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Ausgabe lesen - Rheinkiesel

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Natur<br />

derowegen nützlich zu gebrauchen<br />

wider das Abnehmen des Gesichts,<br />

und kräfftig, dasselbe zu schärffen,<br />

klar und lauter zu machen, vertreibet<br />

alle Blödigkeit und Dunkel -<br />

heit desselben“. Mit „Gesicht“ ist<br />

hier der Sehsinn gemeint und<br />

„Blö digkeit“ dürfte für eine geringe<br />

Sehschärfe stehen.<br />

In diesem Zusammenhang stellt<br />

sich noch die Frage nach der einzunehmenden<br />

Menge dieses heilenden<br />

Alkoholgetränks. Immer -<br />

hin macht das Buch hier – wenn<br />

auch mit vielen Andeutungen –<br />

einige der sonst eher seltenen<br />

Mengenangaben:<br />

Man muß den Trunk vorsichtig<br />

ge brauchen, denn eingenommen<br />

„in hitzigen Flüssen mehret er die<br />

Dunckelheit und Schmerzen“.<br />

Warnend schließt der Verfasser, daß<br />

Der weitläufig bekannte deutsche<br />

Name Augentrost geht auf das<br />

mittelhochdeutsche „trösten“ zu -<br />

rück, das für „Wohltun“ stand.<br />

Das Kraut war also den Augen<br />

tröstlich. Andere alte Namen sind<br />

Augendienst, Weiße Leuchte oder<br />

Tage-Leuchte, welche indirekt auf<br />

Licht und Lichtsinn Bezug nehmen.<br />

Übrigens wurden geliebte<br />

oder beliebte, jedenfalls „den Au -<br />

gen wohlgefällige Frauen“ früher<br />

gelegentlich ebenfalls als Augen -<br />

trost bezeichnet.<br />

Mit fremder Kraft<br />

Ein prächtiges Bild bietet die Pflanze dem Betrachter<br />

Gemeiner Augentrost<br />

Euphrasia rostkoviana<br />

Ordnung:<br />

Lippenblütlerartige (Lamiales)<br />

Familie:<br />

Sommerwurzgewächse<br />

(Orobanchaceae)<br />

Gattung: Augentrost<br />

Wissenschaftlicher Name:<br />

Euphrasia L.<br />

und Oktober blühen kann und<br />

diese „große Heilpflanze“ es gar<br />

nicht nötig hat, mit hohem Wuchs<br />

auf sich aufmerksam zu machen<br />

und mit den höheren Gräsern zu<br />

konkurrieren. Der Augentrost be -<br />

gnügt sich mit 20 bis 30 Zenti -<br />

meter Höhe und ist somit leicht<br />

zu übersehen. Ein tückisches Para -<br />

doxon für unsere sehschwachen<br />

Vorfahren auf der Suche nach dem<br />

rettenden „Augendienst“. Heute<br />

stellen Pharmafirmen die Ver sor -<br />

gung der Menschen, welche ge -<br />

reizte oder trockene Augen aufweisen,<br />

mit der traditionellen Heil -<br />

pflanze sicher. Sei es als Tee, Tink -<br />

tur, Tropfen oder sonstiges homö -<br />

opathisches Präparat.<br />

Wissenschaftlicher<br />

Disput<br />

Derweil setzen sich, ähnlich be -<br />

ständig, die Namensspielchen bis<br />

in unsere Zeit fort, hier jedoch auf<br />

wissenschaftlicher Ebene. Eu phra -<br />

sia gilt als „schwierige Gattung“,<br />

will heißen: Die Einordnung in<br />

die Systematik und Klärung der<br />

Verwandtschaftsverhältnisse bereiten<br />

nicht immer die reinste Freu -<br />

de, sondern nüchtern be trach tet<br />

eher Probleme. Abgesehen von der<br />

unübersichtlichen Zahl von weltweit<br />

170 Euphrasia-Arten wird die<br />

Gruppe derzeit wahlweise in die<br />

Familie der Rachenblütler oder<br />

Sommerwurzgewächse „gesteckt“.<br />

In letzterer befinden sich – verdächtigerweise<br />

– noch weitere<br />

Halbschmarotzer wie Wachtelweizen<br />

und Zahntrost.<br />

Was vor kurzem noch unter<br />

Wiesen-Augentrost als die am<br />

häufigsten bei uns auftretende<br />

Form mit Euphrasia officinalis<br />

bezeichnet wurde, ist mittlerweile<br />

in zahlreiche Formen auseinanderdividiert<br />

worden. Allerdings können<br />

nur ausgewiesene Experten sie<br />

anhand von Details unterscheiden.<br />

Allein für Deutschland werden<br />

unter dem jetzt als „Sam mel -<br />

art“ betrachteten Wiesen-Augen -<br />

trost nunmehr ein Dutzend eigenständige<br />

oder Unter- oder Klein -<br />

arten oder Varietäten gelistet.<br />

Viele Meinungen, viele Arten<br />

heißt die Gleichung. Doch Papier<br />

ist geduldig und längst nicht alle<br />

Biologen akzeptieren die vielen<br />

neuen Namen.<br />

Soviel ist sicher: Um diese alle ge -<br />

nauestens unterscheiden zu können,<br />

braucht es sehr gute Augen.<br />

Offenbar schärft der Augentrost<br />

auch sehr wirkungsvoll den wissenschaftlichen<br />

Blick. Oder – völlig<br />

untypisch: Hat er am Ende die<br />

Augen der Botaniker überreizt? •<br />

Ulrich Sander<br />

der Wein „nur kalten Na thu ren<br />

dienlich ist“ die dann aber auch<br />

„sich solchen Weins fleißig bedienen<br />

sollen“. Das Werk schließt<br />

mit der Feststellung. „Es kann<br />

keine bessere Arzney zu blöden<br />

Augen gefunden werden, als diese,<br />

und so einem der Wein zu stark<br />

wäre, der möchte ihn mit etwas<br />

Süßen brechen.“ Das sind Tips, die<br />

sicherlich gerne beachtet wurden<br />

und angesichts der Berichte dürf -<br />

ten, trotz aller heute angebrachter<br />

Skepsis, etliche Heiler fol ge eingetreten<br />

sein.<br />

Eine völlig andere Richtung weisen<br />

volkstümliche, genauer gesagt<br />

bäu er liche Namen wie Milchdieb,<br />

Weibsdieb, Heu-Schelm oder<br />

Wiesenwolf. Sie gehen möglicherweise<br />

auf die Erkenntnis zurück,<br />

daß der Augentrost ein Halb -<br />

schma rotzer ist, der zwar mit seinem<br />

Blattgrün (und wenngleich<br />

nur kleinen Laubblättern) immerhin<br />

sich selbst mit Zucker versorgen<br />

kann, aber dennoch stets auf<br />

Pflanzensaft aus Graswurzeln zu -<br />

rückgreift. Diese zapft er mit Hilfe<br />

seiner Saugwurzeln an – aus Sicht<br />

der Bauern schwächte er damit das<br />

nahrhafte Gras und raubte so den<br />

Kühen die Milch. Möglicherweise<br />

erklärt dieses Anzapfen anderer<br />

Quellen warum er zwischen Mai<br />

August 2013 19

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