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Heft 3/2004: "Sudan - Krise in Darfur" - unhcr

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SIERRA LEONE<br />

E<strong>in</strong> Junge vor e<strong>in</strong>em<br />

Rehabilitationszentrum<br />

für Jugendliche<br />

mit der Botschaft<br />

„Ke<strong>in</strong> böses Herz soll<br />

gedeihen“.<br />

Der Vater von vier K<strong>in</strong>dern verlor se<strong>in</strong>en Arm<br />

1998, als RUF-Rebellen begannen, ihren Mitbürgern<br />

Gliedmaßen abzuhacken, um sie davon abzuhalten,<br />

für Staatspräsident Ahmed Kabbah zu stimmen. Obwohl<br />

sich die Regierung an e<strong>in</strong>em großen Bauprogramm<br />

zur Bereitstellung von kostenlosen Häusern<br />

für mehrere tausend Kriegsamputierte beteilt, beklagen<br />

sich die Opfer.<br />

„Sie geben uns e<strong>in</strong> Haus, aber wie sollen wir<br />

überleben? Ich war Bauer. Wie soll ich mit nur e<strong>in</strong>em<br />

Arm auf dem Feld arbeiten? Soll ich me<strong>in</strong>er Familie<br />

Ziegelste<strong>in</strong>e statt Reis zu essen geben?“ ruft e<strong>in</strong> aufgebrachter<br />

Invalide.<br />

Besonders den jungen Invaliden droht e<strong>in</strong>e schwere<br />

Zukunft. Selbst gut ausgebildete junge Sierra-Leoner<br />

mit <strong>in</strong>takten Gliedmaßen f<strong>in</strong>den ke<strong>in</strong>e Arbeit.<br />

„Dasselbe Fahrzeug, derselbe Fahrer, dieselben<br />

Insassen. Und die ganze Zeit über fahren wir im<br />

Kreis“, so beschreibt e<strong>in</strong> Angehöriger der Regierungstruppen<br />

die derzeitige Situation <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Land. „Nichts hat sich verbessert. Nicht genug zu<br />

essen. Ke<strong>in</strong>e Arbeit. Ke<strong>in</strong> Licht. Ich frage mich, wofür<br />

wir zehn Jahre gekämpft haben. Frieden ist gut und<br />

schön, aber was nutzt der Frieden, wenn man ke<strong>in</strong>e<br />

Zukunft hat?“<br />

Auf diese Frage ist die Regierung die Antwort<br />

noch schuldig.<br />

„Slum“ ist e<strong>in</strong>e zu freundliche Bezeichnung für die<br />

Lebensbed<strong>in</strong>gungen vieler sierraleonischer Soldaten<br />

B. CURTIS/AP/DP/LBR•2003<br />

und ihrer Familien, <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong><br />

ländlichen Gebieten. Manche Flüchtl<strong>in</strong>gslager<br />

wirken wie Fünf-Sterne-Behausungen<br />

im Vergleich zu der bitteren Armut, <strong>in</strong> der<br />

diese Familien leben. Und zwar mit<br />

Gleichmut. Sie versuchen irgendwie<br />

zurechtzukommen und warten auf bessere<br />

Zeiten.<br />

Der 20-jährige Ibrahim war früher<br />

K<strong>in</strong>dersoldat und lebt jetzt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zentrum<br />

für vertriebene und unbegleitete M<strong>in</strong>derjährige.<br />

Er beg<strong>in</strong>g während des Krieges<br />

unbeschreibliche Gräueltaten und leidet<br />

heute unter ständigen Albträumen. Er kann<br />

den Gespenstern der Vergangenheit nicht<br />

entkommen.<br />

„Ich sehe Menschen, die Angst vor mir<br />

haben und schreiend weglaufen“, berichtet er.<br />

Jeden Morgen wacht er schweißgebadet auf.<br />

„In me<strong>in</strong> Dorf zurückzukehren, wäre me<strong>in</strong> Ende“,<br />

sagt er. „Ich kenne me<strong>in</strong>e Nachbarn. Sie kennen mich.<br />

Die Menschen <strong>in</strong> Afrika vergessen nicht.“<br />

Aus Angst um se<strong>in</strong> Leben entschied sich Ibrahim<br />

gegen die Teilnahme an e<strong>in</strong>em der zahlreichen Programme<br />

zur Demobilisierung, Entwaffnung,<br />

Re<strong>in</strong>tegration und Rehabilitation. Deshalb erhielt er<br />

auch ke<strong>in</strong>e psychologische Betreuung oder Berufsausbildung.<br />

Er würde gerne zur Schule gehen und<br />

lesen und schreiben lernen.<br />

Ibrahim möchte Sierra Leone verlassen und <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em anderen Land aufgenommen werden – wie er<br />

hofft, mit Hilfe von UNAMSIL, die e<strong>in</strong> Zeugenprogramm<br />

für Sonderfälle früherer K<strong>in</strong>dersoldaten<br />

durchführt. Obwohl er mittlerweile e<strong>in</strong> Erwachsener<br />

ist, könnte es se<strong>in</strong>, dass Ibrahim <strong>in</strong> das Programm aufgenommen<br />

wird, weil er noch e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d war, als er<br />

Gräueltaten beg<strong>in</strong>g.<br />

Ibrahim hält sich tagsüber versteckt. Se<strong>in</strong>e<br />

Befehlshaber, die ihn vor zwölf Jahren entführten, als<br />

er gerade e<strong>in</strong>mal acht Jahre alt war, ihn zwangen, zu<br />

töten, zu brandschatzen und zu plündern, und Koka<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e offenen Wunden <strong>in</strong>jizierten, s<strong>in</strong>d nicht bestraft<br />

worden. Noch nicht. <br />

Annette Rehrl ist Journalist<strong>in</strong> und Autor<strong>in</strong><br />

des Buches „Die Diamantenk<strong>in</strong>der – Afrikas K<strong>in</strong>der<br />

zwischen Sklaverei, Gewalt und Hoffnung“<br />

(Pattloch Verlag, München).<br />

18 FLÜCHTLINGE NR. 3/<strong>2004</strong>

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