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$~lMfM~l!J!\lY~ ein Beitrag von Ralf KOssner aus dem Literaturwettbewerb LANGLAUF im Rahmen<br />
des Edersee-Super-}Vlarathon 2000<br />
Werner Thon war 1922 einer der wenigen SchOler der Dorfschule<br />
von Schuckenbaum. In der einzigen Klasse der beschaulichen<br />
Schule gingen 14 SchOler sehr unterschiedlichen<br />
Alters. Neben Wemer und seinen 11 MitschOlerlnnen, besuchten<br />
nur noch Heinz Ebenkampf und GOnther Schrebe die Klasse.<br />
Schuckenbaum war ein ruhiges Dorf. Wenige der hier lebenden<br />
Familien waren im Ort geboren. Die meisten kamen aus dem<br />
benachbarten Bielefeld, andere waren vor Jahren aus dem<br />
Oldenburger Land ins estliche Westfalen gezogen. Werner's<br />
Gro~vater kam 1878 aus dem bayerischen Wald. Er war ~Is<br />
Zimmermann auf der Wanderschaft und hatte in Schuckenbaum<br />
bei Werner's Gro~mutter die Liebe gefunden.<br />
Oberwiegend gingen die Einwohner des 350 Seelen Dorfes der<br />
Landwirtschaftnach, einige Handwerksberufe gesellten sich<br />
hinzu. Die meisten der im Fachwerkstil errichteten Hauser<br />
standen entlang der Hauptstra~e, die das Dorf durchschnitt.<br />
Rechts und links der Stra~e lagen in zweiter und dritter Reihe<br />
noch einige Hauser und Hofe. Die restlichen Gemeindemitglieder<br />
lebten auf, verstreut um den Dorfkern herum gelegenen,<br />
Hofen.<br />
Wer mochte das lange Sitzen im Schulhaus nicht. Er freute sich<br />
auf die Tumstunde und war besonders eifrig am Nachmittag,<br />
wenn er am Rande des Dorfes mit Heinz und GOnther herumtollen<br />
konnte. Rechnen und Schreiben langweilten Werner und<br />
so bekam er manches Mal den Rohrstock des alten Studienrates<br />
Wiegenholm zu spOren.<br />
Werner wohnte im· Dorf in einem der Hauser, die etwas abseits<br />
der Stra~e standen. Mit ihm lebte seine Schwester Hanne,<br />
seine Eltern und die Gro~mutter in dem kleinen Haus. Der<br />
Gro~vater war eines Tages mit starkem Husten von einer Baustelle<br />
heimgekehrt. bekam kurz darauf Fieber und starb nur<br />
wenige Tag danach zum Schmerz der ganzen Familie. Die<br />
harte korperliche Arbeit bestimmte den Alltag der Thons. Ihre<br />
Verhaltnisse waren armlich und so lebte man bescheiden mit<br />
den Dingen, die man hatte. Ais Werner 1910 zur Welt kam<br />
wurde es eng im Haus, man musste zusammenrOcken. Vater<br />
Thon arbeitete auf einem der GutshOfe in Dorfnahe. Er verlie~<br />
frOh das Haus, ging zu Fu~ zur Arbeitsstelle und kam oft erst<br />
am Abend zurOck. Da die Familie mit dem Lebensunterhalt<br />
einige Sorgen hatte, nahm Herr Thon jede Zusatzschicht gerne<br />
an. Die Hoffnung, der Familie war Hanne, Werner's altere<br />
Schwester. Sie sah bezaubemd aus, war stets frohlich und<br />
verstand sich wohl zu benehmen. Zudem war sie intelligent, las<br />
gerne und das Lernen fiel ihr leicht. Aile waren stolz auf Hanne<br />
und jeder glaubte. sie kenne es zu etwas ganz Besonderem<br />
bringen. Werner dagegen war klein und von Statur. Seine Nase<br />
verriet einen seltsamen Knick etwa auf ihrer Halfte. Wemer<br />
hatte kurzes dunkles Haar und seine Hautfarbe gab Zeugnis<br />
von den vielen Stunden, die er in der Natur verbrachte. Was er<br />
tat, ging nicht schnell, doch er war geduldig, beharrlich. Er war<br />
nicht muskulos, eher dOrr, aber ausdauemd. Die Schultern<br />
hingen schlaff an seinem dOrren Hals herunter. Vater Thon<br />
walzte sich manche Nacht in Sorge Ober die Zukunft des Sohnes<br />
in den Schlaf.<br />
Werner dagegen sorgte'sich wenig um seine Zukunft. Er rannte<br />
viel lieber mit den anderen Jungen im Dorf herum, lag traumend<br />
unter dem Baum am Dorfplatz, genoss den Gesang der<br />
Vogel und den Wind in seinem Haar. Abends, wenn die Dammerung<br />
kam, lief Werner seinem Vater entgegen, um ihn abzuholen.<br />
War er zu frOh, so wartete er und sah sich auf dem Hof<br />
um. Dieser <strong>Teil</strong> des Tages machte ihm besonders viel Freude.<br />
War er anfangs noch langsam geschlendert, so hatte er nach<br />
und nach begonnen im Dauerlauf dem Hof entgegenzustreben.<br />
Zunachst gelang ihm ob seiner Schwachatmigkeit nur ein kleines<br />
Stock. Doch mehr und mehr stieg seine Ausdauer und bald<br />
schaffte er den ganzen Weg ohne Pause.<br />
Ais Werner 1924 die Schule verlie~, machte sich jeder Sorgen<br />
um seine Zukunft, au~er er selbst. Landwirtschaft kam fOr ihn<br />
nicht in Frage, Schreibarbeit schon ganz gewiss nicht. So kam<br />
es, dass Werner als Gehilfe des Postboten Grans arbeitete.<br />
Postbote Grans war ein gutmutiger alter Mann, der bei allen im<br />
Dorf angesehen war. Er wOrde Werner helfen, sich in die Zustellung<br />
der Briefe und Telegramme einzufinden.<br />
Anfangs gingen die zwei die gesamte Strecke zusammen. FOr<br />
Werner war das mOhselig, weil der alte Grans so gar nicht sein<br />
Tempo hatte. Werner fand sich schnell zurecht und bald versorgte<br />
er die umliegenden Hofe mit den Briefen, wahrend<br />
Grans die Dorfstra~e betreute. Vieles von seinem.Tun machte<br />
Werner Freude. Er war in der Natur, musste nicht lange sitzen<br />
oder schwierige Fragestellungen losen. Und er konnte laufen.<br />
Mehr und mehr verteilte er die Sendungen im Laufschritt Ober<br />
die Hofe und war bald schneller mit dem Verteilen fertig, als der<br />
alte Grans. Auch die Thons waren zufrieden, als sie sahen, wie<br />
ihr Sohn in der Arbeit aufging. So kam es, dass der alte Grans<br />
1933 die Arbeit aufgab und sich in seinem kleinen Haus am<br />
Waldesrand zur Ruhe setzte. Wemer versorgte nun das ganze<br />
Dorf und die Hofe. Das Dorf war zudem durch einige neue<br />
Hauser gro~er geworden. In eines dieser Hauser war die Familie<br />
MOiler mit ihren 3 Kindem eingezogen. Die alteste Tochter<br />
der MOilers, Clara, war nur wenig jOnger als Werner. Angangs<br />
hatten die zwei sich nur f10chtig bemerkt, aber nach einiger Zeit<br />
zog es Werner immer wieder zum Haus der MOilers. War er im<br />
Dorf schnell herum, so wurde er in der Nahe des MOllerschen<br />
Hauses langsam, suchte das Gesprach mit den Bewohnem<br />
und hoffte auf einen Blick zu Clara. Vielleicht hatte er gar GlOck<br />
und sie wOrde ihm ein paar Worte schenken. Clara war der<br />
junge, braungebrannte Mann gleich aufgefallen. Ebenso<br />
schmeichelte ihr sein Streben, fOr einige Momente langer in<br />
ihrer Nahe zu sein. Werner's Neugier wandelte sich in Aufregung,<br />
wenn er sich dem Hause MOiler naherte. Eines Tages<br />
fasste er seinen Mut und stellte Clara einen Brief zu, den er<br />
selbst geschrieben hatte. In wenigen, ungelenk geschriebenen<br />
Zeilen offenbarte er ihr seine Zuneigung und bat um ihre Antwort<br />
bei einem Treffen am Fischteich au~erhalb des Dorfes.<br />
Tatsachlich kam Clara zum gebetenen Ort und erwiederte<br />
seine GefOhle, bewegt von seinem Werben.<br />
Die Wege der zwei kreuzten sich nun ofter. Waren die Begegnungen<br />
zu Beginn eher im Geheimen. so wurde der Anblick<br />
des Paares bald zu einem vertrauten Bild. 1m Mai 1935 gab<br />
Clara ihrem Werner schlie~lich ihr Ja-Wort in der Dorfkirche zu<br />
Schuckenbaum. Sie erwarben ein kleines Haus an der Dorfstra~e<br />
und richteten<br />
Vollkommen wurde ihr<br />
GlOck nur ein Jahr<br />
spater, als Clara ihre ........<br />
sich dort ein.<br />
,<br />
,<br />
Tochter Mara zur Welt •<br />
brachte. Mara wuchs zur<br />
besonderen Freude ihres<br />
Vaters heran. Die beiden<br />
verstanden sich prachtig<br />
und wann immer es ging,<br />
sah man sie miteinander<br />
an der frischen Luft herumtollen.<br />
Mara hatte ahn<br />
Iich wie ihr Vater einen<br />
dunklen Hauttyp, war zart<br />
von<br />
Statur und sehr vertraumt.<br />
Oft sa~ sie lange am<br />
Fenster und beobachtete, wie die Regentropfen daran herunter<br />
liefen. Am liebsten trug sie die karierten Kleider, die ihre Mutter<br />
fOr sie nahte. Selbst im Winter mochte sie nicht von ihnen lassen,<br />
dann trug sie jedoch eine Hose darunter. Wann immer es<br />
die Zeit zulie~, lief Mara mit ihrem Vater, wenn dieser die Post<br />
verteilte. Werner ging dann langsamer als sonst. Er war stolz,<br />
wenn seine Tochter mit ihm durchs Dorf zog. Mara hatte wie ihr<br />
Vater viel Ausdauer. Ihr Tempo wurde schneller, Vater und<br />
Tochter erlebten so viele gemeinsame und glOckliche Stunden<br />
beim austragen der Briefe.<br />
Die Zeiten im Lande jedoch veranderten sich. Der Krieg lie~<br />
auch die Idylle von Schuckenbaum nicht unberOhrt. Waren<br />
o UL TRA-MARA THON 1/2001