Dezember 2003 - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
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Hilfe für das arme Gartenreich<br />
Was kann eine Kommission für den Dessau-Wörlitzer Kulturkreis tun?<br />
Schon vor einem Vierteljahrhundert taten<br />
sich Historiker, Kunstwissenschaftler<br />
und andere Kulturinteressierte zusammen,<br />
weil sie sich sorgten um die<br />
Zukunft einer großen Vergangenheit.<br />
....................................................................................................<br />
Zwar wirkten auch zu DDR-Zeiten die<br />
Schlösser, Parks und Gärten der Region<br />
um Dessau, Oranienbaum und<br />
Wörlitz auf Touristen aus dem In- und<br />
Ausland wie Magneten, und es wurde<br />
hier und da gelegentlich ein wenig<br />
neue Tünche aufgetragen – dennoch<br />
schien der innere und äußere Verfall<br />
unaufhaltsam zu sein.<br />
Zu jenen, die in den 60er Jahren des<br />
20. Jh. den Grundstein legten für die<br />
„Kommission zur Erforschung und Pflege<br />
des Dessau-Wörlitzer Kulturkreises“,<br />
kurz „Dessau-Wörlitz-Kommission“,<br />
ganz kurz „DWK“ genannt, gehören<br />
der Kulturhistoriker Prof. Dr. Erhard<br />
Hirsch (von dem noch die Rede sein<br />
wird), der Leiter der Zentralen Kustodie<br />
und des Archivs der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<br />
<strong>Halle</strong>, der Altstadt von Quedlinburg,<br />
dem Oberharzer Erzbergwerk Rammelsberg<br />
und dem Bauhaus Dessau –<br />
offiziell zum UNESCO-Weltkulturerbe.<br />
Nun fließt zwar Geld aus vielen Quellen,<br />
doch um allen Erfordernissen zu<br />
genügen, reicht es nicht.<br />
Luisium von der Seite des Gartens / Chalkographische Gesellschaft zu Dessau 1799, Aquatinta von<br />
Christian Haldenwang nach Heinrich Theodor Wehle. In: Anette roesch, Das Luisium bei Dessau.<br />
Gestalt und unktion eines fürstlichen Landsitzes im Zeitalter der Empfindsamkeit, München/Berlin 2002<br />
(orschungen zum Gartenreich Dessau-Wörlitz 1, herausgegeben im Auftrag der Dessau-Wörlitz-Kommission<br />
an der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-<strong>Wittenberg</strong> von Adrian von Buttlar), S. 23<br />
<strong>Universität</strong>, Dr. Ralf-Torsten Speler, sowie<br />
der Physiker und Altrektor Prof. Dr.<br />
Dr. Gunnar Berg. Im Lauf der Zeit fanden<br />
sich viele Mitstreiter, so dass vor<br />
allem seit der Wende die Hoffnung auf<br />
dauerhafte Restauration und Rettung<br />
dieses einzigartigen kulturellen Erbes<br />
stetig wuchs.<br />
Sponsoren und Mäzene<br />
In den letzten dreizehn Jahren ist es<br />
gelungen, sowohl gegenüber der Landesregierung<br />
von Sachsen-Anhalt als<br />
auch bei der Bundesregierung, Interessen<br />
und dringende Bedürfnisse der<br />
Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft so<br />
zu vertreten, dass jetzt allenthalben<br />
kein Zweifel mehr besteht an deren Bedeutung<br />
und finanziellem Bedarf. Mehrere<br />
Gremien engagieren sich auf diesem<br />
weiten eld und bemühen sich zunehmend<br />
um Bündelung ihrer vielfältigen<br />
Initiativen. Die veränderten Rechtsräume<br />
der Nachwendezeit nutzend,<br />
wurde 1994 die Kulturstiftung Dessau-<br />
Wörlitz erneut ins Leben gerufen, in<br />
der durch jüngste Gebietsüberschreibungen<br />
die alte Tradition der Joachim-<br />
Ernst-Stiftung aufgehoben wird. Das<br />
Dessau-Wörlitzer Gartenreich fand<br />
Aufnahme in die Liste der „Leuchtturm-<br />
Projekte“ der deutschen Bundesregierung;<br />
seit dem Jahr 2000 gehört es –<br />
als siebentes in Sachsen-Anhalt neben<br />
den <strong>Luther</strong>stätten Eisleben und <strong>Wittenberg</strong>,<br />
den ranckeschen Stiftungen in<br />
führender Assistent des Interdisziplinären<br />
Zentrums zur Erforschung der Europäischen<br />
Aufklärung [IZEA] an der<br />
MLU) und Dr. Holger Zaunstöck (Institut<br />
für Geschichte) organisierte und<br />
vom Prorektorat für orschung der<br />
halleschen <strong>Universität</strong> unterstützte Jahrestagung<br />
<strong>2003</strong> unter dem medienwirksamen<br />
Thema: „Luise von Anhalt-<br />
Dessau und die ürstinnen der Aufklärung“.<br />
Und tatsächlich: Nicht nur<br />
ReferentInnen und geladene Gäste<br />
strömten in den Tischbeinsaal des<br />
Georgiums, sondern viel Volk aus<br />
Dessau und Umgebung, das endlich<br />
einmal wissen wollte, wie es vielleicht<br />
wirklich um die legendäre Landesmutter<br />
Luise und ihre adligen Zeit- und<br />
Geschlechtsgenossinnen bestellt war.<br />
„Wörlitz – Englischer Garten<br />
oder Südseemythos?“ war ein<br />
Beitrag von Monika Lindner in<br />
der „scientia halensis“ (<strong>Universität</strong>szeitung,<br />
November 1997,<br />
Seiten 6/7) überschrieben.<br />
Dass dies knapp acht Jahre vor dem<br />
200. Todestag der „empfindsamen<br />
Seele“ geschah, lässt Absicht vermuten:<br />
Rechtzeitig wird begonnen, Lücken<br />
im Luisenbild zu füllen, denn zweifellos<br />
ist sie – für die Dr. Zaunstöck „lucht<br />
als Lebensmetapher“ konstatiert – „bislang<br />
in der orschung zu kurz gekommen“.<br />
Sein Kollege Dr. Haefs stellte<br />
die ürstin mit ihrer Affinität zu Reisen<br />
Dessau-Wörlitz-Kommission und Kulturstiftung DessauWörlitz ...<br />
... sind organisatorisch streng voneinander getrennt – erstere ist der wissenschaftlichen,<br />
letztere der praktischen Arbeit für das Gartenreich verpflichtet.<br />
Die seit dem Jahr 2000 am IZEA und damit an der MLU verankerte DWK<br />
kooperiert jedoch, wie die Jahrestagung <strong>2003</strong> deutlich zeigte, aufs Engste<br />
mit der Kulturstiftung und der Stadt Dessau.<br />
Nähere Informationen: http://www.izea.uni-halle.de/dwkomm.htm und<br />
http://www.gartenreich.de/<br />
oto: Heinrich Dilly<br />
Eine ürstin als PR-aktor<br />
Neben den Grabenkämpfen der Haushaltsdebatten<br />
– verschärft vom Tarifmodell,<br />
das Sachsen-Anhalt seinen<br />
Landesbediensteten diktiert – gilt es,<br />
auch auf anderem Terrain gutwillige<br />
Helfer und potente Geldgeber zu finden.<br />
Wie man das macht? Am besten<br />
mit Öffentlichkeitsarbeit, neudeutsch<br />
„Public Relations“ oder „PR“ genannt.<br />
Ideal sind wissenschaftliche Tagungen<br />
zu ragen, die jedermann (und jede<br />
rau) interessieren. olgerichtig stand<br />
die von den Vorstandsmitgliedern der<br />
DWK Dr. Wilhelm Haefs (Geschäftsund<br />
Religion, Dichtung und Musik in<br />
den Kontext der allgemeinen „ürstinnenforschung“<br />
im Zeitalter der Aufklärung<br />
und interpretierte den Hof Anhalt-<br />
Dessau als „Gesamtkunstwerk“.<br />
Das „permanente Versus“<br />
Hier kann nicht der Ort sein, Vorträge<br />
und Diskussionen der Tagung zu referieren;<br />
es wäre auch unnötig – ist doch<br />
ein Themenheft der Zeitschrift „Das<br />
Achtzehnte Jahrhundert“ (führendes<br />
deutsches Periodikum zur Aufklärungsforschung)<br />
geplant, in dem man die<br />
faktenreichen und methodisch interessanten<br />
Darlegungen von Prof. Dr.<br />
York-Gothart Mix (Marburg), Uwe<br />
Quilitzsch (Dessau), Dr. Anette roesch<br />
(Dortmund), Prof. Dr. Johanna Geyer-<br />
Kordesch (Glasgow), PD Dr. Helga<br />
Meise (Aix-en-Provence) und Dr. Joachim<br />
Berger (Weimar) nachlesen kann.<br />
Klar wurde, dass Luise Wilhelmine, geborene<br />
Markgräfin von Brandenburg-<br />
Schwedt, mehr war als die unglückliche,<br />
betrogene, vielleicht frigide Gattin<br />
des Vaters der Gärten, ürst Leopold<br />
III. riedrich ranz. Sie lebte, ohne offen<br />
aufzubegehren, zwanglos gegen<br />
die Konventionen und Sitten ihres Jahrhunderts<br />
– und war gerade damit auch<br />
ein Kind ihrer Zeit ... Manche von<br />
Luisens überlieferten Krankheiten und<br />
Eigenarten suchte Prof. Dr. Hermann<br />
Seeber (Städtisches Klinikum Dessau)<br />
anhand der durch die Überschwemmungen<br />
von 2002 möglich gewordenen,<br />
computertomografischen Untersuchungen<br />
der Gebeine aus der Wörlitzer<br />
ürstengruft zu erklären. Selbst<br />
die Skandalfrage nach jener zweiten<br />
Luise im Leben des ürsten ist nun<br />
wohl ein für allemal beantwortet. (vgl.<br />
Christian Eger in MZ, 27.10.03, S.22)<br />
Späte Ehrung und Gesang<br />
Ein Glanzlicht der Tagung, gleichermaßen<br />
kulturhistorischer wie politischer<br />
Natur: 34 Jahre nach der Verteidigung<br />
wurde die Dissertation von Prof. Dr.<br />
phil. habil. Erhard Hirsch in der wissenschaftlichen<br />
Reihe des IZEA (<strong>Halle</strong>sche<br />
Beiträge zur Europäischen Aufklärung)<br />
im Niemeyer Verlag Tübingen<br />
publiziert.<br />
Die minutiös zusammengetragene und<br />
tiefgehend interpretierte, umfassende<br />
Analyse der gesellschaftlichen Strukturen<br />
unter dem aufgeklärten „Vater<br />
ranz“ hatte nicht hineingepasst ins<br />
vorurteilsvolle Bild des vom eudaladel<br />
geknechteten Volkes. So konnte<br />
dieses singuläre Standardwerk zur mitteldeutschen<br />
Aufklärung Jahrzehnte<br />
lang nur in wenigen hektografierten Exemplaren<br />
verteilt und gelesen werden.<br />
Der längst fällige Professorentitel wurde<br />
Erhard Hirsch erst 1992 zuerkannt.<br />
Seit der Präsentation der „Dessau-<br />
Wörlitzer Reformbewegung im Zeitalter<br />
der Aufklärung“ ist die Aufklärungsforschung<br />
um ein Juwel reicher.<br />
Charles Amédée Philippe Vanloo: Louise Henriette Wilhelmine,<br />
Prinzessin von Brandenburg-Schwedt als Diana, 1765, s. u. S. 165<br />
Dr. Jörn Garber (IZEA) apostrophierte<br />
es in seiner Laudatio als ein „Werk<br />
von größter geistiger Unabhängigkeit“<br />
und illustrierte in einem anschließenden<br />
öffentlichen Zwiegespräch mit<br />
dem Autor (oto unten) einige acetten<br />
von dessen wechselvollem Leben.<br />
Zum Abschluss trugen Monika Wiebe<br />
(Sopran) und Stellario agone (Klavier)<br />
Lieder und Arien des 18. und 19.<br />
Jh. vor und vermittelten eine Ahnung<br />
vom lair festlicher Konzerte, wie sie<br />
vor mehr als 200 Jahren in den<br />
Schlössern und Gärten erklangen.<br />
Margarete Wein<br />
Prof. Dr. Erhard Hirsch (rechts) und Dr. Jörn Garber im Zwiegespräch nach der feierlichen Übergabe der<br />
im Niemeyer Verlag Tübingen gedruckten Dissertation aus dem Jahr 1969 „Dessau-Wörlitzer Reformbewegung<br />
im Zeitalter der Aufklärung“ im Tischbeinsaal des Dessauer Georgiums am 25. Oktober <strong>2003</strong><br />
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
Der Rektor<br />
Prof. Dr. Wilfried Grecksch<br />
Redaktion und Layout:<br />
Dr. Monika Lindner, Ute Olbertz,<br />
Dr. Margarete Wein<br />
Postanschrift:<br />
Rektorat der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />
06099 <strong>Halle</strong> (Saale)<br />
Telefon: 0345 55-21420/22/24<br />
Telefax: 0345 55-27082/27254<br />
E-Mail-Adressen:<br />
m.lindner@verwaltung.uni-halle.de<br />
m.olbertz@verwaltung.uni-halle.de<br />
m.wein@verwaltung.uni-halle.de<br />
Internet-Adresse:<br />
www.verwaltung.uni-halle.de/dezern1/presse/welcome.htm<br />
Grafik-Design:<br />
Barbara und Joachim Dimanski, <strong>Halle</strong><br />
Druck und Druckvorstufe:<br />
A Druck GmbH Holleben<br />
Aspekte