16.11.2013 Aufrufe

Heft 3/2004: "Sudan - Krise in Darfur" - unhcr

Heft 3/2004: "Sudan - Krise in Darfur" - unhcr

Heft 3/2004: "Sudan - Krise in Darfur" - unhcr

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

DARFUR DIE DERZEIT SCHLIMMSTE KRISE<br />

rechten Arm hoch, an dem e<strong>in</strong>e riesige Narbe sichtbar<br />

ist, wo die Kugel auf der Innenseite des Unterarms<br />

e<strong>in</strong>drang. Sie trat am Oberarm wieder aus. Als<br />

die bewaffneten Männer wieder fortritten, gelang es<br />

ihm, die Blutung zu stillen und die Wunde zu versorgen,<br />

<strong>in</strong>dem er e<strong>in</strong>en Breiumschlag auflegte, den er<br />

aus der R<strong>in</strong>de e<strong>in</strong>es am Ort wachsenden Baumes herstellte.<br />

Er betrauert noch immer den Tod se<strong>in</strong>er<br />

Töchter und ist konsterniert angesichts der Gewalt,<br />

die über se<strong>in</strong>e Heimat here<strong>in</strong>gebrochen ist. „Ich hatte<br />

mit den Kämpfen nichts zu tun. Ich war Bauer."<br />

Am<strong>in</strong>a Mohammed, e<strong>in</strong>e 39-jährige Bäuer<strong>in</strong> und<br />

Mutter von sechs K<strong>in</strong>dern mit e<strong>in</strong>em Kleid und<br />

e<strong>in</strong>em Kopftuch <strong>in</strong> grellem Rosa, sitzt im Lager<br />

Kalma südöstlich von Nyala <strong>in</strong> Süd-Darfur auf der<br />

Erde und schildert den Tag, als die Dschandschawid<br />

<strong>in</strong> ihr Dorf kamen.<br />

„Sie töteten me<strong>in</strong>e Angehörigen <strong>in</strong> unserem Haus.<br />

Sie erschossen fünf Männer – tak, tak, tak, tak, tak“,<br />

sagt sie, wobei sie mit ihren Händen und ihrer<br />

Stimme die Geräusche e<strong>in</strong>es feuernden Sturmgewehrs<br />

nachahmt. „Sie töteten me<strong>in</strong>e fünf Brüder.<br />

Sie töteten Yousif. Sie töteten Yahiya, Husse<strong>in</strong>, Bakr<br />

und Adam. Nur e<strong>in</strong> Bruder ist mir geblieben.“<br />

Die meisten dieser Überlebenden schildern ihre<br />

traumatischen Erlebnisse <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ruhigen, unbeteiligten<br />

Tonfall, fast so, als ob diese Gräuel anderen<br />

widerfahren wären. Vielleicht bef<strong>in</strong>den sie sich immer<br />

noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schockzustand. Vielleicht haben sie so<br />

viel erlitten, dass die Er<strong>in</strong>nerungen daran gar ke<strong>in</strong>e<br />

unsichere, sehr unsichere und extrem unsichere Gebiete.<br />

Bei ihren Bemühungen, den Betroffenen <strong>in</strong><br />

Darfur zu helfen, sahen sich die humanitären<br />

Organisationen mit Schwierigkeiten aller Art konfrontiert.<br />

Ob diese Hürden vorsätzlich errichtet<br />

wurden, ist schwer zu sagen.<br />

Bis Jahresmitte waren monatelange Streitigkeiten<br />

um Visa für Mitarbeiter humanitärer Organisationen<br />

endlich beigelegt, aber die Bürokratie<br />

erschwerte weiterh<strong>in</strong> die E<strong>in</strong>fuhr von Fahrzeugen<br />

und Telekommunikationsausrüstung, die für ihre<br />

Arbeit unverzichtbar s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>e mediz<strong>in</strong>ische Hilfsorganisation<br />

meldete, ihr Medikamentenvorrat hätte<br />

drei Monate <strong>in</strong> metallenen Conta<strong>in</strong>ern <strong>in</strong> der<br />

brütenden Hitze <strong>in</strong> Port <strong>Sudan</strong> festgesessen. Als die<br />

Sendung endlich freigegeben wurde, waren 70 Prozent<br />

der Medikamente unbrauchbar geworden und<br />

mussten vernichtet werden. Die Regierung sicherte<br />

e<strong>in</strong>en besseren Zugang nach Darfur zu. Gleichwohl<br />

verlangten örtliche Behörden im Juli immer noch<br />

Genehmigungen für jede e<strong>in</strong>zelne Autofahrt zu den<br />

Vertriebenen.<br />

ETHNISCHE IDENTITÄTEN<br />

Die Volksgruppenzugehörigkeit spielte <strong>in</strong> Darfur<br />

eigentlich nie e<strong>in</strong>e große Rolle. Noch vor e<strong>in</strong>er<br />

Generation konnten „Araber", die ihr Leben als<br />

Nomaden aufgeben wollten, sich dem schwarzafrikanischen<br />

Stamm der Fur anschließen, <strong>in</strong>dem sie<br />

sich niederließen und Bauern wurden. Dennoch s<strong>in</strong>d<br />

AMNESTY INTERNATIONAL BERICHTET, DASS FRAUEN IN DARFUR SYSTEMATISCH VERGEWALTIGT WERDEN – EIN<br />

Empf<strong>in</strong>dungen mehr auslösen. Oder vielleicht ist all<br />

ihr Dase<strong>in</strong> e<strong>in</strong>fach darauf gerichtet, bis zum nächsten<br />

Tag zu überleben, sodass sie sich den Luxus nicht gestatten<br />

können, ihre Verluste zu betrauern.<br />

EIN FEINDSELIGES UMFELD<br />

Und sie wissen nur zu gut, dass das Leben hier<br />

schon immer unheimlich hart gewesen ist. Das Umfeld,<br />

<strong>in</strong> dem UNHCR und andere Hilfsorganisationen<br />

tätig s<strong>in</strong>d, ist <strong>in</strong> jedem S<strong>in</strong>ne des Wortes fe<strong>in</strong>dselig.<br />

Sengende Hitze (bis zu 55 Grad) wechselt sich <strong>in</strong> der<br />

ke<strong>in</strong>en Schatten bietenden Wüste mit heftigen<br />

jahreszeitlichen Regenfällen ab. Sie überfluten die<br />

Unterkünfte vieler Vertriebener und machen die<br />

ohneh<strong>in</strong> schlechten Straßen unpassierbar.<br />

Die sudanesische Regierung beugte sich dem <strong>in</strong>ternationalen<br />

Druck und gestattete der Weltgeme<strong>in</strong>schaft,<br />

den Versuch zu unternehmen, die<br />

humanitäre Katastrophe zu l<strong>in</strong>dern. Aber selbst diese<br />

Hilfe zu leisten, ist schwierig.<br />

UNHCR kommt die sehr schwierige Aufgabe zu,<br />

Vertriebene <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Region zu schützen, <strong>in</strong> der es so<br />

gut wie nirgendwo sicher ist. E<strong>in</strong>e UN-Karte weist<br />

nur drei Kategorien von Territorien <strong>in</strong> Darfur aus:<br />

alle Betroffenen <strong>in</strong> Darfur fest davon überzeugt, dass<br />

sie angegriffen wurden, weil sie schwarz s<strong>in</strong>d. (Es<br />

geht bei diesem Konflikt nicht um Religion, denn<br />

beide Parteien s<strong>in</strong>d Muslime.)<br />

E<strong>in</strong> Vertriebener im Lager Kalma sagt, er und die<br />

anderen Bewohner se<strong>in</strong>es Dorfes seien „wegen der<br />

Hautfarbe, der schwarzen Hautfarbe“ angegriffen<br />

worden. Dabei zupft er an der Haut auf se<strong>in</strong>em<br />

Handrücken. „Sie haben uns angegriffen, weil wir<br />

der Volksgruppe der Fur angehören, weil wir 100<br />

Prozent Fur s<strong>in</strong>d.“ (Darfur bedeutet „Heimat der<br />

Fur“.) E<strong>in</strong>e andere Fur-Frau sagt, die Männer, die ihr<br />

Dorf angriffen, hätten gerufen: „Wir werden euch<br />

töten. Wir werden eure Frauen missbrauchen, und<br />

wir werden niemanden übrig lassen. Weil ihr<br />

schwarz seid, werden wir euch allen den Garaus<br />

machen."<br />

Kaltum Harun, die 20-Jährige, die mit ansehen<br />

musste, wie ihr vier Jahre alter Sohn und ihr<br />

Ehemann vor ihren Augen umgebracht wurden,<br />

sagt, die Dschandschawid hätten es <strong>in</strong>sbesondere auf<br />

männliche K<strong>in</strong>der abgesehen. „Sie sagen: ‚Wenn er<br />

erwachsen wird, geht er zu den Tora Bora.' Aber wir<br />

wissen nicht e<strong>in</strong>mal, was ‚Tora Bora' ist“, sagt sie hilf-<br />

10 FLÜCHTLINGE NR. 3/<strong>2004</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!