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Schwerpunkt<br />
Lernen für eine bessere Zukunft<br />
Nia Nöthling unterrichtet an einer Schule in der chinesischen Provinz Gansu<br />
Fotos: E. v. d. Heyde (1), N. Nöthling (1), U. Plautz (1)<br />
Es ist halb acht morgens, <strong>die</strong> Sonne<br />
steigt feuerrot über dem Schultor<br />
in den Himmel auf. Die Luft ist klar<br />
und kalt und strömt in Wellen ins<br />
Klassenzimmer. Wie in jeder Stunde<br />
strahlen mich fünfzig aufgeregte<br />
Gesichter an. Die Ausländerin unterrichtet<br />
ganz anders, es gibt Spiele, bei<br />
denen man etwas lernt und manchmal<br />
macht der Unterricht richtig Spaß.<br />
Diese zwölf und 13-Jährigen haben<br />
jetzt seit acht Jahren nach dem Prinzip<br />
gelebt, dass Bildung oder Lernen das<br />
höchste Ideal und Spaß daran nur<br />
zweitrangig ist. Für Konfuzius ist der<br />
Edle, der perfekte Mensch, derjenige,<br />
der in sich <strong>die</strong> vier Tugenden Mitmenschlichkeit,<br />
Gerechtigkeit, kindliche<br />
Pietät und Riten vereinigt. Doch<br />
auch Konfuzius war sich bewusst, dass<br />
solch ein perfekter Mensch ein abstraktes<br />
Ideal ist. Praktikabel und realistisch<br />
war für ihn nur das dauerhafte<br />
Streben nach <strong>die</strong>sem Ideal. Strebsamkeit<br />
ist somit der Maßstab für den perfekten<br />
Menschen. Nach <strong>die</strong>sem Prinzip<br />
lehrt und lernt China. Praktisch<br />
bedeutet es, dass Schüler morgens<br />
zwischen fünf und sechs aufstehen<br />
und bereits eine halbe Stunde vor<br />
Unterrichtsbeginn in der Schule eintreffen,<br />
um einen guten Eindruck zu<br />
machen und um selbstständig den<br />
Stoff der Vortage zu wiederholen. Bis<br />
auf Essenpausen und eine Freistunde<br />
einmal in der Woche sind <strong>die</strong> Schüler<br />
dann bis abends um zehn Uhr dreißig<br />
in der Schule. Diese Routine wird alle<br />
drei bis vier Monate von Tests unterbrochen,<br />
in denen jeglicher Stoff abgefragt<br />
wird. Daraufhin wird eine Rangliste<br />
erstellt und <strong>die</strong> Ergebnisse bestimmen<br />
am Ende der 9. und 13. Klasse,<br />
wer auf <strong>die</strong> weiterführende Schule<br />
gehen, beziehungsweise wer auf <strong>die</strong><br />
Universität und vor allem auf welche<br />
Universität darf. Nur <strong>die</strong> Besten dürfen<br />
auch an <strong>die</strong> besten Unis. Weiterhin<br />
bedeutend für <strong>die</strong> Bildung und gleichzeitig<br />
ein großer Teil der Motivation<br />
der Kinder ist, was schon zu Konfuzius<br />
Zeiten galt: „Im Altertum lernte<br />
man, um sich selbst zu vervollkommnen;<br />
heute dagegen lernt man, um<br />
anderen gegenüber etwas zu gelten.“<br />
Gansu, <strong>die</strong> Provinz in der ich unterrichte,<br />
ist eine der ärmsten der Republik.<br />
In der Wüstenregion bietet <strong>die</strong><br />
Landwirtschaft nur karge Erträge.<br />
Wollen <strong>die</strong> Kinder stu<strong>die</strong>ren, um<br />
jemals eine Chance auf ein besseres<br />
Leben zu haben, müssen sie exzellente<br />
Testergebnisse abliefern, und zwar mit<br />
Hilfe von veralteten<br />
Büchern und<br />
Unterrichtsmethoden<br />
sowie zu<br />
wenig Englisch<br />
sprechender Lehrer.<br />
Zudem müssen<br />
meine Schüler<br />
in der wenigen<br />
Freizeit auf Feldern<br />
oder bei der<br />
Hausarbeit mithelfen<br />
und können<br />
nicht wie ihre<br />
Altersgenossen im<br />
Osten der Republik<br />
für <strong>die</strong> Schule<br />
lernen oder sich<br />
mit Freunden treffen.<br />
So schafft nur<br />
<strong>die</strong> Hälfte aller<br />
Neuntklässler den<br />
Sprung auf <strong>die</strong><br />
weiterführende Schule und weitere<br />
dreißig Prozent brechen vor der 13.<br />
Klasse ab. Trotz <strong>die</strong>ser, aus unserer<br />
Sicht, deprimierenden Umstände, wirken<br />
<strong>die</strong> Schüler fröhlich. Jede freie<br />
Minute wird genutzt, um über <strong>die</strong><br />
Jungs aus der Parallelklasse zu<br />
tuscheln oder um zu den Tischtennisplatten<br />
und Basketballkörben<br />
zu<br />
sprinten. <strong>Sie</strong> haben<br />
ähnliche Träume<br />
wie wir damals –<br />
mit einem kleinen<br />
aber entscheidenden<br />
Unterschied:<br />
Ihre Träume werden immer beinhalten,<br />
dass sie ihren Eltern und Großeltern<br />
gute Kinder und Enkel sein wollen<br />
– für sie eine Form gelebter Mitmenschlichkeit.<br />
Außerdem wollen sie<br />
genug Geld ver<strong>die</strong>nen, um ihren<br />
Eltern einen besseren Lebensabend zu<br />
ermöglichen, als Lohn für deren harte<br />
Arbeit – das ist für sie Gerechtigkeit.<br />
Auch wenn vieles in ihrem Leben vorgegeben<br />
und nicht ideal ist, haben <strong>die</strong><br />
Schüler, <strong>die</strong> ich kennengelernt habe,<br />
von Beginn an eine Ausrichtung und<br />
eine Motivation. <strong>Sie</strong> wissen, wohin sie<br />
wollen und wie sie dorthin kommen<br />
können. So können sie am Abend mit<br />
der untergehenden Sonne auf dem<br />
Gesicht, fröhlich schnatternd, Arm in<br />
Arm mit ihren Freunden nach Hause<br />
gehen, um sich auf den nächsten Tag<br />
zu freuen, an<br />
dem sie wieder<br />
ihr Bestes<br />
geben und<br />
zeigen können,<br />
dass sie<br />
ein guter<br />
Mensch sind.<br />
Das Lernpensum<br />
ist auch für <strong>die</strong><br />
Kleinen schon<br />
groß.<br />
Nia Nöthling<br />
arbeitet seit August<br />
2011 im Rahmen<br />
des „weltwärts“-<br />
Programms als<br />
Freiwillige in der<br />
chinesischen<br />
Provinz Gansu.<br />
weltbewegt 19