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Ernst Topitsch: Naturrecht im Wandel des Jahrhunderts

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Klaus Peter Rippe: Ist der Liberalismus eine positive Utopie? 47<br />

und Kirche gefordert. Es werden Freiheitsrechte<br />

garantiert, so insbesondere<br />

• die Freiheit <strong>des</strong> Gewissens <strong>im</strong> weitesten<br />

Sinne (und zwar u.a. in bezug<br />

auf wissenschaftliches, moralisches,<br />

politisches und religiöses Denken),<br />

• die Freiheit, einen Lebensplan nach seinen<br />

eigenen Anlagen und Neigungen<br />

zu gestalten (incl. Berufswahl),<br />

• die Freiheit, sich zu versammeln und<br />

in Gruppen zusammenzuschließen.<br />

In einem so verstandenen Liberalismus<br />

ist von der Staatsform noch nicht<br />

die Rede. Auch best<strong>im</strong>mte Ausprägungen<br />

einer idealen Monarchie oder idealen<br />

Aristokratie könnten diesen liberalen<br />

Prinzipien genügen. Da aber nicht<br />

jeder Herrscher so ideal ist, wie dies noch<br />

Hobbes in seinem Plädoyer für den Absolutismus<br />

annahm, scheint die Demokratie<br />

der sicherste Garant der liberalen<br />

Prinzipien. Aber auch sie birgt Gefahren.<br />

Hier besteht die Gefahr, daß die<br />

Mehrheit zum Tyrannen wird, daß<br />

Minderheiten unterdrückt und mundtot<br />

gemacht werden. Es bedarf also, so Mill:<br />

"auch ein Schutz (...) vor der Tyrannei<br />

der herrschenden Meinung<br />

und Gesinnung, vor der Neigung<br />

der Gesellschaft, ihre eigenen Ideen<br />

und Gewohnheiten auch durch<br />

andere Mittel als bürgerliche Strafen<br />

den Widerstrebenden aufzunötigen,<br />

die Entwicklung jeder eigenartigen<br />

Individualität zu fesseln und,<br />

wenn möglich, zu ersticken." 4<br />

Um dies also schon hier zu betonen:<br />

Der Liberalismus ist keine Antwort auf<br />

die Frage, wie die ideale Gesellschaftsform<br />

aussieht. Er ist die Antwort auf die<br />

Frage, welche Funktionen dem Staat zukommen.<br />

Die klassische Lösung dieses<br />

Problems war, um es noch einmal kurz<br />

zusammenzufassen, die Trennung einer<br />

privaten und einer öffentlichen Sphäre<br />

und die damit verbundene Aufstellung<br />

zweier Grundsätze.<br />

"Der erste Satz besteht (...) darin,<br />

daß das Individuum der Gesellschaft<br />

für seine Handlungen nicht<br />

verantwortlich ist, soweit diese lediglich<br />

seine Person berühren. (...)<br />

Die zweite Grundregel aber ist, daß<br />

für Handlungen, die den Interessen<br />

anderer nachteilig sind, das Individuum<br />

verantwortlich ist und<br />

gesellschaftlicher oder gesetzlicher<br />

Ahndung unterliegt, wenn die Gesellschaft<br />

sich davon überzeugt,<br />

daß die eine oder andere Maßnahme<br />

zu ihrem Schutze notwendig<br />

ist." 5<br />

Und es gilt, um weiter Mill zu zitieren:<br />

"Keine Gesellschaft, in der diese<br />

Freiheiten nicht <strong>im</strong> ganzen geachtet<br />

sind, ist frei, was auch <strong>im</strong>mer<br />

ihre Regierungsform sein möge,<br />

keine kann wahrhaft frei genannt<br />

werden, in der diese Freiheiten<br />

nicht unbeschränkt und unbestritten<br />

bestehen." 6<br />

Von Wirtschaft war bisher noch nicht<br />

die Rede, auch nicht von der Marktwirtschaft.<br />

Betrachten wir kurz die Beziehung<br />

zwischen klassischem Liberalismus<br />

und dem sog. Wirtschaftsliberalismus.<br />

Der klassische Liberalismus bemüht<br />

sich nicht nur, Freiheiten zu begründen;<br />

er setzt zugleich alle zivilisatorischen und

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