Sophie Berner - Gießener Allgemeine
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BRAD SHAWS KOLUMNE<br />
Star sucht Happy End<br />
Der Hessentag für Wetzlar, ein Kinopalast für<br />
Gießen und meinetwegen auch ein Stadtschloss<br />
für Berlin. I really don't care. Zumindest nicht<br />
was die Arbeit überbezahlter Stadtplaner und<br />
Stadtmarketing-Strategen angeht. Denn was sich<br />
beide Berufsgruppen in einem Studium erarbeitet<br />
haben, hatte ich mir bereits nach meinem<br />
ersten Jahr als professioneller Single draufgeschafft:<br />
nämlich Gestalten und Vermarkten.<br />
Konsequenterweise will auch ich 2012 endlich<br />
Kapital aus meinem Wissen schlagen.<br />
Was die Gestaltung des Alltäglichen betrifft,<br />
halte ich es mehr mit Pippi Langstrumpf als mit<br />
Wirtschaftsgeografie: Ich mach mir die Welt, wie<br />
sie mir gefällt. Was das Marketing betrifft, gehe<br />
ich mit der Strategie des amerikanischen Modelabels<br />
Abercrombie & Fitch: Manchmal muss<br />
man sich ausziehen, um die PR-Maschine ins<br />
Rollen zu bringen. Inzwischen bin ich meiner<br />
Welt mein eigenes Event, ein Star! Jetzt will ich<br />
auch da draußen berühmt werden. Ich könnte<br />
sofort auf Tournee gehen oder sieben Jahre in<br />
Tibet drehen. Denn das, liebe Leute, ist der große<br />
Vorteil am alltäglichen Single-Dasein: Zu<br />
Hause wartet niemand! Vor allem kein unverhofftes<br />
Happy End.<br />
Es ist genau die richtige Zeit, um berühmt zu<br />
werden. In Europa tobt die Krise, in Asien ist<br />
gerade ein Sack Reis umgefallen und »Miss<br />
American Dream«, Britney Spears, ist 30 Jahre alt<br />
geworden. Sie zieht sich glücklicherweise nicht<br />
mehr aus. Die Menschen brauchen wieder<br />
etwas, an das sie glauben können. Vor allem<br />
jemanden, zu dem sie aufschauen. Und könnte<br />
ich mit 174 Zentimetern Körpergröße dieser<br />
eine werden, wäre das echt dufte. Seit Napoleon<br />
wissen wir ja, dass kleine Menschen ganze<br />
Weltreiche beherrschen können. Ich habe<br />
zumindest das Ego eines Stars.<br />
Viele berühmte Menschen sind klein und besitzen<br />
ein übergroßes Ego. Die meisten davon<br />
haben sich irgendwann mal ausgezogen. So wie<br />
Madonna. Doch gelten für Schreiber die gleichen<br />
Regeln wie für Showstars? Beide verbindet<br />
zumindest die unausweichliche Notwendigkeit<br />
des Exhibitionismus. Schreiber müssen allerdings<br />
mehr leisten, als in St. Tropez gekonnt ohne<br />
Bikinioberteil herumzulaufen, um Schlagzeilen<br />
zu machen. Sie müssen nicht nur ihre erogenen<br />
Zonen, sondern gleich ihr Innerstes nach Außen<br />
kehren. Seelenstriptease also.<br />
Publizieren ist im größeren Stil ein wenig wie<br />
Online-Dating. Die Distanz zwischen Sender<br />
und Empfänger ist weitläufig genug, dass sich<br />
der Sender traut, Sachen zu erzählen, die er<br />
an einer Bar selbst nach vier Cosmopolitans<br />
und einem Jägermeister niemals loslassen<br />
würde. Zumindest in meiner Welt ist das völlig<br />
cool. Seit ich in meiner Homezone vermehrt<br />
als Brad identifiziert werde, laufe ich aber mit<br />
dem Wunsch durch andere Welten, die Hosen<br />
doch lieber angelassen zu haben. Denn eine<br />
Steigerung der Leserzahl bedeutet immer,<br />
dass die Zahl der Mitwisser gewachsen ist. Will<br />
ich wirklich, dass meine Frisörin weiß, dass<br />
ich im Winter lange Unterhosen trage, und dass<br />
ich auf die Missionarsstellung stehe? Und auf<br />
Lukas Podolski?<br />
»Ich glaube, Schriftsteller äußern sich zum Beispiel<br />
ständig über Fußball, weil sie in der Schule<br />
immer als letzte in die Mannschaft gewählt worden<br />
sind«, verriet Autor Daniel Kehlmann 2009<br />
der WAZ. Kehlmann – neben Umberto Eco und<br />
Carrie Bradshaw einer meiner großen Vorbilder,<br />
schrieb gleich einen ganzen Epsiodenroman<br />
über das Thema »Ruhm«. In einer der neun<br />
Geschichten, die sich zum Buch zusammensetzen,<br />
geht es um einen verwirrten Internetblogger,<br />
der sich nichts sehnlicher wünscht, als<br />
einmal Romanfigur zu sein.<br />
Nicht, dass ich mein Wort über das von Kehlmann<br />
stellen würde – doch Folgendes sollte<br />
klargestellt werden: Ich schreibe über Fußball,<br />
weil ich Lukas Podolski wirklich von Herzen liebe,<br />
ja! Und ich sehe mich eher in einer romantischen<br />
Liebeskomödie als in einem Roman. Einfach,<br />
weil Hollywood den Anspruch auf ein<br />
Happy End hat, der den großen Schriftstellern<br />
dieser Welt meistens genauso abgeht wie mir<br />
die Abseitsregel.<br />
Zumindest in Kombination betrachtet, birgt<br />
Kehlmanns Output trotzdem entlarvende<br />
Wahrhaftigkeit, die dem Waterloo meines Star-<br />
Egos gleichkommt. Vermessen wir doch mal<br />
meine Welt: Ich bin 31, Single und frustriert.<br />
Konsequenterweise dreht sich bradsticks.com<br />
um Beziehungen; und in meinen verzweifelten<br />
Momenten wünsche ich mir, wie Arwen<br />
Abendstern im »Herr der Ringe« für die unendliche<br />
Liebe und einen Königssohn/Prinz<br />
Poldi meine Alleinstellungsmerkmale aufzugeben<br />
– und, als positiven Nebeneffekt, gewisse<br />
Verwandte nie wieder sehen zu müssen. So<br />
wie meine unverheiratete Tante Gerlinde. Ein<br />
denkbar schlechtes Rollenvorbild!<br />
In meinem Fall ist das Alleinstellungsmerkmal<br />
übrigens, der coolste Single zu sein, den ich<br />
kenne. In meiner Welt. Und ich habe im letzten<br />
Jahr SEHR viele andere Singles in selbige gelassen.<br />
Just saying… Genau in diesem Zustand<br />
liegt das Problem. Denn wie Single-Ikone<br />
Carrie Bradshaw richtig erkannt hat, ist es am<br />
schwierigsten keine Beziehung zu haben, wenn<br />
deine Arbeit darin besteht, zu schreiben wie<br />
es ist, eine Beziehung zu haben. Und Überhaupt:<br />
Was ist Ruhm in einer Welt, in der lediglich<br />
ein verwirrter Internetblogger lebt? Es geht<br />
nicht um eine Position. Es geht um Perfektion.<br />
Wie im Fußball.<br />
Deshalb im Namen der Rose: Ein weiteres Jahr<br />
als Single halte ich NICHT aus. Also heiratet<br />
mich von der Stelle weg, bevor ich doch noch<br />
als Held einer never ending Tragikomödie<br />
berühmt werde – und mit der Zahl der Mitwisser<br />
gleich die Höhe meiner Mitgift steigt.<br />
Bisher liegt sie bei 40000 Euro als Gegenwert –<br />
für meine Schuhsammlung.<br />
Ich bau ‘ne Stadt für dich und meinetwegen<br />
auch ein Stadtschloss – mit begehbarem Schuhschrank<br />
für mich.<br />
Brad Shaw<br />
Brad Shaw schreibt exklusiv Kolumnen<br />
für den streifzug. Normalerweise veröffentlicht<br />
der Journalist sie im Netz auf<br />
www.bradsticks.com. Sein Blog befasst<br />
sich mit Lifestyle, Fashion, Musik, Promis<br />
und Kultur – und immer wieder<br />
mit der Suche nach Mr. und Mrs. Right.<br />
1/2012 streifzug 13