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Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen Rätsch - AT Verlag

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Der Gebrauch als Schnupfpulver wurde im südlichen<br />

Andenraum erst mals um 1580 in <strong>der</strong> Relación<br />

des Cristobal de Albornoz erwähnt; <strong>der</strong> Gebrauch<br />

als Zusatz zum Maisbier (Chicha) ist 1571<br />

von Polo de Ondegardo beschrieben worden. Die<br />

Matacoindianer sollen noch bis in dieses Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

hinein einen vino de cebil (Cebílwein) gebraut<br />

haben.<br />

Ob die kolonialzeitlichen Angaben über die Verwendung<br />

<strong>der</strong> Villcasamen tatsächlich die Samen<br />

<strong>der</strong> Anadenanthera colubrina bezeichnen, sei dahingestellt.<br />

Immerhin werden heute noch an<strong>der</strong>e<br />

Bäume als vilca bezeichnet (Acacia visco, Aspidosperma<br />

quebracho-blanco).<br />

Verbreitung<br />

Siehe »Formen und Unterarten« (oben). In<br />

Nord westargentinien ziehen sich in <strong>der</strong> Gegend<br />

von Salta ganze Cebílwäl<strong>der</strong> über die Berge und<br />

Hän ge.<br />

Anbau<br />

Die getrockneten Samen können zum Keimen<br />

gebracht und dann einge pflanzt werden. Der<br />

Baum wächst relativ schnell und läßt sich sowohl<br />

in tropischen als auch in subtropischen Klimata<br />

ziehen.<br />

Aussehen<br />

Der nur 3 bis 18 Meter hoch wachsende Baum<br />

hat eine fast schwarze Rin de, die oft mit kegeligen<br />

Stacheln o<strong>der</strong> knotigen Schnüren besetzt ist. Die<br />

Blätter sind fein gefächert und bis zu 30 cm lang.<br />

Die weißgelblichen Blüten sind ballförmig. Die<br />

led rigen, dunkelbraunen Fruchtschoten wer den<br />

bis zu 35 cm lang und enthalten 1 bis 2 cm breite,<br />

sehr flache, rund li che bis rechteckige Samen von<br />

rotbrauner Farbe. Der Baum ist kaum von <strong>der</strong> nah<br />

verwandten Anadenanthera peregrina zu unterscheiden<br />

(von Reis Altschul 1964).<br />

Abends, in <strong>der</strong> Dämmerung, geht <strong>der</strong> Baum<br />

»schlafen«: die gefie<strong>der</strong>ten Blätter falten sich zusammen.<br />

Am nächsten Morgen öffnen sie sich wie<strong>der</strong>.<br />

An den Stengeln <strong>der</strong> Blätter gibt es kleine Drüsen,<br />

die eine süße Flüssigkeit ausscheiden. Bestimmte<br />

Ameisen werden dadurch angezo gen und<br />

trinken den Nektar. Bei dieser Gelegenheit vernichten<br />

die Amei sen an<strong>der</strong>e Schädlinge, die für<br />

den Baum gefährlich werden könn ten.<br />

Der Baum wird oft mit an<strong>der</strong>en Arten aus <strong>der</strong>selben<br />

Familie verwech selt. So wurde <strong>der</strong> in San<br />

Pedro de Atacama (Nordchile) vilca genannte<br />

Baum Acacia visco Lorentz ex Griseb. [syn. Acacia<br />

visite Griseb., A. pla tensis A. Manganaro,<br />

Manganaroa platensis (Mang.) Speg.] schon von<br />

professionellen Botanikern fälschlich als A. colubrina<br />

identifiziert (mündliche Mitteilung von<br />

C.M. Torres).<br />

Die botanische Identifikation ist nicht immer<br />

leicht, da die Art recht va riabel auftritt. So kann die<br />

var. colubrina Samenschoten ausbilden, die genau<br />

denen <strong>der</strong> Gattung Prosopis gleichen (von Reis<br />

Altschul 1964: 11).<br />

Droge<br />

Samen (Semen Anadenanthera colubrina)<br />

Zubereitung und Dosierung<br />

Die reifen Samen werden getrocknet und eventuell<br />

leicht geröstet, sodann möglichst fein zermahlen.<br />

Bereits 150 mg bis 0,5 g des Pulvers sind<br />

bei nasaler Applikation wirksam. 1 g (entspricht<br />

etwa dem Gewicht eines großen Samens) ist eine<br />

starke, vi sionäre Dosis.<br />

Zum Rauchen werden die reifen, getrockneten<br />

Samen leicht geröstet und grob zerstoßen. Etwa 5<br />

bis 8 Samen werden, mit Schnittabak (Nicotiana<br />

tabacum) und eventuell den Blättern von Aromo<br />

[Amaranthus sp.; Acacia caven (Mol.) Molina<br />

o<strong>der</strong> Acacia farnesiana, vgl. Acacia spp.] vermischt,<br />

in eine Zigarette gedreht. Eine halbe Zigarette pro<br />

Person sollte reichen.<br />

Zur oralen Einnahme werden die Samen o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> daraus gepreßte Saft mit Chicha vermischt getrunken.<br />

Zwei bis drei Samen werden mit <strong>der</strong> Wur -<br />

zel von Polypodium sp. in Wasser gekocht und getrunken.<br />

Die gekochten Samen können auch mit<br />

Honig vermischt gegessen werden; ein an<strong>der</strong>es Rezept<br />

nennt sechs zermahlene Samen, die mit etwas<br />

Flüssigkeit einge nommen werden (von Reis Altschul<br />

1972: 38).<br />

Rituelle Verwendung<br />

Die Villca genannten Samen müssen in <strong>der</strong> vorspanischen<br />

Zeit in Peru von größter ritueller und<br />

religiöser Bedeutung gewesen sein, denn die andinen<br />

Priester von hohem Rang sowie bestimmte<br />

Wahrsager (umu) wurden ebenfalls villca o<strong>der</strong><br />

vilca camayo genannt (Cobo 1990: 267*, Salomon<br />

und Urioste 1991: 256*; villac [sic!] bei Arriaga<br />

1992: 31*, von Reis Altschul 1967). Ein indianisches<br />

Heiligtum (huaca) wurde ebenfalls als villca,<br />

vilcacona o<strong>der</strong> vilcabamba, »Ort <strong>der</strong> Villcabäume«<br />

o<strong>der</strong> »Villcawald« bezeichnet, und ein beson<strong>der</strong>s<br />

heiliger Berg hieß Villca Coto. Auf die Spitze dieses<br />

Berges zogen sich die überlebenden Menschen <strong>der</strong><br />

Urzeit bei einer Sintflut zurück (ebd.: 51*). Es gibt<br />

noch zahlreiche weitere Bei spiele dieser Art (vgl.<br />

von Reis Altschul 1972). Außerdem war villca<br />

anscheinend ein Name für Klistiere.<br />

Villca-Samen hatten eine große rituelle Bedeutung<br />

als Bierzusatz für zeremoniell getrunkene<br />

Chicha. Dazu wurde »<strong>der</strong> Saft« von Villca in das<br />

gegorene Getränk geträufelt und vom Wahrsager<br />

(umu) o<strong>der</strong> »Zaube rer« (= Scha mane) getrunken,<br />

um in die Zukunft blicken zu können (Cobo<br />

1990*).<br />

Der rituelle o<strong>der</strong> schamanische Gebrauch von<br />

Schnupfpulvern aus dieser Anadenanthera-Art ist<br />

für folgende Stämme belegt: Quetschua, Piro, Chi-<br />

Anadenanthera colubrina<br />

Von oben nach unten:<br />

Der Cebílbaum (Anadenanthera<br />

colubrina var. cebil) bildet lange<br />

Fruchtschoten aus, die sich im<br />

August öffnen und den Boden mit<br />

Cebílsamen übersäen.<br />

(Fotografiert in den Cebílwäl<strong>der</strong>n<br />

bei Salta, Nordwestargentinien)<br />

Die geöffnete Fruchtschote von<br />

Anadenanthera colubrina var. cebil<br />

mit den bufoteninhaltigen Samen.<br />

Die Samen <strong>der</strong> südbrasilianischen<br />

Anandenanthera colubrina var.<br />

colubrina.<br />

51

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