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Ausgabe lesen - Rheinkiesel

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Natur<br />

Ein wahrhaft<br />

tröstlicher Anblick<br />

Dieses Pflänzchen hat einen nahezu makellosen Lebenslauf: hübsch, zurückhaltend<br />

im Auftreten, keine unrühmliche Vergangenheit als Hexenkraut. Der Augentrost,<br />

eine nur zerstreut auftretende Blume in Wiesen, kann vielerlei Gutes bewirken –<br />

und sei es nur sein Anblick, der Freude und Frohsinn bereiten soll.<br />

So zumindest läßt sich der wissenschaftliche<br />

Name des Augentrostes<br />

deuten: Die wörtliche Über set -<br />

zung seines Gattungsnamens „Eu -<br />

phrasia“ aus dem Griechischen be -<br />

deutet so viel wie „erfreulicher An -<br />

blick“.<br />

Weit genug hinunterbeugen muß<br />

man sich dafür allerdings schon,<br />

denn die eher zierliche Blume hat<br />

Mühe, den Horizont der Gras -<br />

halme zu erreichen und sich im<br />

dich ten Grün durchzusetzen. In<br />

der Vergangenheit ist die Pflanze<br />

eher selten geworden, machen<br />

doch der Verlust von Weide- und<br />

Grünland und Intensivdüngung<br />

ihr das Leben schwer.<br />

Heilsame<br />

Augenweide<br />

Eine Wohltat für die Augen ist die<br />

Pflanze noch in einem anderen Sin -<br />

ne. Seit Jahrhunderten gilt sie als<br />

Heilpflanze bei Augenleiden aller<br />

Art. In der Volksmedizin be saß sie<br />

einen hohen Bekannt heits grad und<br />

wird bis heute verwendet.<br />

Mittelalterliches<br />

Heilkraut<br />

Im Jahre 1485 wird Augentrost<br />

erst mals nachweislich in einem<br />

Werk über den „Garten der Ge -<br />

sundheit“ (Hortus sanitatis) her -<br />

vor gehoben. Ein weiteres Mal,<br />

knapp 100 Jahre später, widmet<br />

sich der Heilkundige Ryffius ausführlich<br />

dem augerquicklichen<br />

Kraut in der „Reformierte Deut -<br />

sche Apoteck“. Die Klassiker der<br />

frühen medizinalen und naturwissenschaftlichen<br />

Literatur des er sten<br />

Jahrhunderts nach Christus, Dios -<br />

kurides und Plinius, dürften den<br />

Augentrost lediglich deswegen<br />

nicht in ihren fundamentalen<br />

Wer ken verewigt haben, weil er in<br />

deren Heimat Griechenland nicht<br />

vorkommt.<br />

Ausschlaggebend für die Ent -<br />

deckung der Heilwirkung könnte<br />

die Signaturenlehre gewesen sein:<br />

Weil die Blüten unseren Augen<br />

und Wimpern ähneln, soll die<br />

Pflanze Beschwerden dieser Or -<br />

gane lindern. Auch wenn die An -<br />

wendung solchermaßen zunächst<br />

intuitiv erfolgte, bestätigten Ärzte<br />

immer wieder die Heilwirkungen<br />

und -erfolge bei Augenleiden.<br />

Lediglich das deutsche Bundesgesund<br />

heitsamt beharrt darauf, daß<br />

die Wirksamkeit nach seinen Maß -<br />

stäben nicht ausreichend belegt<br />

sei. Das tut der weiten Anwen dung<br />

des Augentrosts jedoch keinen<br />

Abbruch. Schulmedizinische wie<br />

homöopathische Medikamente<br />

greifen bis heute auf das Kraut zu -<br />

rück, dessen gesamte oberirdische<br />

Teile verwendet werden. In verschiedenen<br />

Anwendungsformen<br />

lindert es Bindehaut- und Lid rand-<br />

Entzündungen ebenso wie Ger -<br />

sten korn, Lichtem pfind lich keit,<br />

Brennen und Augenmüdig keit.<br />

Beschwipster<br />

Augentrost<br />

Das größte Universal-Lexikon des<br />

18. Jahrhunderts beschreibt sogar<br />

die Rezeptur und Anwendung<br />

eines Augentrost-Weins. „Dieser<br />

Wein ist zu allen Gebrechen der<br />

Augen dienlich“, heißt es dort.<br />

Die Wirkung des Weins wird dort<br />

folgendermaßen beworben: „Ist<br />

Erblickt man das Blümchen, ist es<br />

tatsächlich eine kleine Wohltat für<br />

die Augen, denn die weiß gelappten<br />

Blütenblätter, deren beiden<br />

äußersten Lappen wie Fahnen<br />

nach oben geschlagen sind und<br />

eine Haube bilden, tragen auf<br />

ihrer Lippe einen gelben Fleck<br />

und feine dunkle Streifen. Sie weisen<br />

in das Innere der Blüte.<br />

Die kontrastreiche Gestaltung gilt<br />

den willkommenen Bestäuber-<br />

Insekten: Diese sehen in dem gelben<br />

Fleck ein so genanntes Saft -<br />

mal sehen und in den Linien den<br />

Wegweiser zum Nektar. Sobald<br />

die typischen Besucher wie Bienen<br />

und Schwebfliegen die Blüte an -<br />

fliegen und berühren, erhalten sie<br />

eine Dusche aus Blütenstaub.<br />

Wem diese Vorspeise nicht reicht,<br />

findet im Zentrum mit den Nek -<br />

tardrüsen noch die Quelle des<br />

Haupt gangs: Sie stellen den süßen<br />

Saft bereit, den die Pflanze mit<br />

den Blütenzeichnungen auf dem<br />

Landeplatz bewirbt.<br />

Nicht gerade in Augenhöhe: Wer den Augentrost betrachten will, muß sich tief hinunter beugen<br />

18 August 2013

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