Das Generalgouverments - Biblioteka Multimedialna Teatrnn.pl
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„Nicht den Mut verlieren!"<br />
Wir arbeiten zehn Stunden hindurch, wie es in allen Sowjetlagern üblich ist, und brachten es fertig,<br />
den angewiesenen Stapel am andern Ende des Lagers an Ort zu bringen. Zum Schluß kam der Arbeitsaufseher,<br />
neben dem Kommandanten der wichtigste Gefangene im Lager, und sagte, der Stapel<br />
hätte an einen andern Platz gehört. Olfenbar hatte man nur beobachten wollen, wie die neue Brigade<br />
sich anließ und wie sie zupackte. Der Eifer des ersten Tages brachte uns manchen Kummer. Dem<br />
Brigadier zur Freude wurden wir allmählich eine Musterbrigade, die nie einen Fall von Arbeitsverweigerung<br />
aufwies und stets an den Brennpunkten der Arbeit eingesetzt wurde.<br />
Nach der Arbeit gingen wir in den Speiseraum. Spruchbänder mit schönen Losungen hingen an den<br />
Wänden, die mit den Bildern marxistischer Führer reichlich geschmückt waren. Wir würgten die<br />
fürchterliche Suppe hinab und spuckten die Gräten unter uns. Der Philologe, mein Zellengenosse<br />
aus der Lubjanka, der einer andern Brigade angehörte und in der Schneidemühle Sägespäne abschleppen<br />
mußte, saß neben mir und sagte, während wir die Suppe schlürften : „<strong>Das</strong> Sein bestimmt das Bewußtsein",<br />
dabei auf das Bild Marxens deutend, der mit seiner Löwenmähne wie ein Prophet über uns<br />
hinwegschaute. Der Professor sagte jedoch nicht „Sein", sondern das anklingende Wort „Schläge".<br />
„Schläge bestimmen das Bewußtsein!", dieser korrigierte Grundsatz marxistischer Weltanschauung<br />
stimmte uns trotz der widerlichen Suppe sehr heiter.<br />
Nachdem wir uns am Fluß gewaschen hatten, obwohl es streng verboten war, legten wir uns nieder.<br />
Der Pfarrer, der sich nicht müde gearbeitet hatte, saß noch lange auf und stopfte seine Wäsche.<br />
Wir lernten den Umgang mit Holz. Solange es im Wasser schwamm, ließ es sich mit Beilen oder<br />
langen Hakenstangen leicht zum Ziel bringen, außerhalb des Wassers wurde es ein schwerer, gefährlicher<br />
Feind. Wir schoben die Stämme vom Wasser her auf die Greifer des laufenden Bandes eines<br />
riesigen Elevators, der sich wie ein hohes Ungetüm zwischen Kai und Bahngleis hinzog. Wenn das<br />
Band den Stamm zur Plattform hinaufbefördert hatte, mußte er mit Stangen auf die Gleitbahn des<br />
Elevators gezerrt werden. Es war der gefährlichste Teil der Arbeit. Die Leute kamen sehr leicht in<br />
die Kette oder der Stamm legte sich schief und zerquetschte die Beine. Es gab immer wieder Schwerverwundete.<br />
Wenn unsere Brigade am Elevator arbeitete, standen an dieser Stelle Kostja und Stanislaus.<br />
Sie waren jung, kräftig, begeistert und paßten auf wie die Heftelmacher. Die Gleitbahn trug den<br />
Stamm über den Elevator hin. In bestimmten Zwischenräumen standen je zwei Mann und zogen<br />
den anrollenden Stamm von der Schiene herunter, wälzten ihn an den Rand des Elevators und ließen<br />
ihn über Balken zum Stapel rollen. Dort wurde er empfangen und mit Hebebäumen an seinen Platz<br />
gewuchtet. Der Vorgang wurde bald hier, bald dort gestört. Oft glitt der Stamm — sie waren Riesen<br />
ihrer Art und schwer wie Eisen — nur zur Hälfte vom Laufband, schleifte weiter, kam schief auf<br />
die Balken zu liegen, rutschte vom Stapel. Es war keine Zeit, sich um ihn zu bekümmern. <strong>Das</strong> laufende<br />
Band ruhte nicht. Stamm um Stamm glitt heran, und es war kein Aufhören, denn der Fluß brachte<br />
sie im Strom. Wir arbeiteten mit verbissenen Gesichtern, selber Stücke des rastlosen Elevators, vor<br />
schief anrollenden Stämmen davonstürzend, die nächsten bereits anspringend. Man mußte höllisch aufpassen,<br />
damit man auf den glattgeschälten, vor Nässe triefenden Stämmen nicht ausglitt, ich besonders,<br />
da ich den Straßenanzug und die ledernen Halbschuhe an hatte, mit denen man mich verhaftet hatte.<br />
Verdrossen und hungrig, mit zitternden Armen und wirrem Geschau trotteten wir nach der Arbeit<br />
den Baracken zu, fischten mit unseren Holzlöffeln den Kohl aus der Suppe, streckten uns hin. Mit<br />
Kyrill Petrowitsch über Giotto zu sprechen blieb weder Zeit, noch Stimmung. Kostja kam manchmal<br />
mit dem Schreibheft an mein Lager und wollte mit mir Deutsch lernen, aber ich war nicht fähig,<br />
ihm zu antworten. Ich schickte ihn zum Pfarrer, aber er mochte ihn nicht leiden. „Ist denn das ein<br />
Deutscher?" fragte er zweifelnd. Merkwürdig rasch wandelte sich Kostja, der Student, zum Arbeiter.<br />
Er hatte niemals körperlich gearbeitet, war Student im achten Semester, hatte gelernt, mit Messer<br />
und Gabel umzugehen und war mit Leninismus, Diamat (wie auf den Sowjethochschulen üblicherweise<br />
das Fach des dialektischen Materialismus bezeichnet wird) und Politökonomie bis oben hin<br />
angepfropft. Doch von einem Tag zum andern fiel das alles wie irgendein Plunder von ihm, und er<br />
fühlte sich wohl als Holzarbeiter, er war es. Auch die anderen russischen Intellektuellen stellten sich<br />
rasch um. Man merkte, wie stark das Bäuerliche noch in ihnen allen war. Nur der Professor, Rosenblad<br />
und ihresgleichen konnten mit dem Holz nicht vertraut werden. Dafür unterhielten sie uns während<br />
der Pause mit schönen Reden über sowjetische Holzwirtschaft und die Gesetze des Schwergewichts.<br />
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