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Roland Studer und Giovanni Greco<br />
1 Einleitung<br />
Nichts ist so nachhaltig wie eine Enttäuschung! Diese psychologische Grundwahrheit<br />
trifft auch auf Kunden zu, die in einem Supermarkt vor einem leeren Regal stehen.<br />
Auf zum Supermarkt: Die Vorfreude auf einen gemütlichen Abend mit Freunden ist<br />
groß. Nach der letzten Kochshow im Fernsehen möchte man natürlich das ausgefallene<br />
Gericht des Sternekochs auftischen und benötigt dafür spezielle Zutaten.<br />
Aber dann – gähnende Leere im Regal! Die Enttäuschung ist groß – vielleicht sogar<br />
groß genug, um ab sofort die Einkäufe in einem anderen Supermarkt zu erledigen.<br />
Leider gehören solche Out-of-Stock-Situationen bei Handelsunternehmen zum Alltag.<br />
Allerdings mit teils dramatischen – ungewollten – Folgen: So hat die Studie<br />
AdOSA (Advanced Optimal Shelf Availability) zu Tage gebracht, dass je nach<br />
Warensortiment bis zu 30 Prozent aller Out-of-Stock-Situationen massive Umsatzverluste<br />
nach sich ziehen können, da der Kunde enttäuscht ist und zu einem anderen<br />
Händler wechselt. Was also liegt näher für Handelsunternehmen, als zur Vermeidung<br />
von Out-of-Stock-Situationen den einfachsten Weg zu gehen und durch<br />
einen hohen Sicherheitsbestand einfach ein bisschen mehr, oft sogar viel mehr<br />
Ware als nötig in der Lieferkette zu halten? Mehr Waren in der Lieferkette, schnelle<br />
Reaktion auf aktuelle Bedarfe, keine Out-of-Stock-Situationen, zufriedene Kunden<br />
– so lautet oft die Argumentation der Handelsunternehmen. Einfach ja, aber<br />
auch sehr kostspielig und daher nicht sinnvoll.<br />
Zu hohe Sicherheitsbestände binden Kapital und Lagerkapazität. Moderne Handelsunternehmen<br />
agieren also in einem Spannungsverhältnis. Auf der einen Seite<br />
gilt es, unbedingt Out-of-Stock-Situationen zu vermeiden. Auf der anderen Seite<br />
müssen die Kosten für die Bestandhaltung unter Kontrolle gehalten werden.<br />
Und das, obwohl bereits die Komplexität und der Umfang der Angebotspalette<br />
eine enorme Herausforderung für jedes Handelsunternehmen darstellt. Handelsunternehmen<br />
verfügen meist über mehrere Verteilzentren und einige hundert,<br />
manchmal sogar einige tausend Verkaufsstellen – all das gilt es, in der Lieferkette<br />
zu betreuen. Und was fällt dabei an? Ein Handelsunternehmen mit 1.000 Verkaufsstellen<br />
und 40.000 Artikeln pro Verkaufsstelle muss dazu in der Lage sein, jeden Tag<br />
40 Millionen Regalplätze zu planen und mit Ware zu versorgen. Wohlgemerkt: mit<br />
der richtigen Ware …<br />
32
Vom Besteller zum Bewirtschafter<br />
Im Rahmen der AdOSA-Studie hat sich das Projektteam Migros/SAP auf die Untersuchungsbereiche<br />
Out-of-Stock-Messung, Analyse der Ursachen für Out-of-Stocks<br />
und der Analyse des Kundenverhaltens konzentriert.<br />
2 Motivation zur Studie<br />
Ausgehend von einer früheren Out-of-Stock-Studie aus dem Jahre 2004 (vgl. Corsten/Angerer<br />
2004), welche die Migros – ihres Zeichens Nummer 1 im Schweizer<br />
Detailhandel – im östlichen Teil des Landes durchführte, war bekannt, dass sich die<br />
durchschnittliche Out-of-Stock-Quote in den untersuchten Verkaufsstellen bei etwas<br />
mehr als 5 % bewegt. Innerhalb der einzelnen Verkaufsstellen waren jedoch<br />
große Schwankungen festzustellen. Die damalige Studie legte neben der eigentlichen<br />
Out-of-Stock-Messung auch ein Augenmerk auf die Ursachen von Out-of-<br />
Stocks. Was motivierte die Migros also, an einer weiteren Studie teilzunehmen?<br />
Einerseits ist die internationale Beteiligung an der AdOSA-Studie und die Möglichkeit<br />
einer fundierten Ursachenanalyse zu nennen. Andererseits die Erweiterung der<br />
Studie um den Aspekt der Analyse des Kundenverhaltens. Das Kundenverhalten<br />
bei Auftreten von Out-of-Stock-Situationen wurde zwar bereits in anderen Studien<br />
untersucht, die Resultate konnten jedoch nur in eingeschränktem Maße auf die<br />
Migros angewandt werden. Grund dafür ist der unüblich hohe Anteil an Eigenmarken,<br />
welche in den Migros-Verkaufsstellen – und eben nur in Migros-Verkaufsstellen<br />
– angeboten und verkauft werden. So war anzunehmen, dass sich das Kundenverhalten<br />
doch erheblich von dem der Konkurrenz unterscheidet.<br />
3 Empirische Messungen<br />
Die eigentlichen empirischen Out-of-Stock-Messungen wurden in zwei Phasen<br />
durchgeführt, die jeweils eine Woche dauerten. Die erste Phase hatte zum Ziel, eine<br />
Momentaufnahme der Out-of-Stock-Situation in den Migros-Verkaufsstellen zu<br />
erhalten und gleichzeitig sollten die Out-of-Stocks der ersten Messung bereits nach<br />
verschiedenen Kriterien aus Logistik- und Marketingsicht aufgeschlüsselt werden.<br />
Außerdem sollte die erste Messung als Vergleichsbasis für die zweite dienen. Bei<br />
der Auswahl der Verkaufsstellen wurden bewusst verschiedene Einflussfaktoren berücksichtigt,<br />
von denen vermutet wurde, dass sie einen Einfluss auf das Out-of-<br />
Stock-Ergebnis haben. So wurden die Verkaufsstellen beispielsweise nach Größe,<br />
Umsatz oder geografischer Lage unterschieden. Die zweite Phase konzentrierte<br />
sich neben einer weiteren empirischen Messung zusätzlich auf die Erhebung des<br />
33
Roland Studer und Giovanni Greco<br />
Backwaren<br />
Kosmetik/<br />
Körperpflege<br />
20<br />
6<br />
35<br />
Trockensortimente<br />
Frische<br />
27<br />
Haushaltsware<br />
8<br />
3<br />
Kurzware<br />
15<br />
6<br />
Molkereiprodukte<br />
Tiefkühl<br />
Abbildung 1: Untersuchte Hauptwarengruppen (Anzahl Produkte)<br />
Kundenfeedbacks und war entsprechend aufwändiger in der Planung sowie Durchführung.<br />
Die genossenschaftlich organisierte Migros führte die empirischen Messungen in<br />
insgesamt 28 Verkaufsstellen in der französisch- und deutschsprachigen Schweiz<br />
durch. Der untersuchte Warenkorb umfasste 120 verschiedene Artikel verteilt über<br />
das gesamte Migros-Supermarktsortiment (siehe Abbildung 1). Schwerpunkte bildeten<br />
dabei die Sortimentsbereiche „Food“ (Dosen/Konserven, Kolonialwaren,<br />
Teigwaren, Süßwaren, Getränke) und „Frische“ (Fleisch, Fisch, Früchte, Gemüse,<br />
Milchprodukte, Eier). Daneben seien auch die 20 untersuchten Artikel aus dem Sortimentsbereich<br />
„Kosmetik/Körperpflege“ erwähnt, welche teilweise als identische<br />
Produkte auch in den andern AdOSA-Teilprojekten untersucht wurden.<br />
Die Out-of-Stock-Erhebungen wurden bei beiden Messungen, die jeweils eine Woche<br />
dauerten, durch vorab geschultes Erhebungspersonal durchgeführt. Bei der ersten<br />
Messung wurden die 28 Verkaufsstellen zweimal täglich, einmal vormittags<br />
und einmal nachmittags besucht und die 120 Produkte wurden auf ihr Vorhandensein<br />
im dafür vorgesehenen Regalplatz überprüft. Falls ein Produkt nicht vorhanden<br />
war, wurde dies auf einer Liste vermerkt, die täglich an das Projektteam übermittelt<br />
34
Vom Besteller zum Bewirtschafter<br />
und anschließend ausgewertet wurde. Zusätzlich wurde die Verkaufsstellenleitung<br />
nach dem Grund des Out-of-Stocks befragt. Zu bemerken gilt, dass die erste Messung<br />
halbverdeckt durchgeführt wurde, d. h., lediglich die Verkaufsstellenleitung<br />
war im Detail über das Projekt informiert (siehe hierzu Beitrag Helm/Hegenbart/<br />
Stölzle/Hofer, Kapitel 2.3.1). Die zweite Messung wurde nach demselben Verfahren<br />
durchgeführt, mit dem einzigen Unterschied, dass lediglich einmal täglich gemessen<br />
wurde und zusätzlich das Personal in den Verkaufsstellen über die Untersuchung<br />
informiert wurde. Insgesamt wurden während den zwei einwöchigen Erhebungen<br />
über 60.000 Messpunkte registriert und über 1.200 Kundenbefragungen<br />
durchgeführt.<br />
3.1 Ergebnisse der empirischen Messungen<br />
Die durchschnittliche Out-of-Stock-Quote in den 28 untersuchten Migros-Verkaufsstellen<br />
lag bei relativ guten 4.5 %. Diesen 4.5 % Out-of-Stock gilt es, die aufwändige<br />
Supply-Chain der Migros gegenüberzustellen. So werden die einzelnen Verkaufsstellen<br />
in jedem Sortimentsbereich mehrmals wöchentlich, im Sortimentsbereich<br />
„Frische“ teilweise mehrmals täglich mit Ware beliefert.<br />
Bei genauerer Betrachtung der Untersuchungsresultate zeigen sich deutliche<br />
Unterschiede. So kann beispielsweise eine starke Schwankung der Out-of-Stock-<br />
Quote im Wochenverlauf festgestellt werden (siehe Abbildung 2). Während die<br />
Quote zur Wochenmitte unter 4 % liegt, steigt sie am Freitag und Samstag an und<br />
erreicht am Montag ihren Peak mit durchschnittlich 6 % Out-of-Stock. Die höheren<br />
6.0 %<br />
5.3 %<br />
4.4 %<br />
3.7 % 3.7 %<br />
4.0 %<br />
Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Samstag<br />
Abbildung 2: Out-of-Stock-Quote nach Wochentag (Mittelwert beider Messwochen)<br />
35
Roland Studer und Giovanni Greco<br />
7.8 %<br />
6.7 %<br />
6.4 %<br />
5.6 %<br />
5.2 %<br />
5.0 % 4.8 %<br />
4.3 %<br />
4.5 %<br />
4.1 %<br />
6.2 %<br />
4.5 %<br />
Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Samstag<br />
Vormittags<br />
Nachmittags<br />
Abbildung 3: Out-of-Stock-Quote im Tages- und Wochenverlauf (1. Messwoche)<br />
Out-of-Stock-Werte vom Freitag und Samstag lassen sich durch einen größeren<br />
Kundenstrom und damit einhergehend größeren Umsätzen erklären, jedoch nicht<br />
rechtfertigen.<br />
Gerade an Tagen mit hohem Kundenaufkommen sind Umsatzverluste aufgrund von<br />
Out-of-Stocks entsprechend groß. Die hohe Out-of-Stock-Quote von 6 % am Montag<br />
lässt sich mit den großen Abverkäufen vom Samstag und den damit verbundenen<br />
Montagslieferungen erklären. Es konnte außerdem festgestellt werden, dass<br />
10.2 %<br />
6.5 %<br />
5.0 %<br />
5.1 % 5.6 % 4.3 %<br />
5.0 %<br />
5.0 %<br />
4.0 % 4.2 % 3.3 %<br />
1.9 %<br />
3.1 %<br />
2.4 %<br />
2.7 %<br />
1.3 %<br />
V<br />
V<br />
V<br />
V<br />
V<br />
V<br />
V<br />
V<br />
S<br />
1<br />
V<br />
S<br />
2<br />
V<br />
S 3<br />
V<br />
S 4<br />
V<br />
S 5<br />
V<br />
S 6<br />
V<br />
S 7<br />
V<br />
S 8<br />
V<br />
S 9<br />
S 1 0<br />
S 1 1<br />
S 1 2<br />
S 1<br />
3<br />
S 1<br />
4<br />
S 1<br />
5<br />
S 1<br />
6<br />
Abbildung 4: Out-of-Stock-Quote nach Verkaufsstelle (eine Genossenschaft)<br />
36
Vom Besteller zum Bewirtschafter<br />
6.4 %<br />
4.4 %<br />
3.5 % 3.7 %<br />
Genossenschaft A<br />
Genossenschaft B<br />
1. OoS-Messung (November 2005) 2. OoS-Messung (Juni 2006)<br />
Abbildung 5: Vergleich der Out-of-Stock-Quoten zwischen der 1. und 2. Messwoche<br />
die Out-of-Stock-Quote am Nachmittag generell höher liegt als am Vormittag (siehe<br />
Abbildung 3). Ausgenommen davon ist wiederum der Montag.<br />
Vergleicht man die einzelnen Verkaufsstellen untereinander, stellt man ebenfalls<br />
deutliche Unterschiede fest (siehe Abbildung 4). So liegen die besten Verkaufsstellen<br />
bei einer durchschnittlichen Out-of-Stock-Quote von unter 2 %, während am anderen<br />
Ende der Skala ein durchschnittlicher Wert von über 8 % erreicht wird. Geht<br />
man nicht vom Mittelwert je Verkaufsstelle aus, sondern betrachtet man die einzelnen<br />
Verkaufsstellen pro Messwoche, so sind die Unterschiede noch gravierender in<br />
den Out-of-Stock-Quoten von 0.8 % bis 11.5 % gemessen worden.<br />
Generell konnte festgestellt werden, dass sich die Out-of-Stock-Quoten der zweiten<br />
Messung gegenüber der ersten empirischen Erhebung deutlich verbessert haben<br />
(siehe Abbildung 5). Als mögliche Ursache für die deutliche Verbesserung kann<br />
die halbverdeckte Erhebung während der ersten Messwoche, respektive die offene<br />
Erhebung während der zweiten Messwoche vermutet werden.<br />
Dies lässt den Rückschluss zu, dass im Wissen um Warenverfügbarkeitskontrollen<br />
den kontrollierten Artikeln eine höhere Beachtung geschenkt wird, indem die Regale<br />
durch das Verkaufspersonal rechtzeitig und vollständig nachgefüllt werden.<br />
Die Out-of-Stock-Quote in der Verkaufsstelle wird also nicht nur durch das korrekte<br />
Funktionieren der vorgelagerten Beschaffungs- und Logistikprozesse bestimmt,<br />
sondern zum großen Teil auch durch die Verkaufsstelle selbst. Die Vermutung liegt<br />
37
Roland Studer und Giovanni Greco<br />
außerdem nahe, dass das Management der Verkaufsstelle einen entscheidenden<br />
Einfluss auf die Out-of-Stock-Quote hat. Um diesen Umstand erhärten zu können,<br />
wurden die untersuchten Verkaufsstellen zusätzlich auf die so genannte Verderbsquote<br />
überprüft. Die Verderbsquote beziffert jenen Anteil der belieferten Ware,<br />
welche in erster Linie aufgrund des Verfalldatums nicht mehr verkauft werden kann.<br />
Die beiden Größen Out-of-Stock-Quote und Verderbsquote stehen dabei im<br />
Gegensatz zueinander. Auf der einen Seite versucht ein Verkaufsstellenmanager<br />
die Verderbsquote niedrig zu halten, indem er nicht zu viel Ware disponiert. Auf der<br />
andern Seite will er möglichst Out-of-Stocks in seinen Verkaufsregalen und den damit<br />
einhergehenden Umsatzverlust vermeiden. Es muss angenommen werden,<br />
dass eine tiefe Verderbsquote automatisch zu einer höheren Out-of-Stock-Quote<br />
führt (knapp disponierte Ware), respektive eine tiefe Out-of-Stock-Quote mit einer<br />
tendenziell höheren Verderbsquote einhergeht. Interessanterweise trifft diese Annahme<br />
nicht zu, sondern das Gegenteil. Diejenigen Verkaufsstellen mit den tiefsten<br />
Out-of-Stock-Quoten konnten auch die tiefsten Verderbquoten ausweisen und umgekehrt.<br />
Dies kann als eindeutiges Indiz gewertet werden, dass das Management<br />
der Verkaufsstelle einen entscheidenden Einfluss auf die Höhe der Out-of-Stock-<br />
Quote hat. Eine mangelhaft gemanagte Verkaufsstelle oder schlecht organisierte<br />
Verkaufsstellenprozesse, beispielsweise im Bereich der Bestandsführung oder im<br />
internen Warenfluss, resultieren direkt in hohen Out-of-Stock-Quoten.<br />
Betrachtet man die untersuchten Warengruppen auf ihre Out-of-Stock-Quote, gilt<br />
die generelle Aussage: Je frischer ein Produkt, desto höher die Out-of-Stock-Quote.<br />
So weisen beispielsweise Backwaren eine 3,5mal höhere Out-of-Stock-Quote<br />
auf, als die Artikel aus dem Food-Sortiment (Konserven, Teigwaren, usw.). Wer will<br />
schon ein Brot kaufen, das gestern bereits im Regal lag? Aus diesem Grund gehen<br />
die Verkaufsstellen bewusst bei einzelnen Brotsorten einen Out-of-Stock gegen Ladenschluss<br />
ein, damit sie die Verderbsquote auf einem tiefen Niveau halten können.<br />
Weiter zeigt sich, dass ein Produkt mit hoher Relevanz eine tiefere Out-of-<br />
Stock-Quote aufweist, als weniger relevante Produkte. So haben in den Migros-<br />
Verkaufsstellen die Milchprodukte (Milch, Joghurt, Käse) eine hohe Relevanz und<br />
werden täglich mehrmals umgeschlagen. Genau diese Artikel weisen jedoch mit<br />
durchschnittlich 1,8 % eine der niedrigsten Out-of-Stock-Quoten auf. Hier lässt sich<br />
ebenfalls vermuten, dass im Wissen eines schnellen Abverkaufs das Verkaufsstellenpersonal<br />
den Produkten entsprechend Beachtung schenkt.<br />
Ausgehend von der Größe der einzelnen Verkaufsstellen gilt die Feststellung: Je<br />
größer die Verkaufsstelle, desto geringer die Out-of-Stock-Quote (siehe Abbildung<br />
6). Dies lässt sich mit der Tatsache erklären, dass in größeren Verkaufsstellen<br />
das Verkaufspersonal „spezialisierter“ ist. Beispielsweise sind mehrere Mitarbeiter<br />
38
Vom Besteller zum Bewirtschafter<br />
8.6 %<br />
6.2 %<br />
3.2 %<br />
4.0 %<br />
3.8 %<br />
4.4 %<br />
qm = 2.500 2‘500 m 3 3 1.000 1‘000 m 3 < qm < 2‘500 2.500 3<br />
m 3 qm = 1.000 1‘000 m 33<br />
Genossenschaft A A<br />
Genossenschaft B B<br />
Abbildung 6: Out-of-Stock-Quote nach Verkaufsstellengröße<br />
nur für den Food-Bereich zuständig, während in kleineren Verkaufsstellen das Personal<br />
in verschiedenen Sortimentsbereichen eingesetzt wird und so das Bewusstsein<br />
für den einzelnen Bereich geringer ist.<br />
Die Untersuchung zeigt auch, dass saisonale Artikel tendenziell eher von Out-of-<br />
Stocks betroffen sind als Artikel mit einer ganzjährigen Kernlistung. Dasselbe gilt<br />
für Aktionsartikel, auch diese haben eine höhere Anfälligkeit für Out-of-Stocks. In<br />
beiden Fällen ist die Ursache für die schlechtere Warenverfügbarkeit im schwierig<br />
vorhersehbaren Abverkauf der Ware zu finden. Gerade bei Aktionsartikeln wiegt<br />
die Nichtverfügbarkeit besonders schwer, da sie normalerweise speziell beworben<br />
werden und bei einer Nichtverfügbarkeit nicht nur Umsatz-, sondern auch Kundenverluste<br />
drohen.<br />
3.2 Ursachenanalyse (Root-Cause-Analysis)<br />
Beim Auftreten eines Out-of-Stock musste das Befragungspersonal selbiges auf einer<br />
Liste vermerken und gleichzeitig den Zeitpunkt festhalten. Außerdem waren sie<br />
gebeten, mit dem Verkaufsstellenverantwortlichen eine erste Grobabklärung vorzunehmen,<br />
um herauszufinden, weshalb der Artikel nicht verfügbar war. Sofern die<br />
Out-of-Stock-Ursache nicht der Verkaufsstelle zugeordnet werden konnte, wurden<br />
weitere Abklärungen entlang der gesamten Supply-Chain angestellt, um den<br />
Grund des Out-of-Stock zu ergründen.<br />
39
Roland Studer und Giovanni Greco<br />
Marketing<br />
Vorgelagerte Logistik<br />
Die 23.6 % Out-of-Stock-Fälle im physischen Warenhandling sind insofern erschreckend,<br />
als dass die vorgelagerten Prozesse bereits ausgeführt wurden. Das heißt,<br />
die Ware wurde mit großem Aufwand in die Verkaufsstelle befördert, allerdings<br />
nicht bis ins Regal, wo der Kunde sie kaufen kann, sondern sie liegt irgendwo zwischen<br />
Anlieferrampe und Verkaufsfläche. Die Ware wurde also ans Zentral- oder<br />
Regionallager geliefert, dort gelagert, kommissioniert und anschließend zur Verkaufsstelle<br />
transportiert, wo sie dann auf den letzten 50 Metern liegen blieb. Als<br />
häufigster Grund für das Auftreten von Out-of-Stocks im physischen Warenhandling<br />
der Verkaufsstellen wird genannt, dass „die Artikel in der Verkaufsstelle nicht<br />
auffindbar waren“ und deshalb nicht nachgefüllt werden konnten. Die Artikel wa-<br />
Verkaufsstelle<br />
(89 %)<br />
76 %<br />
24 %<br />
Bewirtschaftungsprozesse<br />
Physisches Warenhandling<br />
(Verkaufsstelle)<br />
Abbildung 7: Hauptursachen für Out-of-Stocks<br />
Eine grobe Clusterung der verschiedenen Ursachen zeigt, dass 89 % der Out-of-<br />
Stocks ihren Ursprung in den Verkaufsstellen haben (siehe Abbildung 7). Die in den<br />
vorgelagerten Marketing- und Logistikprozessen verursachten Out-of-Stocks spielen<br />
eine untergeordnete Rolle.<br />
Wenn man den Blick etwas genauer auf die 89 % Out-of-Stock in den Verkaufsstellen<br />
richtet, stellt man fest, dass 76.4 % der Out-of-Stock-Fälle auf fehlerhafte Bewirtschaftungsprozesse<br />
und 23.6 % auf ein mangelhaftes physisches Warenhandling<br />
in der Verkaufsstelle zurückzuführen sind.<br />
40
Vom Besteller zum Bewirtschafter<br />
ren also nachweislich in der Verkaufsstelle, wurden aber zum Zeitpunkt des Auffüllens<br />
nicht gefunden, was dann zum Out-of-Stock führte. Als zweithäufigster Grund<br />
wird die „fehlende Zeit für das Befüllen der Regale“ genannt. Dies ist insofern erstaunlich,<br />
als dass die Migros weiß, dass 52 % der in den Verkaufsstellen aufgewendeten<br />
Stunden in der internen Logistik anfallen. 44 % der Stunden werden im<br />
Verkauf aufgewendet, weitere 4 % für die Bestandsführung und das Absetzen von<br />
Bestellungen. Innerhalb der internen Logistik fällt die Regalbefüllung als größter<br />
Aufwandblock ins Auge. Umgerechnet auf 100 geleistete Stunden werden 35 Stunden<br />
für die Befüllung der Regale aufgewendet und trotzdem hatte das Verkaufspersonal<br />
keine Zeit, die Verkaufsregale rechtzeitig aufzufüllen. Hier wird also ein<br />
großer Aufwand für das Befüllen der Verkaufsregale betrieben und trotzdem können<br />
Out-of-Stocks nicht ausgeschlossen werden.<br />
Innerhalb der Verkaufsstelle tragen mangelhafte Bewirtschaftungsprozesse mit<br />
76.4 % zu Out-of-Stock-Situationen bei, wobei hier als Hauptgründe eine Fehlprognose<br />
des Abverkaufes und das bewusste Auslisten von Artikeln genannt werden.<br />
Über 40 % der in den Verkaufsstellen verursachten Out-of-Stocks werden<br />
durch Fehlprognosen verursacht. Diese Fehlprognosen können unterschiedliche<br />
Ursachen haben. Einerseits können sie durch ungenaue Bestandsführung verursacht<br />
werden. Es gilt zu erwähnen, dass die Migros mit automatischen Nachschubsystemen<br />
arbeitet, für welche eine korrekte Bestandsführung essentiell ist, denn<br />
nur so kann ein korrekter Nachschub berechnet und die Verkaufsstelle mit der benötigten<br />
Ware versorgt werden. Auf der andern Seite können die Fehlprognosen<br />
durch falsch eingestellte Soll-/Meldebestände hervorgerufen werden, so dass der<br />
Nachschub zu spät oder nicht in der benötigten Menge ausgelöst wird. Dies wiederum<br />
führt oftmals zu manuellen Bestelleingriffen und Korrekturen am automatischen<br />
Bestellvorschlag. Von Fehlprognosen sind oftmals auch saisonale Artikel und<br />
Aktionsartikel betroffen. Hier kann nachvollzogen werden, dass eine exakte Mengenplanung<br />
schwieriger ist, als beim Standardsortiment.<br />
Die Platzverhältnisse in den Verkaufsstellen regen immer wieder zu Diskussionen<br />
an. Auf der einen Seite soll der Kunde ein möglichst breites und tiefes Sortiment<br />
vorfinden, auf der andern Seite soll er nicht durch Unübersichtlichkeit und schmale<br />
Produktplatzierung im Regal am Einkaufen gehindert werden. Insbesondere in kleinen<br />
Verkaufsstellen mit engen Platzverhältnissen öffnet sich die Schere zwischen<br />
Kundenanforderungen an ein breites Sortiment und einer ansprechenden Platzierung<br />
der einzelnen Artikel im Regal. Erschwerend kommt hinzu, dass die Verkaufsstellen<br />
nicht direkt über die Zusammenstellung der Sortimente bestimmen können,<br />
so dass sie unter Umständen mit Artikeln beliefert werden, welche aus Sicht des Filialmanagers<br />
nicht verkauft werden können. Der Filialmanager sieht sich dann ge-<br />
41