Das Magazin 01/13 - Mwk-koeln.de
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Jonathan Nott<br />
Christian Tetzlaff<br />
»Schönheit<br />
ist <strong>de</strong>r<br />
Feind <strong>de</strong>s<br />
Ausdrucks!«<br />
Christian Tetzlaff spielt das<br />
Violinkonzert Nr. 1 von Schostakowitsch<br />
Er hat die Figur eines Turners und <strong>de</strong>n Haarschnitt eines Schwimmers.<br />
Mit seiner hohen Denkerstirn und <strong>de</strong>n blauen Augen, die sehr direkt gucken<br />
und zuweilen auch sehr entrückt, kann man ihn sich auch als Dozent<br />
im Philosophie-Seminar vorstellen. Doch Christian Tetzlaff ist Geiger –<br />
aber nicht nur. Er ist Solist, Duopartner und Kammermusiker, Spezialist<br />
für Bach, für Klassik und Romantik, für das 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt – also eher<br />
ein Generalist mit unglaublichem Wissen und enormem Anspruch. Er ist<br />
Dozent und Familienvater, Vollblutmusiker und Privatmensch, ein Nord<strong>de</strong>utscher<br />
mit Wohnsitz bei Frankfurt, ein Weltenbummler, <strong>de</strong>r gern nach<br />
Hause kommt. Christian Tetzlaff ist ein sehr eindrucksvoller Mensch.<br />
Der finnische Dirigent Esa-Pekka Salonen, mit <strong>de</strong>m Tetzlaff seit mehr als<br />
zwanzig Jahren zusammenarbeitet, sagt über ihn: »Was mich je<strong>de</strong>s Mal<br />
überwältigt, wenn ich ihn spielen höre und wenn ich selbst mit ihm zusammenarbeite:<br />
<strong>Das</strong>s bei ihm nicht die Violine im Mittelpunkt steht. Es<br />
geht um Musik und ihre Umsetzung, um Abstraktion, die zur Wirklichkeit<br />
wird, mithilfe <strong>de</strong>r Geige. Er spielt sie extrem gut, aber darum geht es ihm<br />
nicht.«<br />
Christian Tetzlaffs Eltern lernten sich im Kirchenchor kennen und machten<br />
zu Hause Kammermusik. <strong>Das</strong> hat offenbar alle vier Tetzlaff-Kin<strong>de</strong>r<br />
geprägt: Sie schlugen allesamt die Musikerlaufbahn ein. Angela, die<br />
Älteste, unterrichtet Flöte an <strong>de</strong>r Musikhochschule in Lübeck, <strong>de</strong>r ältere<br />
Bru<strong>de</strong>r Stephan ist Generalmusikdirektor am Stadttheater Bremerhaven<br />
und Tanja, die Jüngste, ist Cellistin im Tetzlaff-Quartett, in <strong>de</strong>m Christian<br />
Violine spielt. Kammermusik hat für ihn einen sehr hohen Stellenwert<br />
und Termine für Konzerte und Aufnahmen mit seinem Quartett und mit<br />
vielen an<strong>de</strong>ren versierten Musikern, die diese Lei<strong>de</strong>nschaft teilen, fin<strong>de</strong>n<br />
auf gera<strong>de</strong>zu mirakulöse Weise ihren Platz im übervollen Terminkalen<strong>de</strong>r.<br />
Der Pianist Lars Vogt, mit <strong>de</strong>m Christian Tetzlaff befreun<strong>de</strong>t ist und<br />
mit <strong>de</strong>m er regelmäßig zusammen auftritt, berichtet: »Ich kenne kaum<br />
jeman<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r so viel über Musik weiß, <strong>de</strong>r aber gleichzeitig so ein intuitiver<br />
und wil<strong>de</strong>r Musiker ist, <strong>de</strong>r über <strong>de</strong>n Bauch einen Zugang zur Musik<br />
fin<strong>de</strong>t.«<br />
Christian Tetzlaff spielt ein mo<strong>de</strong>rnes Instrument <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Geigenbauers<br />
Peter Greiner und entlockt ihm eine große Bandbreite an Klangfarben.<br />
Raues und Fahles haben dabei ebenso ihre Berechtigung wie<br />
Weiches und Strahlen<strong>de</strong>s. Christian Tetzlaff warnt vor <strong>de</strong>m inflationären<br />
Umgang mit <strong>de</strong>m Schönklang: »Der Zuhörer hat irgendwann kein Ohr<br />
mehr für die schönsten Klänge, wenn sie nur für beliebige, unwichtige<br />
Dinge eingesetzt wer<strong>de</strong>n.« Zu seinen Stu<strong>de</strong>nten sagte er einmal mit<br />
gespieltem Ernst: »Schönheit ist <strong>de</strong>r Feind <strong>de</strong>s Ausdrucks!« Er glaubt,<br />
dass zu viel Schönheit das narrative Potenzial eines Stücks limitiert. Dieses<br />
»narrative Potenzial« ist im Violinkonzert Nr. 1 von Schostakowitsch<br />
reichlich vorhan<strong>de</strong>n. Eine dunkle Welt tut sich da auf, das Konzert ist bald<br />
Trauerklage, bald spöttisches Gelächter. Schostakowitsch schrieb es für<br />
<strong>de</strong>n großen russischen Geiger David Oistrach und dieser sah sich eher<br />
in <strong>de</strong>r Rolle eines Schauspielers als in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Geigers. <strong>Das</strong> Werk ist eine<br />
sehr willkommene Herausfor<strong>de</strong>rung für Christian Tetzlaff. »Ich glaube,<br />
dass Musik die am höchsten entwickelte Errungenschaft <strong>de</strong>s Menschen<br />
ist, noch vor <strong>de</strong>r Malerei und <strong>de</strong>r Literatur, <strong>de</strong>nn sie ist mysteriöser, magischer<br />
und sie übt ihre Wirkung auf so direktem Weg aus. Aus Blei Gold<br />
zu machen, ist ein Kin<strong>de</strong>rspiel im Vergleich zu <strong>de</strong>r Kunst, etwas Mechanisches<br />
wie ein Instrument zu nehmen – eine Saite und einen Bogen – und<br />
damit eine menschliche Seele heraufzubeschwören.« Dorle Ellmers<br />
Konzerttermin<br />
24.03.2<strong>01</strong>3 Sonntag 18:00<br />
Christian Tetzlaff Violine<br />
Junge Deutsche Philharmonie<br />
Jonathan Nott Dirigent<br />
Dmitrij Schostakowitsch Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 a-Moll op. 99<br />
Gustav Mahler Sinfonie Nr. 9 D-Dur<br />
€ 32,– 27,– 21,– 16,– 12,– 10,– | Z: € 21,–