Ausgabe Dezember/Januar 2006/2007 - Martin-Luther-Kirche
Ausgabe Dezember/Januar 2006/2007 - Martin-Luther-Kirche
Ausgabe Dezember/Januar 2006/2007 - Martin-Luther-Kirche
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
AUS GEMEINDE, KIRCHE UND AUS ALLER WELT<br />
Die Maus im Esel<br />
Von der Restaurierung der Neuköllner Krippe der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Kirche</strong><br />
Vor 15, 16 oder 17 Jahren hatte die damals<br />
noch neue, bis heute aber noch immer<br />
junge Pfarrerin unserer Gemeinde,<br />
Monika Weber, die Idee, zusammen mit<br />
Konfirmandinnen und Konfirmanden<br />
eine lebensgroße Neuköllner Krippe zu<br />
bauen.<br />
Den Stall zuerst, mit Nut- und Federbrettern<br />
zusammengeschustert und gleich, wie in<br />
Neukölln üblich, mit Graffitis und Sprüchen<br />
besprüht und beschmiert. Dann war Maria<br />
dran und im Jahr darauf Josef und nach und<br />
nach all die anderen lieben bekannten Gestalten:<br />
die Körper aus Kaninchenstalldraht,<br />
in den die Konfis eingewickelt und wieder<br />
herausgeschnitten wurden, mit Pappmaché<br />
stabilisiert; Gesichter und Hände aus Gipsmasken,<br />
abgenommen von den Gesichtern<br />
und Händen von Konfirmandinnen und<br />
Susanne Kirmis bei der Arbeit<br />
Foto: Kirmis<br />
Konfirmanden; die Kleidung aus Basarspenden<br />
zusammengestoppelt.<br />
Kaum war diese erste Neuköllner Krippe<br />
vor ungefähr zehn Jahren fertig, da fiel sie<br />
Ludmila, einer russischen Schneiderin, die<br />
damals als ABM Kraft bei uns arbeitete, in<br />
die Hände. Sie fand sie so heruntergekommen<br />
und bat so inständig darum, dass sie<br />
sie schließlich komplett neu einkleiden<br />
durfte – nach der Vorlage eines ziemlich<br />
kitschigen Krippenbildes aus ihrer orthodoxen<br />
Bibel. Das war das vorläufige Ende<br />
der Neuköllner Krippe. Aber auch an der<br />
orthodoxen Krippe nagte der Zahn der Zeit:<br />
Als letztes Jahr ein paar Tage vor Weihnachten<br />
die ganze Gesellschaft aus dem<br />
Sommerquartier aus dem Kirchturm in die<br />
Sakristei umgezogen war, waren die Verstümmelungen<br />
und die allgemeine Verwahrlosung<br />
unübersehbar.<br />
An das, was dann geschah, erinnern sich<br />
Sabine Funke, gelernte Porzellanmalerin<br />
und ehrenamtliche Mitarbeiterin in unserer<br />
Kita und ihrer Küche, und Susanne Kirmis,<br />
Leiterin der Kindertöpferwerkstatt in unserem<br />
<strong>Kirche</strong>nkeller, in einem Gespräch mit<br />
Pfr. Dieter Spanknebel.<br />
D.Sp.: „Sabine, erinnerst du dich noch?“<br />
Sabine Funke: „Ja, ja, ein paar Pinselstriche<br />
drei Tage vor Weihnachten sollten<br />
es werden …“<br />
D.Sp.: „Und dann?“<br />
Susanne Kirmis: „ … Na, dann ist eine<br />
völlige Restaurierung und Neugestaltung<br />
der Krippe dabei herausgekommen. Aber<br />
das ging auch gar nicht anders: als ich den<br />
Engel letztes Jahr gesehen habe, der war ja<br />
so krank und elend, dass ich einen richtigen<br />
Schrecken bekommen habe. Und auch dem<br />
Rest der heiligen Familie ging es nicht besser.“<br />
Sabine Funke: „Ja, das war schon nötig,<br />
sie alle von Grund auf zu restaurieren. Aber<br />
mit der von dir gewünschten Umgestaltung<br />
wieder zu einer Neuköllner Krippe hatte<br />
und habe ich so meine Schwierigkeiten.“<br />
Susanne Kirmis: „Ich auch: Maria mit<br />
dem Bauchnabelpiercing, wenn das mal<br />
nicht zu einem Aufschrei der Empörung<br />
führt. Andererseits bringt einen das vielleicht<br />
auch dazu, sich mit der Weihnachtsgeschichte<br />
und Jesus auseinanderzusetzen.“<br />
D.Sp.: „Ja, genau das soll es ja bewirken.<br />
Und dass ihr euch auf diese Neugestaltung<br />
eingelassen habt, obwohl ihr davon nicht<br />
völlig überzeugt wart und seid, das finde<br />
ich besonders toll. Hat es denn trotzdem ein<br />
bisschen Spaß gemacht?“<br />
Susanne Kirmis: „Ein bisschen? Das hat<br />
mir einen Riesenspaß gemacht. Ich habe ja<br />
fast das ganze Jahr mit der ganzen Gesellschaft<br />
verbracht. Ganz am Anfang habe ich<br />
einmal abends, als meine Familie schon im<br />
Bett lag, alle Figuren zu mir ins Wohnzimmer<br />
geholt, mit ihnen schöne Musik angehört<br />
und mich mit ihnen unterhalten: Richtig<br />
ans Herz gewachsen sind sie mir.“<br />
D.Sp: „Überhaupt. Was hat denn deine Familie<br />
zu dieser Einquartierung gesagt?“<br />
Susanne Kirmis: „Für die war das o.k..Wir<br />
haben alle unsere Hobbies und pflegen sie.<br />
Und Reiner, mein Mann, hat mir als ehemaliger<br />
Krankenpfleger sogar geholfen, die Figuren<br />
zu wickeln.“<br />
D.Sp.: „Zu wickeln? Was heißt denn das?“<br />
Susanne Kirmis: „Das verrate ich nicht.<br />
Die neue Maria und das Jesuskind<br />
Foto: Betz<br />
Künstlergeheimnis. Mein Mann hat nur einmal<br />
– vergeblich – zu intervenieren versucht,<br />
als ich unseren Lüster geplündert habe<br />
für den Schmuck der Königin.“<br />
D.Sp.: „Aber …“<br />
Susanne Kirmis: „Keine Angst, längst<br />
erledigt und alles geregelt. Ein bisschen<br />
Angst hatten wir allerdings alle, als wir mit<br />
dem Esel aus dem Kirchturm in unsere Küche<br />
kamen und unser ansonsten ruhiger braver<br />
Hund sich nicht einkriegen konnte, an<br />
dem Esel hochsprang und wie wild bellte.<br />
Bis wir das niedliche Mäusenest im Bauch<br />
des Esels entdeckten und keineswegs sicher<br />
waren, ob es tatsächlich leer war.“<br />
D.Sp.: „Ich weiß gar nicht, wie wir euch<br />
danken können für all eure …“<br />
Susanne Kirmis: „Moment mal – Du hast<br />
ja den neuen hübschen schwarzen König<br />
noch gar nicht gesehen und außerdem bin<br />
ich mit der Krippe noch gar nicht fertig.<br />
Nach dem 6. <strong>Januar</strong> hole ich sie alle wieder<br />
zu mir. Ich glaube, so richtig fertig werde<br />
ich mit dieser Krippe nie.“<br />
Dieter Spanknebel<br />
Seite 8 GEMEINDEzeitung <strong>Dezember</strong> <strong>2006</strong> | <strong>Januar</strong> <strong>2007</strong>