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Das Generalgouverments - Biblioteka Multimedialna Teatrnn.pl

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als Kriegsgefangener. Der gleiche Mann, dem ich zur Freiheit hatte verhelfen wollen, verhöhnte<br />

mich. „Es handelt sich nur um eine kleine Prüfung", hatte der Richter gesagt. Er hatte mich belogen.<br />

Der Hohn machte mir klar, daß ich meinen Platz in diesem Lande verloren hatte und nie wiedergewinnen<br />

konnte. Ich war verdammt, verworfen. Ich war nichts, vielleicht der letzte Gefallene des<br />

vergangenen Krieges, vielleicht der erste Gefangene des kommenden. Die Worte der Geliebten klangen<br />

mir im Ohr: „Wende dich an den deutschen Konsul!" Die Versuchung, mich auf männliche Weise<br />

zu retten, war groß. Ich überwand sie, indem ich mir der sich selbst zum Opfer bringenden Liebe<br />

bewußt wurde, die aus dem Rate sprach. Sie gab mir die Gewißheit einer Gemeinsamkeit, die Trennung<br />

und Mißverständnisse überwand und zum Aushalten verpflichtete. Nie hatte ich von der Frau<br />

verlangt, sie solle deutsch sein, nie hatte sie ihre Ergebung von meiner Angleichung an ihre Art abhängig<br />

gemacht. Unsere Vereinigung überbrückte das Gegensätzliche, weil sie Bewährung des Wesentlichen<br />

voraussetzte. Im sicheren Gefühl lebendiger Einheit wurde uns die Behauptung des eigenen Wesens<br />

zum notwendigen Bekenntnis. Ich erlag weder der Versuchung, aus meiner Staatsangehörigkeit<br />

Gewinn zu schlagen, noch verleugnete ich mein Volkstum um eines augenblicklichen Vorteils willen.<br />

Wenn mich einer der Lagerhunde, sei es ein GPU.-Soldat oder einer der Urki fragte, ob ich ein Deutscher<br />

sei, antwortete ich ihm ohne Scheu vor Hohn oder möglichen Nachteilen: „Ja, ein Deutscher."<br />

Meine Antwort rechnete ich mir nicht als Verdienst an. Ich war nur, was ich nicht anders sein konnte.<br />

So wenig ein kreisender Blutstropfen seinem Körper sagen kann, daß er ihn liebt, bin ich imstande<br />

auszusprechen, daß ich Deutschland liebe. Nur der Gefährtin sagte ich laut, daß ich sie liebe und<br />

empfand mich von ihr bestätigt. Solange solche liebende Gemeinsamkeit bestand, mußte ich deutsch<br />

sein. Diese Gewißheit erhob, sicherte die Haltung und führte weiter. Deutschland war dort, wo ich<br />

deutsch war. Ich hatte an jedem Orte durchzuhalten. Als ich, nasse, schwere Bretter auf den schmerzenden<br />

Schultern, vom Lastkahn über einen wippenden Steg die steile Böschung emporklomm und den<br />

Professor müde und verzagt mir entgegenschlurfen sah, rief ich ihm zu: „Impavidi progrediamur" !<br />

Er winkte ab, doch mir wurde der aus ferner Erinnerung angeflogene Ruf zum Befehl. Einst hatte<br />

ich geglaubt, Deutschland sei dort, wo ich bilde. Ich fühlte, daß mein humanistischer Begriff der Bildung<br />

ein unvollkommener sei und der Bezirk des Bildens nicht das Land, geschweige denn die Welt<br />

bedeuten konnte. Es drängte mich, mit diesen Fragen fertig zu werden, und ich sprach mit Kyrill<br />

Petrowitsch und dem Professor, als wir eines freien Nachmittags vor einem Holzstapel in der Sonne<br />

saßen, über das Wesen der Bildung. Ich warf dem Professor vor, daß er Bildung als Stapelung von<br />

Wissen und Kultur als Besitz verbindlicher Formeln und Formen auffaßte. Der Widerspruch des<br />

Professors, der Bildung mit Aufklärung gleichsetzte, war so veraltet, daß er der Widerlegung nicht<br />

wert schien. Die ganze Brüchigkeit des liberalen Weltbildes enthüllte sich in dem Professor, der Wissen<br />

gleich Macht setzte und im Lehrer den Heiland sah. Bildung war ihm der Motor des mechanisch sich<br />

vollziehenden Fortschritts.<br />

Kyrill Petrowitsch und ich, wir waren beide nach Schulung und Überzeugung Dialektiker. Wir sahen<br />

den Fortschritt nicht in der Vervollkommnung des Äußerlichen. Wir bekannten uns zur Revolution,<br />

denn wir sahen das Vollkommene nur durch die kämpferische Überwindung des Unvollkommenen<br />

erreichbar.<br />

Daher gab ich dem Professor zur Antwort, Wissen als solches sei noch keine Macht, denn es befinde<br />

sich, so wie die Welt sei, stets in den Händen eigennütziger Besitzender, die es in ihren Dienst stellten.<br />

Erst wenn die Revolution das Wissen frei gemacht habe, könne es die Menschen bewegen. „Welche<br />

Revolution?" fragte der Professor.<br />

Ich konnte ihm keine Antwort geben. Die bolschewistische war es nicht. Sie setzte zwar ein Volk in<br />

den Stand, sich Kenntnisse anzueignen, und klärte es in ihrem Sinne auf; aber diese Bildung blieb<br />

äußerlich und dazu sehr unvollkommen. Sie bewegte und wandelte niemanden. Folgerichtig wurde<br />

in der Sowjetunion zum Gebildeten entweder der beschränkte Techniker oder der neunmalkluge<br />

Alleswisser.<br />

Es hat sich gezeigt, meinte Kyrill Petrowitsch und versuchte unsern Zweifel an der marxistischen<br />

Doktrin durch eine neue Behauptung zu überwinden, daß die Beseitigung der Klassengegensätze<br />

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