Heft 3/2004: "Sudan - Krise in Darfur" - unhcr
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SCHÜTZEN, IN DER ES SO GUT WIE NIRGENDWO SICHER IST.<br />
SCHRECKEN AUF SCHRECKEN<br />
In der verwüsteten Darfur-Region haben sich<br />
Horrorszenarien abgespielt. Sie stellen die makabren<br />
Fantasien jedes durchgeknallten Drehbuchautors<br />
aus Hollywood <strong>in</strong> den Schatten.<br />
Hawa Ischaq, e<strong>in</strong>e junge Mutter, die ihr Alter selbst<br />
auf etwa 20 schätzt, war mit ihrem zweiten K<strong>in</strong>d fast<br />
im neunten Monat, als die Dschandschawid <strong>in</strong> ihr Dorf<br />
Kaileik <strong>in</strong> West-Darfur kamen. „Sie schlugen mich, bis<br />
ich e<strong>in</strong>e Fehlgeburt erlitt", sagt sie unter Tränen. Ihre<br />
persönliche Tragödie nahm noch größere Ausmaße<br />
an: Ihr erstes K<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Mädchen, starb, als sie<br />
und ihr Ehemann <strong>in</strong> der Stadt Kas e<strong>in</strong>trafen.<br />
„Sie rissen mir me<strong>in</strong> (vierjähriges) K<strong>in</strong>d vom<br />
Rücken, und als sie sahen, dass es e<strong>in</strong> Junge war,<br />
töteten sie ihn vor me<strong>in</strong>en<br />
Augen“, berichtet Kaltum<br />
Harun, e<strong>in</strong>e andere Frau aus<br />
Kaileik. „Ich wollte me<strong>in</strong> totes<br />
K<strong>in</strong>d mitnehmen, um es zu begraben,“<br />
sagt sie. „Aber sie verboten<br />
mir sogar, se<strong>in</strong>en<br />
Leichnam aufzuheben."<br />
Es sollte jedoch noch<br />
schlimmer kommen. „Dann<br />
musste ich mit ansehen, wie<br />
me<strong>in</strong> Bruder und me<strong>in</strong> Ehemann<br />
vor me<strong>in</strong>en Augen erschossen<br />
wurden“, fährt Kaltum<br />
fort. „Ich musste auch den<br />
Leichnam me<strong>in</strong>es Ehemannes<br />
zurücklassen. Ich konnte gar<br />
nichts tun.“ Die Banditen<br />
raubten ihr zudem alle Kleidungsstücke.<br />
Sie floh nackt und<br />
zu Fuß, bis sie neun Stunden<br />
später die Stadt Kas erreichte,<br />
die relative Sicherheit bedeutete.<br />
Tragischerweise starb <strong>in</strong><br />
dem chaotischen Lager für Vertriebene<br />
auch das e<strong>in</strong>zige K<strong>in</strong>d,<br />
das ihr geblieben war, e<strong>in</strong><br />
kle<strong>in</strong>es Mädchen.<br />
Obwohl sie mehr Leid<br />
erfahren hat, als die meisten<br />
anderen Menschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
ganzen Leben h<strong>in</strong>nehmen<br />
müssen, ist Kaltum gerade e<strong>in</strong>mal<br />
20 Jahre alt. Wird sie jemals<br />
wieder heiraten? E<strong>in</strong> Hauch von<br />
Verachtung spricht aus ihrem<br />
Blick angesichts dieser unüberlegten<br />
Frage. „Ich werde nie<br />
wieder heiraten. Sie haben alle<br />
Männer getötet. Wo sollte ich<br />
e<strong>in</strong>en Ehemann f<strong>in</strong>den?"<br />
Der 62-jährige Ismael Abdel<br />
Karim bestreitet die Vorstellung,<br />
dass die Dschandschawid<br />
nur Männer töten und die Frauen verschonen. „Wen<br />
immer sie antreffen, töten sie“, sagt er. „Sie<br />
unterscheiden nicht zwischen Männern und Frauen.“<br />
Er kann sich noch genau an den Tag er<strong>in</strong>nern, als se<strong>in</strong><br />
Dorf angegriffen wurde. Es war der 10. März <strong>2004</strong>.<br />
„Wir hielten uns friedlich <strong>in</strong> unserem Dorf auf. Wir<br />
wissen nicht, warum sie uns angegriffen haben. Wir<br />
befanden uns <strong>in</strong> unseren Häusern, und sie kamen und<br />
töteten uns.“<br />
Se<strong>in</strong>e erwachsenen Söhne konnten fliehen, als die<br />
Reiter <strong>in</strong> das Dorf e<strong>in</strong>drangen. „Sie stiegen von ihren<br />
Pferden herunter. Ich saß mit den Mädchen auf der<br />
Erde. Sie schossen auf zwei me<strong>in</strong>er Töchter und<br />
töteten sie. E<strong>in</strong>e war verheiratet, die andere noch<br />
jung. Dann schossen sie auf mich.“ Er hält se<strong>in</strong>en<br />
F. ZIZOLA/MAGNUM PHOTOS/DP/SDN•<strong>2004</strong><br />
Bewohner von<br />
Darfur fliehen<br />
lieber <strong>in</strong> die raue<br />
Wüste <strong>in</strong> Richtung<br />
Tschad, als zu Hause<br />
angegriffen zu<br />
werden.<br />
FLÜCHTLINGE NR. 3/<strong>2004</strong><br />
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