Das Grundeinkommen - Werner Friedl
Das Grundeinkommen - Werner Friedl
Das Grundeinkommen - Werner Friedl
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Zurück an Arnes Schreibtisch, setzte ich mich wieder auf seinen alten abgewetzten ledernen Drehstuhl,<br />
ohne für den Augenblick eine bestimmte Aufgabe in Angriff zu nehmen. Unsere letzten Gespräche gingen<br />
mir wieder durch den Kopf, ich dachte an sein unerschütterliches Vertrauen in seine übersinnlichen<br />
Fähigkeiten, an seine Zuversicht, die er in Bezug auf diesen rätselhaften Lottogewinn hegte. Je mehr ich<br />
darüber nachsann, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, dass er doch in allem recht gehabt haben<br />
musste. Er war sich seiner Sache hundertprozentig sicher gewesen, es gab nicht die geringste Unschärfe in<br />
seinen Vorhersagen. Und es war tatsächlich alles so eingetroffen, wie er es angekündigt hatte. Bis auf das<br />
Detail mit der sechsten Zahl, die nur als Zusatzzahl anstatt als reguläre Zahl gezogen worden war. Wie<br />
Arne, so schien auch mir jetzt dieser Umstand kaum erklärbar. Wenn die Wirklichkeit in allen Einzelheiten<br />
so perfekt mit den Ergebnissen von Arnes Verhandlungen übereinstimmte, warum dann nicht auch in<br />
diesem letzten Detail? Er hatte mit tiefster Überzeugung mit einem Betrag gerechnet, der ihm bis an sein<br />
Lebensende mit einer Summe versorgen würde, die er selber in diesen Verhandlungen festgelegt hatte:<br />
1.500 Euro Monat für Monat.<br />
Bis an sein Lebensende. Und auf einmal begann ich zu ahnen, was passiert war. Man hatte ihm seine<br />
monatlichen 1.500 Euro zugebilligt! Ich zog meinen Kalender hervor. Arnes Lottogewinn hatte am 1.<br />
August stattgefunden, sein Todestag war der 26. September. 56 Tage waren ihm nach seinem<br />
Geldgeschenk, das er seinen jenseitigen Beziehungen verdankte, geblieben. <strong>Das</strong> war’s doch! Ich suchte<br />
nach einem Taschenrechner, fand aber in Arnes ausgeräumtem Schreibtisch keinen mehr. Ein Blatt Papier<br />
und ein Stift mussten reichen. Wie rechneten die Finanzleute, wenn sie die Monate mit ihren<br />
unterschiedlichen Tagen in ein einheitliches Berechnungssystem einbinden wollten? Da bekam jeder<br />
Monat einfach dreißig Tage zugewiesen, das Jahr dreihundertsechzig. 1.500 Euro geteilt durch dreißig war<br />
finanztechnisch gesehen Arnes von den Engeln erbetenes durchschnittliches Einkommen eines jeden<br />
Tages. Genau fünfzig Euro. 56 Tage entsprachen demnach 2.800 Euro. <strong>Das</strong> war über den Daumen gepeilt<br />
die Summe, die ich als seinen Überschuss errechnet hatte, nach Bezahlung aller seiner Schulden.<br />
Mein Gott! Arnes Tage waren bereits gezählt gewesen, als ihn sein Gewinn erreichte. Es war unglaublich!<br />
Man hatte ihm sein Einkommen zugebilligt, war also offenbar mit seiner Idee grundsätzlich einverstanden<br />
gewesen, hatte ihm aber zugleich seine Lebenszeit auf weniger als zwei Monate zusammengestrichen.<br />
Aber warum? Und hatte das eine mit dem anderen überhaupt etwas zu tun? Ich versank tief in Arnes<br />
Schreibsessel und brütete. Dann fing ich noch einmal zu rechnen an. Ganz genau stimmte die Sache nicht,<br />
das störte mich. Wieso passten diese Summen jetzt nur so ungefähr zueinander, wo doch alles andere von<br />
einer unheimlichen Präzision zu sein schien. Ich holte die Kontoauszüge wieder hervor und überprüfte sie<br />
erneut. Sein Gewinnüberschuss in Höhe von knapp 3.100 Euro hätte bei einem Tagessatz von 50 Euro<br />
für rund 62 Tage reichen müssen. Warum hatte Arne 6 Tage früher sterben müssen? Meine Überlegung,<br />
dass er eigentlich erst am 2. Oktober hätte ums Leben kommen müssen, damit diese abstruse Rechnung<br />
aufging, hatte etwas Makaberes und daher verdrängte ich diesen Gedanken gleich wieder.<br />
Da ich nicht weiterkam, räumte ich schließlich meine Sachen zusammen, hinterließ ein paar Zeilen auf<br />
dem Schreibtisch für Arnes Cousin, der am nächsten Tag den Rest der Möbel abholen wollte, und ging<br />
nach Hause. Wahrscheinlich war meine ganze Rechnerei kompletter Blödsinn. Es gab weder Arnes<br />
Verhandlungen mit irgendwelchen jenseitigen Mächten noch hingen die Zeitpunkte des Lottogewinns und<br />
seines Todes in irgendeiner Weise miteinander zusammen. Es war, wie jeder vernünftige Mensch einsehen<br />
musste, nichts als ein Zufall, der Geld und Tod jetzt miteinander zu verknüpfen schien.<br />
*<br />
Als ich am späten Nachmittag in meiner Wohnung ankam, befand sich eine Nachricht auf dem<br />
Anrufbeantworter. Es war die Gendarmerie in Leogang im Salzburgischen, mit der ich bereits nach dem<br />
Auffinden von Arnes Leiche zu tun gehabt hatte. Man bat mich zurückrufen.<br />
Arnes Rucksack war gefunden worden, darin sein Portemonnaie mit ungefähr dreihundert Euro. Da auch<br />
Arnes Personalpapiere sich darin befanden, konnte man den Rucksack dem vor einem Monat unterhalb<br />
des Birnhorns abgestürzten Bergwanderer zuordnen. Man fragte mich, ob ich die Gegenstände in nächster<br />
Zeit abholen könnte. Ich rief Arnes Cousin an. Ihm war es sehr recht, dass ich mich auch um den<br />
Rucksack kümmerte. <strong>Das</strong> Geld aus dem Portemonnaie solle ich für die Reisekosten und sonstigen<br />
Auslagen behalten.<br />
17