. Ohne die Wirkungsmächtigkeit<br />

gerade der ästhetisch inszenierten Öffentlichkeit (L. Rieffenstahl; auch Reden von J. Göbbels; A. Breker) geringschätzen zu<br />

wollen, muß jedoch auch hier festgestellt werden, daß der von Haug erwähnte "Alptraum" einer ökonomisch, politisch <strong>und</strong><br />

organisatorisch gleichgeschalteten Beeinflussungsindustrie nicht funktioniert (vgl. die Texte des Projektes Ideologie-Theorie,<br />

v.a. Haug 1979). Diese <strong>Wirkungsanalyse</strong>n gehen über - wie auch an anderen Stellen der Untersuchung ästhetischer Wirkungen

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