Andreas Symank - FEG Zürich-Helvetiaplatz
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„Untiefe“ bezeichnet entweder eine sehr flache Stelle in einem Gewässer oder aber<br />
eine besonders tiefe Stelle.<br />
griechisch /áfixis bedeutet „Ankunft“ oder „Abreise“ – je nachdem.<br />
griechisch /anairéobedeutet in Apostelgeschichte 7,21 „jemanden<br />
(schützend) bei sich aufnehmen“ und 7 Verse weiter genau das Gegenteil:<br />
„jemanden umbringen“.<br />
Angesichts von dieser verwirrenden Vieldeutigkeit der Begriffe muss dem armen Übersetzer<br />
schwarz vor Augen werden. Wie kann er je sicher sein, was im Einzelfall gemeint ist? Es gibt<br />
nur eine Antwort: Exegese, und zwar so gründlich wie möglich. Exegesieren (auslegen) heißt:<br />
herausfinden, was der Text sagt. Wie man das herausfindet, haben wir jetzt ja festgestellt:<br />
Indem man den Kontext beachtet, den sprachlichen und sachlichen Zusammenhang der<br />
einzelnen Wörter, der Sätze, des Abschnitts und des ganzen Buches. Und indem man den<br />
Text vor seinem historischen und kulturellen Hintergrund liest. Durch den Kontext löst sich –<br />
wie wir gesehen haben – die Mehrdeutigkeit der Begriffe und Sätze auf. Je gründlicher also<br />
der Übersetzer den innerbiblischen und außerbiblischen Kontext berücksichtigt, desto leichter<br />
fällt ihm die Entscheidung darüber, was jeweils die angemessene Bedeutung ist.<br />
Zwei kleine Nachträge zur Wortbedeutung, ehe wir die Ebene des Vokabulars verlassen und<br />
uns auf die Ebene der Sätze und Satzteile begeben.<br />
Der erste Nachtrag: Die bisherigen Beispiele zeigten, dass ein Wort verschiedene<br />
Bedeutungen haben kann. Es gibt aber auch den umgekehrten Fall: Verschiedene Wörter<br />
haben dieselbe Bedeutung.<br />
Die landläufige Auffassung sieht so aus: Wenn das Griechische zwei verschiedene Begriffe<br />
verwendet, müssen diese auch unterschiedliche Bedeutung haben und folglich unterschiedlich<br />
übersetzt werden. /psychë, /zoë und /kardía – so wird gefordert – müssten<br />
auch im Deutschen immer streng unterschieden werden: „Seele“, „Leben“ und „Herz“. Dabei<br />
übersieht man aber ein sprachliches Gesetz, die sogenannte Neutralisierung.<br />
So kann zum Beispiel ein Journalist die Rede eines Politikers folgendermaßen<br />
zusammenfassen: „Herr A. wies auf die Bedeutung von ... hin. Es sei unerlässlich, dass ...,<br />
erklärte er. Er sagte, man müsse ... In solchen Fällen, so meinte er, gäbe es nur eine Lösung ...<br />
Deshalb freue er sich über ..., hob er hervor. Er sei überzeugt, dass es nichts Besseres gebe als<br />
...“ usw. Betrachtet man die vom Berichterstatter gebrauchten Verben einzeln, dann stellt man<br />
rasch fest, dass weite Teile ihres jeweiligen Bedeutungsfeldes sich stark voneinander<br />
unterscheiden. „sagen“ ist (je nach Zusammenhang!) etwas völlig anderes als „hervorheben“,<br />
„hinweisen“ etwas anderes als „erklären“, „meinen“ das Gegenteil von „überzeugt sein“.<br />
Aber im angeführten Beispiel, wo alle diese Begriffe nebeneinander gestellt sind, zählt nur<br />
noch der Teil ihres Bedeutungsspektrums, den sie gemeinsam haben. Die Unterschiede heben<br />
sich gegenseitig auf; die Begriffe „neutralisieren“ sich. Man könnte jeden durch jeden<br />
ersetzen, ohne dass sich an der Gesamtaussage das Geringste ändern würde. Probieren Sie es<br />
einmal aus! Ein geübter Redner/Schreiber wechselt vielleicht aus stilistischen Gründen von<br />
einem Begriff zum anderen, aber er will damit gerade nicht Unterschiede hervorheben,<br />
sondern im Gegenteil immer dasselbe ausdrücken (und so verstehen ihn seine Hörer/Leser<br />
auch!).<br />
Diese Neutralisierung ist beim Sprechen (und Zuhören) gewissermaßen allgegenwärtig. Wir<br />
berücksichtigen sie ganz automatisch, wenn wir säkulare Texte interpretieren. Aber sobald es<br />
an biblische Texte geht, „vergessen“ viele Christen ihr natürliches Sprachempfinden und<br />
interpretieren Dinge hinein bzw. lesen Dinge heraus, die sie, wenn sie den Text „normal“<br />
angehen würde, niemals darin finden würden.<br />
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