Das Grundeinkommen - Werner Friedl
Das Grundeinkommen - Werner Friedl
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wie den klassischen Naturforschern – die unüberwindliche Grenze zwischen Geist und Materie zur<br />
zweiten Natur geworden<br />
Auf der anderen Seite standen für Arne diejenigen, welche die Existenz eines geistig-immateriellen<br />
Bereichs von vornherein in Frage stellten, da ihrer Ansicht nach grundsätzlich und ausnahmslos alles im<br />
Universum aus materieller Grundsubstanz bestehe und man daher jegliches Geistige – falls es nicht<br />
ohnehin nur eine Illusion darstellt – als eine Funktion dieser Materie anzuschauen habe. Epiphänomenologen<br />
nannte Arne die Propagandisten dieser Haltung, die das Bewusstsein nur als von der Materie abgeleitete<br />
Erscheinung gelten lassen wollten, oder, geringschätziger, Vulgärmaterialisten. Am meisten liebte er aber die<br />
Bezeichnung Neurophilosophen, auf die er im Zuge seiner Nachforschungen gestoßen war. „<strong>Das</strong> sagt doch<br />
alles“, meinte Arne.<br />
Nein, Arne wollte sich dieser unheiligen Allianz scheinbar verfeindeter Lager nicht anschließen, deren<br />
Vertreter aller Seiten für ihn blind wie die Maulwürfe waren. Keine dieser Fraktionen sollte ihn daran<br />
hindern, mit seinem Verstand als Laterne jenes Land des Geistes zu betreten, das die einen vor ihm<br />
versperren wollten und die anderen ihm gar stumpf verleugneten, und welches doch so verheißungsvoll<br />
und klar vor ihm lag. Gleichzeitig war er sich der Gefahr bewusst, unversehens in eine der zahlreichen<br />
Fallgruben billiger Esoterik, wie sie spätestens seit den siebziger Jahren allenthalben auf dem Markt war,<br />
zu stolpern. Er wandte sich, um eine hochwertige Grundlage für seine denkerischen Entdeckungsreisen zu<br />
schaffen, daher zunächst nah- und fernöstlichen spirituellen Weisheitslehren zu, denen er allein durch ihr<br />
Jahrhunderte und Jahrtausende währendes Bestehen eine gewisse Solidität zuerkannte. Er studierte Zen-<br />
Buddhismus, arbeitete sich durch die Bhagavad Gita und las Dschalal ad-Din Rumi. Geduldig erlernte er<br />
Meditationstechniken, die es ihm erlaubten, störende Einflüsse aus der Umgebung, aber auch solche, die<br />
aus seiner eigenen körperlichen wie geistigen Lebendigkeit hereinzuwirken drohten, auszuschalten und<br />
sich ganz auf Offenbarungen nichtmaterieller Art zu konzentrieren, die ihm von seinen Studienobjekten in<br />
Natur und Geisteswelt entgegentraten. Er lernte dabei, wie er es für du Bois-Reymond gefordert hatte,<br />
sein eigenes Denken wie eine Art Rohmaterial zu benutzen, um daraus Werkzeuge und Organe zu<br />
schaffen, mit denen er forscherisch in das Land des Geistes vordringen konnte. Ihm eröffneten sich auf<br />
diesem Wege phantastische Einblicke: <strong>Das</strong> Leben der Tiere und der Pflanzen enträtselte sich ihm auf<br />
einzigartige Weise, er erlebte die ubiquitäre Gegenwart geistiger Wesen und tauchte in ungeahnte Gründe<br />
seiner eigenen geistig-seelischen Existenz ein. Er betrat diese Welten aber nicht wie ein frommer<br />
Glaubender, der in stummer Hingabe geoffenbarte göttliche Weisheiten entgegennimmt, sondern drang<br />
von Anfang an als selbstbewusster Forscher mit kühlem Verstand und wissenschaftlich geschulter<br />
Methodik in jenes Geisterreich vor, das ihm im Lauf der Zeit so vertraut wurde wie einem Chemiker sein<br />
Labor oder einem Medizinprofessor sein anatomisches Kabinett. Es erschloss sich ihm eine für die<br />
gewöhnlichen fünf Sinne nie erreichbare Welt endloser lebendiger Vielfalt, und er lernte, in sie nach<br />
Belieben einzutauchen und sich frei in ihr zu bewegen.<br />
*<br />
Als ich Arne begegnete, war er in seinen Bemühungen um ein wissenschaftliches Verständnis der geistigen<br />
Welt bereits weit fortgeschritten. Da ich zu jener Zeit ähnliche Interessen pflegte, verstanden wir uns auf<br />
Anhieb. Mir wurde allerdings bald klar, dass für mich eine theoretische Annäherung an die übersinnliche<br />
Welt ausreichen musste, hatte ich doch nach verhältnismäßig kurzer Zeit verstanden, dass mir im<br />
Gegensatz zu Arne zur praktischen Ausführung dieser Disziplin wichtige Voraussetzungen fehlten.<br />
Vielleicht war es ja nur die ungenügende Ausdauer, mit der ich die nötigen Übungen verfolgte, vielleicht<br />
war aber auch mein Interesse nicht streng genug auf eben diese ganz besondere Art, Geistiges zu erleben,<br />
gebündelt. Wie dem auch gewesen sein mag, meine Wahrnehmungen blieben meist von flüchtiger,<br />
allgemeiner Art, während sich Arne immer tiefer und weiter reichende Bezirke der nicht sinnlich fassbaren<br />
Welten erschloss. Unserer entstehenden Freundschaft taten die unterschiedlichen Fertigkeiten keinen<br />
Abbruch. Wir verstanden und mochten uns, auch wenn ich Arne auf seinen immer ausgedehnteren<br />
Ausflügen in jenseitige Gebiete bald nicht mehr begleiten konnte und mochte. Ich begnügte mich mit<br />
seinen farbigen und dabei überaus klar strukturieren Berichten.<br />
Arne lebte sehr diszipliniert. Er stand früh auf und begann jeden Tag mit meditativen Übungen von<br />
mindestens einer Stunde – oft waren es auch zwei oder mehr Stunden –, die er stets mit ein- und<br />
derselben Vorbereitung einleitete. Ich kenne sie recht genau, da wir sie oft gemeinsam ausgeführt haben.<br />
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