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Reader - Internationales - Universität Stuttgart

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Alter, Geschlecht oder sozialer Schicht basieren. Diese Unterschiede werden als ganz<br />

normal und richtig empfunden. In Ländern mit geringer Machtdistanz wird danach<br />

gestrebt, diese Ungleichheit möglichst zu verringern. Auch in diesen Ländern gibt es<br />

Hierarchien, aber meist aus rein funktionalen Gründen. Diese sind auch leichter<br />

veränderbar und mit weniger Statussymbolen verbunden. In diesen Kulturen<br />

(Deutschland, Skandinavien) werden bereits Kinder dazu erzogen, eine eigene Meinung<br />

zu haben und teils sogar zu widersprechen, wenn sie mit etwas nicht einverstanden sind.<br />

In Ländern mit einer großen Machtdistanz (asiatische, osteuropäische Länder) wäre dies<br />

undenkbar: Kinder folgen den Anweisungen ihrer Eltern und Lehrer, ohne diese in Frage<br />

zu stellen.<br />

An der Universität hat dies zur Folge, dass in Deutschland (einem Land mit geringer<br />

Machtdistanz) Hierarchien an der Hochschule zwar existieren, aber eine geringere Rolle<br />

spielen. Der Unterschied zwischen Lehrendem und Lernendem ist hier geringer als in<br />

China oder vielen ost- und südosteuropäischen Ländern und beruht auf Erfahrung und<br />

Kompetenz, nicht auf einem intrinsischen Wert. Der Unterricht ist da durch in Deutschland<br />

tendenziell weniger lehrer- als studentenzentriert, studentische Mitarbeit spielt eine große<br />

Rolle im Seminargeschehen. Auch die Meinung eines Buchautors, einer Professorin oder<br />

eines bedeutenden Wissenschaftlers wird hinterfragt und gegebenenfalls kritisiert. In<br />

Ländern mit einer großen Machtdistanz hingegen zählt die Meinung von Studierenden<br />

nichts im Vergleich zu der von Professoren, daher würden Studierende sie gar nicht<br />

äußern. Mitarbeit ist in der Regel nicht erforderlich, und der Unterricht findet frontal statt.<br />

Viele internationale Studierende sind daher nicht gewohnt, sich am Unterrichtsgeschehen<br />

zu beteiligen. Den deutschen Lehrenden erscheint dies als Desinteresse oder<br />

Leistungsschwäche.<br />

Wurde ein Aspekt nicht verstanden, erwartet man in Deutschland, dass noch einmal<br />

nachgefragt wird. Bleiben Fragen aus, wird davon ausgegangen, dass alles verstanden<br />

wurde. Studierende in China würden niemals zugeben, dass sie etwas nicht verstanden<br />

haben. Zum einen möchten sie sich dadurch selbst keine Blöße geben, zum anderen<br />

könnte dies aber wie ein Vorwurf an die Lehrenden aufgefasst werden, sie hätten den<br />

Stoff schlecht erklärt, was einen Gesichtsverlust zur Folge hätte. Als Folge dieser<br />

kulturellen Bedingungen haben asiatische Studierende in Deutschland oft<br />

Schwierigkeiten, ihre Wissenslücken zu schließen.<br />

Der Unterschied in der Machtdistanz ist zudem auf einer anderen wichtigen Ebene<br />

relevant. In vielen Ländern werden die Studierenden durch das große Machtgefälle sehr<br />

stark kontrolliert. Im deutschen Universitätssystem ist jede und jeder für sich selbst<br />

verantwortlich. Den Studierenden traut man zu, dass sie vernünftig und erwachsen genug<br />

sind, ihr Studium im Griff zu haben. Internationale Studierende interpretieren die<br />

ausbleibende Kontrolle unter Umständen als mangelndes Interesse seitens der<br />

Lehrenden. Weit problematischer ist jedoch, dass für viele von ihnen der Grad an<br />

Kontrolle mit der Wichtigkeit des Lernstoffes zusammenhängt, sodass sie den<br />

Lerninhalten, deren Aneignung weniger kontrolliert wird, auch eine geringere Bedeutung<br />

beimessen. Dies ist ein Beispiel dafür, wie internationale Studierende durch<br />

Gleichbehandlung indirekt benachteiligt werden, da ihre Interpretationsmuster für das<br />

Verhalten der Lehrenden oft ganz andere sind.<br />

Auch beim Mentoringprogramm muss die andere Wahrnehmung von Hierarchien bei<br />

ausländischen Studierenden berücksichtigt werden. Oft wird die Kompetenz der<br />

Fachschaft und Tutoren unterschätzt, da es sich bei ihnen ja auch „nur“ um Studierende<br />

handelt.<br />

6.3 Unsicherheitsvermeidung<br />

Die Dimension Unsicherheitsvermeidung beschreibt, inwieweit eine Kultur<br />

unstrukturierte Situationen toleriert und wie darin mit Risiko umgegangen wird. In Ländern<br />

mit starker Unsicherheitsvermeidung, zu denen Deutschland hinsichtlich vieler<br />

Ausprägungen gehört, haben die Menschen ein großes Sicherheitsbedürfnis und<br />

versuchen, Risiken auszuschließen, beispielsweise mit Regeln. Sie geben die Sicherheit,<br />

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