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Rainer Maria Rilke

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Sehr frühe schon hat man Dinge geformt, mühsam, nach<br />

dem Vorbild der vorgefundenen natürlichen Dinge; man hat<br />

Werkzeuge gemacht und Gefäße, und es muß eine seltsame<br />

Erfahrung gewesen sein, Selbstgemachtes so anerkannt zu sehen,<br />

so gleichberechtigt, so wirklich neben dem, was war. Da<br />

entstand etwas, blindlings, in wilder Arbeit und trug an sich<br />

die Spuren eines bedrohten offenen Lebens, war noch warm<br />

davon, – aber kaum war es fertig und fortgestellt, so ging es<br />

schon ein unter die Dinge, nahm ihre Gelassenheit an, ihre<br />

stille Würde und sah nur noch wie entrückt mit wehmütigem<br />

Einverstehen aus seinem Dauern herüber. Dieses Erlebnis war<br />

so merkwürdig und so stark, daß man begreift, wenn es auf<br />

einmal Dinge gab, die nur um seinetwillen gemacht waren.<br />

Denn vielleicht waren die frühesten Götterbilder Anwendungen<br />

dieser Erfahrung, Versuche, aus Menschlichem und Tierischem,<br />

das man sah, ein Nicht-Mitsterbendes zu formen, ein<br />

Dauerndes, ein Nächsthöheres: ein Ding.<br />

Was für ein Ding? Ein schönes? Nein. Wer hätte gewußt<br />

was Schönheit ist? Ein ähnliches. Ein Ding, darin man das<br />

wiedererkannte was man liebte und das was man fürchtete und<br />

das Unbegreifliche in alledem.<br />

Erinnern Sie sich solcher Dinge? Da ist vielleicht eines, das<br />

Ihnen lange nur lächerlich erschien. Aber eines Tages fiel Ihnen<br />

seine Inständigkeit auf, der eigentümliche, fast verzweifelte<br />

Ernst, den sie alle haben; und merkten Sie da nicht, wie<br />

über dieses Bild, gegen seinen Willen beinah, eine Schönheit<br />

kam die Sie nicht für gehalten hätten?<br />

Wenn es einen solchen Augenblick gegeben hat, so will ich<br />

mich jetzt auf ihn berufen. Es ist derjenige, mit dem die Dinge<br />

wieder in Ihr Leben eintreten. Denn es kann keines an Sie rühren,<br />

wenn Sie ihm nicht gestatten, Sie mit einer Schönheit zu<br />

überraschen, die nicht abzusehen war. Schönheit ist immer etwas<br />

Hinzugekommenes, und wir wissen nicht was.<br />

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