Albvereinsblatt_2008-6.pdf
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Graphische Blickpunkte – ein Ratespiel<br />
Felix Hollenberg<br />
Lautertal mit Wartstein, 1926<br />
Im Jahr 1888 kam der zwanzigjährige Felix Hollenberg, 1868<br />
im niederrheinischen Sterkrade geboren, nach Stuttgart<br />
und trat in die Stuttgarter Kunstschule ein. Nach ersten<br />
Malereistudien, denen er sich schon im Vorjahr an der Düsseldorfer<br />
Kunstakademie gewidmet hatte, interessierte er<br />
sich zunehmend für die Radierung. Die Original-Radierung<br />
war damals in Deutschland erst zögerlich im Kommen. Nach<br />
einer großen Blütezeit im 16. und 17. Jahrhundert, in der<br />
u.a. auch Rembrandts großartige Ätzradierungen entstanden,<br />
war diese Tiefdrucktechnik im 19. Jahrhundert immer<br />
mehr zur bloßen Reproduktionstechnik geworden. Technisch<br />
versierte Reproduktionsstecher brachten Zeichnungen<br />
anderer Künstler auf Kupfer- und Stahlplatten, von denen<br />
zum Teil hohe Auflagen gedruckt wurden. Gerade Landschaftsstiche<br />
aus dieser Produktion stillten das Bedürfnis<br />
nach Reiseerinnerungen einer zunehmend tourismusfreudigen<br />
Bürgerschicht.<br />
In Frankreich und England hatten Künstler bereits in der<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts die Original-Radierung wieder<br />
für sich entdeckt. Als Felix Hollenberg sich der Radierung<br />
zuwandte, wurde diese Technik an deutschen Kunstschulen<br />
und Akademien noch als reine Reproduktionstechnik<br />
gelehrt. In einem Brief an seinen Freund Beringer erinnert<br />
sich Hollenberg 1919: »Ich hatte mir von jeher in den Kopf<br />
gesetzt, Originalradierungen zu machen. Alte niederländische<br />
Malerradierungen brachten mich zu diesem Wunsch<br />
– als ich mich aber Ende der 80er Jahre an die Radierkunst<br />
wagte, wollte mein Lehrer von Originalradierungen nichts<br />
wissen. […] Nebenbei fertigte ich Originalradierungen an,<br />
und als ich meinen Lehrer vor die vollendeten Tatsachen<br />
stellte, hatte er nicht mehr die Macht, mich auf den Weg<br />
des Guten zurückzuführen, und so ging ich der Reproduktionskunst<br />
verloren. Vielleicht hätte ich dabei mehr verdient.«<br />
Seit 1916 arbeitete Felix Hollenberg an einem Handbuch<br />
für Malerradierer, in dem er mit geradezu wissenschaftlicher<br />
Akribie nach alten Handbüchern und aufgrund des eigenen<br />
Erfahrungsschatzes die technischen Finessen der<br />
Ätzkunst vermitteln wollte. Für dieses Buch, das zu Lebzei -<br />
ten nie ediert wurde, schuf er sechs Radierungen, natürlich<br />
aus dem ihm eigenen Motivfundus, der Landschaft.<br />
Die Sommerferien verbrachte Felix Hollenberg immer wieder<br />
im Lautertal, wo er sich zahlreiche Motive erwanderte<br />
und vielfach vor der Natur zeichnete und radierte. Die hier<br />
gezeigte erste Tafel seines Radierbuchs hat er mit einer<br />
Na del radiert, das heißt: Er hat in die Grundierung der Kupferplatte<br />
gezeichnet und dann mit Salpetersäure geätzt.<br />
An den gezeichneten Stellen konnte die Säure in das Kupfer<br />
eindringen und die Zeichnung vertiefen. Nach Hollenbergs<br />
Notizen wurde die Platte 35 Minuten geätzt, nach 15<br />
Minuten der Hintergrund abgedeckt, nach weiteren sieben<br />
Minuten die Bäume rechts im Mittelgrund und nach nochmals<br />
acht Minuten das Laub hinter den Stämmen gedeckt.<br />
Die ungedeckten Stellen, zum Beispiel im Vordergrund,<br />
wurden schließlich mit angewärmtem Ätzwasser fertig geätzt.<br />
Nach Entfernung der Grundierung konnte sich nun<br />
beim Drucken die Farbe in den geätzten Vertiefungen fangen.<br />
Gedruckt wird von der reingewischten Platte. Unter<br />
19<br />
Felix Hollenberg, Lautertal mit Wartstein, 1926, Ätzradierung auf<br />
Kupfer, erster Zustand, Platte I zum Radierbuch<br />
dem hohen Druck der Tiefdruckpresse gelangt die Druckfarbe<br />
in das angefeuchtete Büttenpapier.<br />
Während Ätzen und Drucken im Wesentlichen Werkstattarbeiten<br />
sind, hat Felix Hollenberg seine Motive oft im Freien<br />
nach der Natur direkt in die Platte gezeichnet. Dabei<br />
musste das Motiv seitenverkehrt auf die Platte gebracht<br />
werden. Aus diesem Grund gehörte zur Grundausstattung<br />
für das Radieren nach der Natur neben Bleistift und Pauspapier<br />
stets auch ein Spiegel. Felix Hollenberg schreibt in<br />
seinem Radierbuch: »Soll die Radierung seitenverkehrt gemacht<br />
werden, und das bereitet trotz der seitenverkehrten<br />
Pause Schwierigkeit, dann radiert man aus dem Spiegel.<br />
Man setzt sich mit dem Rücken gegen das Motiv, hält<br />
einen Taschenspiegel mit der linken Hand und beginnt zu<br />
radieren.« Abschließend berichtet Hollenberg in seinem<br />
Kapitel über »Das Radieren nach der Natur«: »Einige Englische<br />
Ätzkünstler ätzen und drucken sogar ihre Platten<br />
‚nach der Natur‘. Bei eiligen Aufträgen mag das Verfahren<br />
nützlich sein. Das Mitschleppen der Säure, Ätzwanne, Presse<br />
und sonstiger Werkstoffe ist jedenfalls ein zweifelhafter<br />
Genuß.« (Neuedition <strong>2008</strong>, S. 180) Dr. Veronika Mertens<br />
Sie dürfen jedenfalls ganz unbeschwert eine Wanderung im Lautertal<br />
genießen – eine Karte und vielleicht ein Fotoapparat genügen. Schreiben<br />
Sie uns, welchen Blickpunkt Felix Hollenberg hatte, als er im Lautertal<br />
das Motiv dieser Radierung aufnahm. Bitte senden Sie Ihre Lösung<br />
an: Blätter des Schwäbischen Albvereins, Waldburgstr. 48, 70563<br />
Stuttgart. Galerie Albstadt, Städtische Kunstsammlungen, Kirchengraben<br />
11, 72458 Albstadt (Ebingen), Tel. 07431-160-1491, Fax<br />
07431-160-1497, galerie@albstadt.de, www.galerie-albstadt.de, Öffnungszeiten:<br />
Di –Fr 11 –13 Uhr, 14 –17 Uhr, Sa, So, Fei 11 –17 Uhr.<br />
Galerie Albstadt, Städtische Kunstsammlungen