Ernst Topitsch: Naturrecht im Wandel des Jahrhunderts
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Chaos und Kreativität<br />
Die Chaostheorie vermag menschliche<br />
Kreativität, menschlichen Einfallsreichtum<br />
und Genialität nicht zu erklä-<br />
66 AUFKLÄRUNG UND KRITIK März 1994 Nr. 1<br />
2.1 Fehlinterpretationen der ren. Sie macht dazu keine Aussage.<br />
Chaostheorie<br />
Die Chaostheorie ist in den letzten<br />
Jahren ungemein populär geworden. Das<br />
äußert sich z.B. in der großen Zahl von<br />
Büchern und Zeitschriften, die sich um<br />
eine allgemeinverständliche Weitergabe<br />
der Aussagen der Chaostheorie bemühen.<br />
Sogar in den Feuilletons der Zeitungen<br />
tauchen Artikel und Berichte<br />
darüber auf.<br />
Chaos und Unordnung<br />
Chaos und Unordnung haben nichts<br />
miteinander zu tun. Unglücklicherweise<br />
weckt der Begriff Chaos die Assoziation<br />
von Unordnung als Eigenschaft nicht<br />
oder wenig strukturierter Systeme. Die<br />
Unordnung in einem nicht aufgeräumten<br />
Kinderz<strong>im</strong>mer oder die Unordnung,<br />
die entsteht, wenn man einen Nähkasten<br />
umstülpt und auf dem Boden ausleert,<br />
hat mit Chaostheorie nichts zu tun.<br />
Die Faszination liegt sicher auch <strong>im</strong><br />
Begriff Chaos. Dieser Begriff ist <strong>im</strong><br />
höchsten Maße unglücklich gewählt und<br />
mitverantwortlich für die zahlreichen<br />
Fehlinterpretationen, die sich um das<br />
Chaos ranken. Mit Sicherheit wäre weit<br />
weniger geistige Verwirrung entstanden,<br />
wenn man das schillernde, mißverständliche,<br />
ja fast marktschreierische Wort<br />
Chaostheorie durch das Wort Theorie der<br />
Dynamik nichtlinearer Systeme ersetzen<br />
würde.<br />
Zunächst soll zusammengestellt werden,<br />
wozu die Chaostheorie keine Aussage<br />
macht:<br />
Chaos und Kausalität<br />
Die Kausalität, nach der in der realen<br />
Welt eine Zustandsänderung streng<br />
determiniert nach der anderen abläuft,<br />
wird nicht aufgehoben. Sätze wie: „Die<br />
Natur läßt sich Spielräume offen“, „Die<br />
Natur entscheidet sich in jedem Augenblick<br />
neu“, lassen sich aus der Chaostheorie<br />
nicht ableiten.<br />
Chaos und Wissenschaft<br />
Die Chaostheorie zeigt nicht, daß wissenschaftliches<br />
Vorgehen an eine Grenze<br />
gestoßen ist, versagt hat oder nur in<br />
Teilbereichen gültig ist. Ganz <strong>im</strong> Gegenteil:<br />
Die Chaostheorie hat die wissenschaftliche<br />
Vorgehensweise bestätigt<br />
und ihr Anwendungsgebiet und ihr Einsatzfeld<br />
großartig erweitert.<br />
Chaos und Esoterik<br />
Aus der Chaostheorie läßt sich nicht<br />
folgern, daß hinter unserer realen Welt,<br />
so wie sie uns umgibt und so, wie wir<br />
sie beobachten, noch eine zweite gehe<strong>im</strong>nisvolle,<br />
dem Verstand und der Wissenschaft<br />
nicht zugängliche, höhere Welt<br />
existiert.<br />
2.2 Das Dreifachpendel<br />
In einem einfachen Dreifachpendel<br />
lassen sich die wesentlichen Eigenschaften<br />
von Systemen mit sogenanntem chaotischem<br />
Verhalten gut demonstrieren:<br />
* Die Bewegungen der Pendelarme werden<br />
durch ein nichtlineares Gleichungssystem<br />
beschrieben.<br />
* Das Pendel wird nie eine bereits ein-