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Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen Rätsch - AT Verlag

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Vaccinium uliginosum<br />

»Die Trunkelbeere sieht <strong>der</strong> Heidelbeere<br />

sehr ähnlich. Sie gedeiht im<br />

Mittelgebirge und auf Torfheiden.<br />

Sie bewirkt Rauschzustände und<br />

Halluzinationen, ist aber kein BtM<br />

[= Betäubungsmittel].«<br />

Harald Hans Körner<br />

Kommentar zum Betäubungsmittelgesetz<br />

(1994: 1572*)<br />

524<br />

und einen säuerlich-süßen Geschmack. Die Blü te -<br />

zeit liegt im Juni und Juli, die Früchte reifen im<br />

Herbst (August bis Sep tem ber).<br />

Die Pflanze kann, beson<strong>der</strong>s vor <strong>der</strong> Reifezeit,<br />

leicht mit <strong>der</strong> echten Blaubeere (Vaccinium myrtillus<br />

L.) und an<strong>der</strong>en Heidekrautgewächsen (z.B.<br />

Vaccinium vitis-idaea L., Vaccinium oxycoccus L.)<br />

verwechselt wer den.<br />

Droge<br />

– Früchte (Uliginosi fructus, Fructus Uliginosi,<br />

Rauschbeeren, Rauschbeerfrüchte)<br />

– Blätter (Uliginosi folium, Folia uliginosi,<br />

Rauschbeerblätter)<br />

Zubereitung und Dosierung<br />

Es werden die frischen Beeren o<strong>der</strong> <strong>der</strong> aus ihnen<br />

gepreßte Saft eingenom men. Als rauscherzeugende<br />

Dosis wird eine Handvoll <strong>der</strong> Beeren angegeben.<br />

Die Reputation als Rauschmittel hat die<br />

Rauschbeere auch erhalten, weil aus ihr ein Wein<br />

bereitet wird:<br />

»In Norwegen läßt man den Saft <strong>der</strong> Früchte von<br />

Vaccinium uliginosum L., <strong>der</strong> Moorheidelbeere, mit<br />

etwas Zucker, den man übrigens auch sonst bei <strong>der</strong><br />

Herstellung von Beerenwein gern zusetzt, zu einem<br />

Wein ver gä ren.« (Hartwich 1911: 761*)<br />

Der aus den frischen Rauschbeeren gepreßte<br />

Saft wurde in Sibirien, mit getrockneten Fliegenpilzen<br />

(Amanita muscaria) vermischt, ge trun ken<br />

(Lewin 1980: 168*, Schultes 1969: 246*). Das<br />

Gemisch wurde eventuell auch mit Wasser und<br />

Hefe zu einer Art Bier vergoren. Möglicherweise<br />

dienten die Beeren auch als zusätzlich berauschendes<br />

Additiv zum germanischen Met und Bier.<br />

Die Beeren können durch Trocknen haltbar gemacht<br />

werden. Dazu werden sie zur Reifezeit gesammelt<br />

und an <strong>der</strong> Sonne o<strong>der</strong> an einem war men<br />

Ort bzw. unter Wärmezufuhr getrocknet.<br />

Die getrockneten Blätter können geraucht (vgl.<br />

Rauschmi schun gen, Kinnickinnick) o<strong>der</strong> als Tee,<br />

sog. Batumtee, aufgebrüht werden (Lewin 1980:<br />

352*).<br />

Rituelle Verwendung<br />

Der aus <strong>der</strong> Rauschbeere gekelterte Wein wurde<br />

wahrscheinlich in alt germanischer Zeit bei bestimmten<br />

Trinkritualen eingenommen. Denn er<br />

dien te in <strong>der</strong> frühchristlichen Zeit als Meßwein. Da<br />

die katholische Kirche zur Durchsetzung ihrer<br />

Machtposition immer traditionell heidnische Ge -<br />

bräuche in die lokale Liturgie integrierte, liegt die<br />

Vermutung nahe, daß <strong>der</strong> Rauschbeerenwein<br />

früher ein Trankopfer für die germanischen Götter<br />

war, z.B. für Odin/Wotan, <strong>der</strong> laut Edda unter den<br />

Göttern <strong>der</strong> »Weintrin ker« ist (vgl. Met).<br />

Zum schamanischen Gebrauch <strong>der</strong> Rauschbeere<br />

in Sibirien siehe Ama ni ta mus caria.<br />

Artefakte<br />

Vielleicht sind einige Skaldengesänge und Stab -<br />

reime vom Rausch beerenwein inspiriert worden<br />

(vgl. Met).<br />

Medizinische Anwendung<br />

Volksmedizinisch wurden die Rauschbeerenblätter<br />

genau wie Heidel beer- o<strong>der</strong> Bärentraubenblätter<br />

(Arctostaphylos uva-ursi, vgl. Kin nick in -<br />

nick) benutzt. Ein Tee (Kaltwasserauszug) von<br />

Rauschbeerenblättern und/o<strong>der</strong> -früchten wird bei<br />

Durchfall und Blasenleiden ge trunken (Pahlow<br />

1993: 245f.*).<br />

Inhaltsstoffe<br />

Die ganze Pflanze enthält Flavanole, flavonoide<br />

Verbindungen, Gerb stof fe, Vitamine (beson<strong>der</strong>s<br />

C), Mineralstoffe, ein Glykosid und Arbutinde -<br />

rivate (Pahlow 1993: 254*).<br />

Die berauschenden Wirkstoffe <strong>der</strong> Beeren sind<br />

wahrscheinlich die Stoff wechselprodukte o<strong>der</strong> Inhaltsstoffe<br />

eines schmarotzenden Pilzes (Sclerotina<br />

megalospora Wot.), <strong>der</strong> oft die Früchte befällt<br />

(Frohne und Pfän<strong>der</strong> 1983: 111*). Der Wirkstoff<br />

konnte bisher aber we<strong>der</strong> isoliert noch identifiziert<br />

werden (Roth et al. 1994: 718*). Da es vermutlich<br />

das Stoffwechselprodukt eines Pilzes ist, könnte es<br />

sich um Mutterkorn alkaloide handeln.<br />

Die Blätter enthalten Hyperosid, Ursolsäure, α-<br />

Amyrin, Friedelin, Ole anolsäure, (+)-Catechin<br />

und organische Säuren (Roth et al. 1994: 718*).<br />

Das in den Blättern vorhandene Quercetin<strong>der</strong>ivat<br />

Quercetin-3-glucuro nid (Gerhardt et al. 1989)<br />

könnte ein narkotischer Wirkstoff sein (vgl. Psidium<br />

guajava).<br />

Wirkung<br />

Nach dem Verzehr <strong>der</strong> Früchte kommt es zu<br />

rauschartiger Erregung, Pupillenerweiterung,<br />

Schwindelgefühl, aber auch Erbrechen und Be -<br />

nommenheit wurden berichtet (Frohne und<br />

Pfän<strong>der</strong> 1983: 111*, Roth et al. 1994: 719*, Zipf<br />

1944). Manchmal wird als einzige Wirkung »Übelkeit«<br />

genannt (Root 1996: 32f.*).<br />

Marktformen und Vorschriften<br />

Keine<br />

Literatur<br />

Gerhardt, G., V. Sinnwell und Lj. Kraus<br />

1989 »Isolierung von Quercetin-3-glucuronid aus<br />

Heidelbeer- und Rauschbeerblättern durch DCCC«,<br />

Planta medica 55: 200ff.<br />

Moeck, Sabine<br />

1994 »Vaccinium«, in: Hagers Handbuch <strong>der</strong> pharmazeutischen<br />

Praxis (5. Aufl.), Bd. 6: 1051–1067, Berlin:<br />

Springer.<br />

Zipf, K.<br />

1944 »Vergiftungen durch Rauschbeeren: Sammlung<br />

von Vergiftungsfällen«, Archiv für Toxikologie 13:<br />

139–140.

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