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Andreas Symank - FEG Zürich-Helvetiaplatz

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B. sagen: „Er reiste von Bayern nach Thüringen“ (Land-Land) oder „Er reiste von München<br />

nach Hamburg“ (Stadt-Stadt). Aber würde man sagen: „Er reiste von Bayern nach Hamburg?“<br />

Kaum; Stadt und Land kombiniert man in der Regel nicht. Dazu kommt noch eine<br />

Schwierigkeit. Judaä war damals eine römische Provinz, und die Provinzhauptstadt war nicht<br />

etwa Jerusalem, sondern Cäsarea. Cäsarea lag in Judäa! Das wäre dann also so, wie wenn man<br />

sagen würde: „Er reiste von Graubünden nach Chur.“ Und das sagt natürlich kein Mensch.<br />

Sachlich ist die Lösung wohl darin zu suchen, dass mit Judäa gelegentlich das jüdische<br />

Kernland bezeichnet wurde, also Jerusalem und sein Umland, aber nicht Samarien und<br />

Galiläa, die ebenfalls zur Provinz Judäa gehörten. Alle diese Infos stehen hier zwischen den<br />

Zeilen; erst sie machen die Aussage sinnvoll. Wenn eine Übersetzung daher versucht, sie<br />

gewissermaßen sichtbar werden zu lassen, verfälscht sie nichts, sondern gleicht nur das<br />

Wissensdefizit auf seiten der heutigen Leser aus. Die Wiedergabe der Neuen Genfer<br />

Übersetzung lautet:<br />

„Daraufhin verließ er Jerusalem und das judäische Umland und reiste nach Cäsarea,<br />

wo er seine Residenz hatte.“<br />

Nun das Gegenteil, die Implizierung. Denn auch das gibt es: dass man im Deutschen weniger<br />

sagen muss als im Griechischen, dass man also Dinge, die im Griechischen ausdrücklich<br />

dastehen, im deutschen Text unsichtbar machen kann.<br />

So stößt man im Alten und Neuen Testament immer wieder auf den Ausdruck „die Vögel des<br />

Himmels“. In Lukas 9,58 heißt es:<br />

„Die Füchse haben ihren Bau und die Vögel des Himmels ihre Nester; aber der<br />

Menschensohn hat keinen Ort, wo er sich ausruhen kann.“<br />

Würde sich etwas ändern, wenn man „des Himmels“ einfach weglässt? Keineswegs; die<br />

Aussage bleibt genau dieselbe. Vögel sind immer „Vögel des Himmels“ – insofern, als diese<br />

Tiere sich von der Erde lösen und fliegen können. Man verliert nichts, wenn man im<br />

Deutschen einfach von „Vögel“ spricht. Natürlich könnte man „Vögel des Himmels“ sagen,<br />

aber das ist im Deutschen unüblich. Infolgedessen würde der Leser zu spekulieren beginnen,<br />

ob hier an eine besondere Art von Vögeln gedacht ist. Das wäre dann eine typische Art von<br />

Über-Interpretation des Textes. Aber ist denn im Griechischen die Präzisierung nötig? Nicht<br />

zwingend; es gibt Stellen, wo sie unterbleibt und wo einfach von „Vögeln“ die Rede ist. Aber<br />

ich vermute, dass der hebräische bzw. griechische Ausdruck für „Vögel“ gleichzeitig ein<br />

Oberbegriff für Vögel und Geflügel ist, also etwa: „geflügelte Wesen“. Und dann ergibt die<br />

Präzisierung plötzlich einen Sinn. Denn es gibt nun mal „geflügelte Wesen am Himmel“ (das,<br />

was wir als Vögel bezeichnen) und „geflügelte Wesen auf der Erde“ (das, was wir als<br />

Geflügel bezeichnen – Hühner, Gänse, Enten etc.). Wenn das so ist, stützt sich die Auslassung<br />

von „des Himmels“ nicht nur auf unser Sprachgefühl, sondern auf ein rational<br />

nachvollziehbares Argument.<br />

Es gibt noch etwas Drittes, was häufig nicht ausdrücklich mitgeteilt wird, sondern zwischen<br />

den Zeilen gelesen werden muss: die Absicht, die der Schreiber mit seinem Text verbindet.<br />

Der dritte Bereich: Was der Autor<br />

mit seinen Aussagen bewirken will<br />

20<br />

Als ich (noch in der Zeit vor dem allgemeinen Rauchverbot) einmal in einem Restaurant aß,<br />

entdeckte ich zu meinem Vergnügen auf dem Tisch ein kleines Kärtchen, das in einem<br />

Klemmfuß steckte. Auf dem Kärtchen stand: „Danke, dass Sie an diesem Tisch nicht<br />

rauchen.“ Ein Dank? Nein, eine Bitte. Aber wenn der Restaurantbesitzer plump und direkt<br />

befehlen würde: „An diesem Tisch bitte nicht rauchen!“ (oder noch knapper: „Rauchen nicht

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