<strong>Festschrift</strong> <strong>75</strong> JAHRE SCHULLANDHEIM HOlSDORF
<strong>75</strong> JAHRE SCHULLANDHEIM HOlSDORF Vorwort von Horst Rittmüller Wie es sich gehört, erscheint zum <strong>75</strong>-jährigen Jubiläum unseres Schullandheims eine <strong>Festschrift</strong>. Und es gibt dazu Anlaß genug. Mag das Schullandheim "Holstentor" auch nicht das erste sein, das als solches in Deutschland gegründet wurde, so ist es meines Wissens jedoch das älteste in seiner herkömmlichen Gestaltung in unserem Land noch erhaltene, also nicht das erste, jedoch das älteste. Nicht nur das, es ist aufs engste mit einem Manne verbunden, der "der exponierteste Vertreter der deutschen Schullandheimbewegung, nicht nur in Hamburg, sondern in ganz Deutschland war", wie Tobias Mittag in seiner Examensarbeit mit dem Thema "Zur Geschichte der deutschen Schullandheimbewegung von den Anfängen in der Weimarer Republik bis zur Zeit nach dem zweiten Weltkrieg unter besonderer Berücksichtigung Heiruich Sahrhages" auf Seite 3 schreibt, nämlich mit Dr. Heinrich Sahrhage. ( In dieser <strong>Festschrift</strong> findet sich auch ein Artikel von Klaus Kruse und Tobias Mittag zur Geschichte unseres Schullandheims. ) Sicherlich ist Sahrhages Wirken aus heutiger Sicht kritisch zu sehen, denn er hat nicht nur die Schullandheimbewegung auch während des ]\iationalsozialismus in entscheidender Funktion vertreten, sondern war auch als Gausachbearbeiter für die Kinderlandverschickung in Hamburg tätig, bekleidete also maßgebliche Posten in dieser Zeit. Das setzte sicherlich auch Linientreue voraus. Zwar hat sich die Schullandheimbewegung vehement gegen die Einvernahme durch die Hitlerjugend gewehrt, hat sich aber auch zum Teil durch vorauseilenden Gehorsam der damaligen Führung angedient, um zu prosperieren. Andererseits hat Heinrich Sahrhage große Arbeit für unser Heim und die Schullandheimbewegung geleistet. Ohne ihn gäbe es unser Heim nicht und vielleicht auch einige andere Heime nicht oder nicht mehr. Vielleicht ist es aber auch vermessen, versehen mit der "Gnade der späten Geburt", über Sahrhage aus heutiger Sicht zu richten. Deshalb haben wir Sahrhage im Artikel von Dr. Stoltenberg vornehmlich selbst zu Wort kommen lassen. Wir sind uns der Problematik dessen bewußt, tun dies jedoch, damit sich ein jeder selbst ein Bild machen kann. Auch mit den unbequemen Punkten der Vergangenheit muß man sich auseinandersetzen. Dies gebietet die historische Aufrichtigkeit. Die reiche Tradition unseres Heims bietet jedoch überwiegend positive Rückblicke. Geboren wurde es <strong>1922</strong> als Ausfluß der damaligen Kulturkritik und der damit verbundenen Reformpädagogik. Die Inhumanität, der Stumpfsinn und der Leistungsdruck der Industriegesellschaft der Jahrhundertwende und die Hinwendung der Menschen zum Materiellen, zu Pomp und Kitsch, mißfiel insbesondere der damaligen Jugend. In der Schule wandte man sich gegen die einseitige Betonung des Kognitiven, die Vernachlässigung des Schöpferischen. Die Reformpädagogen propagierten Naturverbundenheit, Persönlichkeitsbildung, Primat der Erziehung gegenüber der Wissensvermittlung, Gemeinschaftserlebnis, geistige Selbsttätigkeit, Unterrichtsform des Erlebens, praktisches Arbeiten, Schulwerkstätten. Betrachtet man die heute aktuelle Diskussion in den Schulen und insbesonqere unsere Gedanken zur Bildung des Profils unserer Schule, so hört man Begriffe wie ökologisches Denken, ganzheitliche Erziehung, Sozialpraktikum nach außen und innen, Teamarbeit, Interaktion, Realbegegnung, eigenständiges Erarbeiten von Inhalten, offener Unterricht, außerschulische Lernorte, Projektunterricht, Handlungsorientierung, Hinführung auf das Berufsleben (ITB). Ich meine, dies alles ist bereits im Satz zuvor zu lesen gewesen. Sicherlich waren die Reformpädagogen für ihre Zeit fortschrittlich. Es verwundert nicht, daß das staatliche Schulsystem den pädagogischen Stand von vor 1933 nicht über den Nationalsozialismus hinweg retten konnte. Heute - mehr als 50 <strong>Jahre</strong> nach dem zweiten Weltkrieg - sind die Zielsetzungen fortschrittlicher Pädagogen - wenn auch mit anderen Begrifflichkeiten ähnlich denen der Reformpädagogen, aus welchen heraus u.a. die Schullandheimbewegung entstand. Ein Heim wie unseres eignet sich in vielfältiger Form zur Umsetzung dieser <strong>Festschrift</strong> ~ _ Seite 1