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Rainer Maria Rilke

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der seinen Gang macht im Dunkel von Stelle zu Stelle. Denn<br />

wer ist noch unbefangen Formen gegenüber, die einen Namen<br />

haben? Wer wählt nicht schon aus, wenn er etwas Gesicht<br />

nennt? Der Schaffende aber hat nicht das Recht, zu wählen.<br />

Seine Arbeit muß von gleichmäßigem Gehorsam durchdrungen<br />

sein. Uneröffnet gleichsam wie Anvertrautes, müssen die<br />

Formen durch seine Finger gehen, um rein und heil in seinem<br />

Werke zu sein.<br />

Und das sind die Formen in Rodin's Werk: rein und heil;<br />

ohne zu fragen hat er sie weitergegeben an seine Dinge, die<br />

wie nie berührt sind, wenn er sie verläßt. Licht und Schatten<br />

wird leiser über ihnen wie über ganz frischen Früchten und<br />

bewegter, wie vom Morgenwind darüber hingeführt.<br />

Hier muß von der Bewegung gesprochen werden; nicht in<br />

dem Sinne allerdings, in dem es oft und vorwurfsvoll geschah;<br />

denn die Bewegtheit der Gebärden, die in dieser Skulptur viel<br />

bemerkt worden ist, geht innerhalb der Dinge vor sich, gleichsam<br />

als ein innerer Kreislauf, und stört niemals ihre Ruhe und<br />

die Stabilität ihrer Architektur. Es wäre auch keine Neuerung<br />

gewesen, Bewegtheit in die Plastik einzuführen. Neu ist die<br />

Art von Bewegung, zu der das Licht gezwungen wird durch<br />

die eigentümliche Beschaffenheit dieser Oberflächen, deren<br />

Gefälle sovielfach abgewandelt ist, daß es da langsam fließt<br />

und dort stürzt, bald seicht und bald tief erscheint, spiegelnd<br />

oder matt. Das Licht, das eines dieser Dinge berührt, ist nicht<br />

mehr irgend ein Licht, es hat keine zufälligen Wendungen<br />

mehr; das Ding nimmt von ihm Besitz und gebraucht es wie<br />

sein eigenes.<br />

Diese Erwerbung und Aneignung des Lichts als Folge einer<br />

ganz klar bestimmten Oberfläche hat Rodin als eine wesentliche<br />

Eigenschaft plastischer Dinge wiedererkannt. Die Antike<br />

und die Gotik hatten, jede auf ihre Art, Lösungen dieser plastischen<br />

Aufgabe gesucht, und er hat sich in uralte Traditionen<br />

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