Adelheid Kuhlmey, Doris Schaeffer (Hrsg.): Alter ... - Buch.de
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<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong>, <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong> (<strong>Hrsg</strong>.): <strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit - Handbuch Gesundheitswissenschaften, Verlag Hans Huber, Bern 2008<br />
© 2008 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern<br />
Keine unerlaubte Weitergabe o<strong>de</strong>r Vervielfätigung.
Inhalt<br />
Vorwort..................................................................................................................9<br />
Teil 1:<br />
<strong>Alter</strong>(n), Gesundheit und Krankheit – Theoretische<br />
Grundlagen<br />
Psychologische Verän<strong>de</strong>rungen im <strong>Alter</strong> ........................................................15<br />
Andreas Kruse<br />
Sozialwissenschaftliche Aspekte <strong>de</strong>s <strong>Alter</strong>(n)s ..............................................33<br />
Wolfgang Clemens<br />
Sozial- und Gesundheitspolitik für ältere Menschen......................................46<br />
Gerhard Naegele<br />
<strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit aus historischer Perspektive ....................64<br />
Hans-Joachim von Kondratowitz<br />
Teil 2:<br />
Gesundheit und Krankheit im <strong>Alter</strong> – Empirische<br />
Befun<strong>de</strong><br />
<strong>Alter</strong>n – Gesundheit und Gesundheitseinbußen.............................................85<br />
<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong><br />
Psychische Störungen und Krankheiten im <strong>Alter</strong>...........................................97<br />
Matthias W. Riepe<br />
Funktionseinschränkungen und Pflegebedürftigkeit im <strong>Alter</strong>.....................107<br />
Andreas Büscher und Klaus Wingenfeld<br />
Soziale Ungleichheit, Gesundheit und Krankheit im <strong>Alter</strong>...........................120<br />
Olaf von <strong>de</strong>m Knesebeck<br />
<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong>, <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong> (<strong>Hrsg</strong>.): <strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit - Handbuch Gesundheitswissenschaften, Verlag Hans Huber, Bern 2008<br />
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Gesundheit älterer Erwerbstätiger .................................................................131<br />
Susanne Wurm und Clemens Tesch-Römer<br />
Gesundheit und Krankheit älterer Frauen und Männer................................144<br />
Birgit Babitsch<br />
Gesundheit und Krankheit älterer und alter Migranten................................156<br />
Liane Schenk<br />
Gesundheit und Krankheit vulnerabler älterer Bevölkerungsgruppen.......175<br />
Stefan Görres und Martina Hasseler<br />
Teil 3:<br />
Die Erhaltung <strong>de</strong>r Gesundheit älterer und alter<br />
Menschen<br />
Gesundheitsverhalten alter Menschen. .........................................................193<br />
Britta Renner und Ursula M. Staudinger<br />
Ökologische Bedingungen <strong>de</strong>r Gesundheitserhaltung älterer<br />
Menschen .........................................................................................................207<br />
Hans-Werner Wahl und Frank Oswald<br />
Neue technische Entwicklungen und Erhalt <strong>de</strong>r Selbstständigkeit<br />
im <strong>Alter</strong>..............................................................................................................225<br />
Heidrun Mollenkopf<br />
Möglichkeiten <strong>de</strong>r Gesundheitsför<strong>de</strong>rung und Prävention<br />
im <strong>Alter</strong>..............................................................................................................245<br />
Ulla Walter<br />
Prävention bei Hochbetagten .........................................................................263<br />
Vjenka Garms-Homolová<br />
Erfor<strong>de</strong>rnisse zielgruppenspezifischer Prävention im <strong>Alter</strong>........................276<br />
Ullrich Bauer<br />
<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong>, <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong> (<strong>Hrsg</strong>.): <strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit - Handbuch Gesundheitswissenschaften, Verlag Hans Huber, Bern 2008<br />
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Teil 4:<br />
Die Versorgungssituation im <strong>Alter</strong><br />
Informelle Netze und Selbsthilfe und ihr Beitrag zur Versorgung<br />
alter Menschen .................................................................................................297<br />
Peter Zeman<br />
Ambulante ärztliche Versorgung alter Menschen.........................................308<br />
Melanie Keyser und Hagen Sandholzer<br />
Krankenhausversorgung alter Menschen .....................................................320<br />
Wolfgang von Renteln-Kruse<br />
Rehabilitative Versorgung alter Menschen ...................................................334<br />
Ralf-Joachim Schulz, Hanife Kurtal und Elisabeth Steinhagen-Thiessen<br />
Ambulante pflegerische Versorgung alter Menschen ..................................352<br />
<strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong>, Andreas Büscher und Michael Ewers<br />
Stationäre pflegerische Versorgung alter Menschen ...................................370<br />
Klaus Wingenfeld<br />
Palliative Versorgung im <strong>Alter</strong> ........................................................................382<br />
Andreas Heller und Sabine Pleschberger<br />
Versorgung älterer Menschen aus ethischer Perspektive ...........................400<br />
Joachim <strong>Kuhlmey</strong><br />
Anfor<strong>de</strong>rungsverän<strong>de</strong>rungen an die Qualifizierung<br />
<strong>de</strong>r Gesundheitsberufe....................................................................................412<br />
Maik H.-J. Winter<br />
Autorenverzeichnis..........................................................................................421<br />
Sachwortregister..............................................................................................429<br />
<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong>, <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong> (<strong>Hrsg</strong>.): <strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit - Handbuch Gesundheitswissenschaften, Verlag Hans Huber, Bern 2008<br />
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<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong>, <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong> (<strong>Hrsg</strong>.): <strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit - Handbuch Gesundheitswissenschaften, Verlag Hans Huber, Bern 2008<br />
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Vorwort<br />
Das Thema Gesundheit und Krankheit im <strong>Alter</strong><br />
hat in <strong>de</strong>n vergangenen Jahren national wie international<br />
an gesellschaftlicher Be<strong>de</strong>utung gewonnen.<br />
Grün<strong>de</strong> dafür sind <strong>de</strong>r beschleunigte<br />
<strong>de</strong>mografische Wan<strong>de</strong>l und die nicht mehr zu<br />
übersehen<strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Krankheitspanoramas.<br />
So ist die durchschnittliche Lebenserwartung<br />
in <strong>de</strong>n vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich<br />
gestiegen und damit einhergehend<br />
hat sich <strong>de</strong>r Anteil älterer Menschen an <strong>de</strong>r<br />
Weltbevölkerung sukzessive erhöht. Dem 2005<br />
erschienenen UN-Expertenbericht zufolge sind<br />
bereits 600 Mio. Menschen über 60 Jahre alt<br />
und bis 2050 soll sich ihre Zahl auf mehr als<br />
2 Mrd. verdreifachen. Heute weist Deutschland<br />
im weltweiten Vergleich <strong>de</strong>n dritthöchsten Anteil<br />
über 60-Jähriger auf 20,5 Mio. <strong>de</strong>utsche<br />
Frauen und Männer sind älter als 60 Jahre, und<br />
bis 2050 wird ihre Zahl – so die Prognosen <strong>de</strong>s<br />
Bun<strong>de</strong>sseniorenministeriums – auf circa 25<br />
Mio. ansteigen. Bleiben die Geburtenraten so<br />
niedrig wie jetzt, wird sich damit ihr Anteil an<br />
<strong>de</strong>r Gesamtbevölkerung auf circa 36 % erhöhen.<br />
Mit Blick auf das höchste Durchschnittsalter<br />
<strong>de</strong>r Bevölkerung nimmt Deutschland weltweit<br />
betrachtet bereits Platz vier ein. Dabei ist<br />
es beson<strong>de</strong>rs die Gruppe <strong>de</strong>r Hochaltrigen, die<br />
überaus schnell wächst. Sie hat in <strong>de</strong>n letzten<br />
50 Jahren um beinahe 300 % zugenommen.<br />
Auch diese Entwicklung ist <strong>de</strong>n Prognosen zufolge<br />
anhaltend: Für das Jahr 2050 wird in<br />
Deutschland mit knapp acht Mio. Menschen gerechnet,<br />
die über 80 Jahre alt sind, so dass vermutlich<br />
gut 11 % <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Gesamtbevölkerung<br />
hochaltrig sein wird.<br />
Ein langes Leben wird also immer häufiger<br />
zur individuellen und gesellschaftlichen Realität.<br />
So bleibt zu fragen, wie sich <strong>de</strong>r Gewinn an<br />
Lebenszeit unter Gesundheitsgesichtspunkten<br />
ausnimmt und ob er auch mit einer Zunahme an<br />
mehr gesun<strong>de</strong>n Lebensjahren einhergeht. Obschon<br />
diese Frage nach wie vor nicht ein<strong>de</strong>utig<br />
beantwortet wer<strong>de</strong>n kann, ist mit einiger Sicherheit<br />
von einer wachsen<strong>de</strong>n Zahl an älteren<br />
Menschen auszugehen, <strong>de</strong>ren <strong>Alter</strong> relativ beschwer<strong>de</strong>frei<br />
und „gesund“ verläuft. Konzentriert<br />
ist diese Entwicklung vor allem auf das<br />
junge <strong>Alter</strong>. Im höheren und höchsten <strong>Alter</strong><br />
steigt die Wahrscheinlichkeit von gesundheitlicher<br />
Beeinträchtigung.<br />
Schon heute sind chronische Erkrankungen<br />
die Hauptursache für Behin<strong>de</strong>rung, Pflegebedürftigkeit<br />
sowie Tod: Weit mehr als die Hälfte<br />
aller To<strong>de</strong>sfälle wer<strong>de</strong>n durch chronische<br />
Lei<strong>de</strong>n verursacht. Auch diese Entwicklung<br />
wird künftig voranschreiten: In <strong>de</strong>n nächsten 25<br />
Jahren wer<strong>de</strong>n weltweit immer mehr To<strong>de</strong>sfälle<br />
durch chronische Krankheiten begrün<strong>de</strong>t sein.<br />
Gegenwärtig geht die WHO davon aus, dass<br />
chronische Erkrankungen allein in Europa drei<br />
Viertel <strong>de</strong>r Krankheitslast ausmachen und für<br />
fast 90 % <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sfälle verantwortlich sind.<br />
Mit zunehmen<strong>de</strong>m <strong>Alter</strong> steigt aber nicht nur<br />
das Risiko chronischer Erkrankung, son<strong>de</strong>rn<br />
auch die Gefahr mehrdimensionaler und komplexer<br />
Gesundheitseinbußen wie Multimorbidität.<br />
Häufig sind die körperlichen Erkrankungen<br />
gepaart mit psychischen Einbußen o<strong>de</strong>r Verlusten<br />
<strong>de</strong>r Funktionsfähigkeit. Dabei entstehen<br />
vulnerable Zustän<strong>de</strong>, die mehr sind als die<br />
Summe einzelner chronischer Krankheiten.<br />
Funktionsverluste, körperliche Gesundheitseinbußen,<br />
psychische Störungen, verstärken sich in<br />
synergetischer Weise. Beson<strong>de</strong>rs jenseits <strong>de</strong>s<br />
80. Lebensjahres kommt es damit einhergehend<br />
nicht selten zu Pflegebedürftigkeit, <strong>de</strong>r die Situation<br />
vorausgeht, dass die Aktivitäten <strong>de</strong>s täglichen<br />
Lebens nicht mehr autonom bewältigt<br />
wer<strong>de</strong>n können. Pflegebedürftigkeit sowie<br />
dauerhafte Angewiesenheit auf Fremdhilfe und<br />
auf unterschiedlichste Leistungen <strong>de</strong>s Versorgungssystems<br />
stellen in dieser <strong>Alter</strong>sphase<br />
keine Ausnahmeerscheinung dar. Dies <strong>de</strong>utet<br />
an, wie sehr <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografische Wan<strong>de</strong>l nicht<br />
nur das Gesundheits- und Krankheitsgeschehen,<br />
son<strong>de</strong>rn auch die Inanspruchnahme von Gesundheits-<br />
sowie Versorgungsleistungen verän<strong>de</strong>rt.<br />
Dieser Verän<strong>de</strong>rungsprozess wird sich fortsetzen.<br />
Allerdings sind Denkmuster, <strong>de</strong>nen zufolge<br />
sich allein die quantitativen Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
an die Gesundheitsversorgung erhöhen,<br />
zur Prognose und Bewältigung <strong>de</strong>r zukünftigen<br />
Situation nicht geeignet. Prozesse <strong>de</strong>r Krankheitsentwicklung<br />
lassen sich nicht einfach fortschreiben.<br />
Nutzer von Gesundheitsleistungen<br />
<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong>, <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong> (<strong>Hrsg</strong>.): <strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit - Handbuch Gesundheitswissenschaften, Verlag Hans Huber, Bern 2008<br />
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10<br />
verän<strong>de</strong>rn ihre Prioritätensetzung. Die gesellschaftliche<br />
Debatte folgt noch häufig <strong>de</strong>r Anti-<br />
Aging-Vorstellung und vergisst darüber die Anpassung<br />
<strong>de</strong>r altersgewan<strong>de</strong>lten Gesellschaft an<br />
die gesundheitlichen Herausfor<strong>de</strong>rungen.<br />
Dies wie auch die an<strong>de</strong>ren hier ange<strong>de</strong>uteten<br />
Entwicklungen, weisen auf ein Paradox, vor<br />
<strong>de</strong>m die Gesellschaften <strong>de</strong>s langen Lebens stehen:<br />
Einerseits hat <strong>de</strong>r gesellschaftliche, soziale<br />
und medizinische Fortschritt ermöglicht, dass<br />
das einstige Ziel <strong>de</strong>r Erreichung einer langen<br />
Lebenszeit endlich Realität ist. An<strong>de</strong>rerseits<br />
wer<strong>de</strong>n das <strong>Alter</strong> und die wachsen<strong>de</strong> Zahl älterer<br />
Menschen im gesellschaftlichen Diskurs<br />
noch immer eher als Bedrohung und Last statt<br />
als Gewinn wahrgenommen und hat das Wissen<br />
über die Gesundheitszustän<strong>de</strong> alter Menschen<br />
nicht mit <strong>de</strong>n Entwicklungen Stand gehalten,<br />
die selbst zur Lebensverlängerung beigetragen<br />
haben.<br />
Eine <strong>de</strong>r Ursachen hierfür dürfte darin liegen,<br />
dass <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografische und epi<strong>de</strong>miologische<br />
Wan<strong>de</strong>l, obschon sie seit langem sichtbar<br />
sind, hierzulan<strong>de</strong> viele Jahre in ihrer gesellschaftlichen<br />
Relevanz und auch Brisanz übersehen<br />
wur<strong>de</strong>n – sowohl auf politischer als auch<br />
auf wissenschaftlicher Ebene. Das gilt beson<strong>de</strong>rs<br />
für die aus ihnen erwachsenen Konsequenzen<br />
auf gesundheitlicher Ebene. Erst langsam<br />
– dies zeigt sich z. B. an Forschungsför<strong>de</strong>rmaßnahmen<br />
zur „Gesundheit im <strong>Alter</strong>“ – macht<br />
sich die Erkenntnis breit, dass die Entwicklung<br />
zur langlebigen o<strong>de</strong>r altersgewan<strong>de</strong>lten Gesellschaft<br />
Anpassungsprozesse erfor<strong>de</strong>rt, um <strong>de</strong>n<br />
mit ihr einhergehen<strong>de</strong>n Herausfor<strong>de</strong>rungen angemessen<br />
begegnen zu können.<br />
Eben diesen Herausfor<strong>de</strong>rungen und <strong>de</strong>n auf<br />
gesundheitlicher Ebene notwendigen Anpassungsprozessen<br />
widmet sich das vorliegen<strong>de</strong><br />
Handbuch. Es fasst die in <strong>de</strong>r nationalen und internationalen<br />
Literatur vorliegen<strong>de</strong>n, aus unterschiedlichen<br />
wissenschaftlichen Disziplinen<br />
stammen<strong>de</strong>n Befun<strong>de</strong> und Erkenntnisse zu Gesundheit<br />
und Krankheit im <strong>Alter</strong> und in <strong>de</strong>n unterschiedlichen<br />
Phasen <strong>de</strong>s <strong>Alter</strong>s zusammen<br />
und legt sie in gebün<strong>de</strong>lter Form vor. Denn Erkenntnisse<br />
über die gesundheitliche Situation<br />
älterer Menschen fin<strong>de</strong>n sich in vielen Disziplinen:<br />
in <strong>de</strong>r Gerontologie, <strong>de</strong>r Medizin und<br />
ihren Subdisziplinen, <strong>de</strong>r Biologie, <strong>de</strong>r Pharmakologie,<br />
ebenso <strong>de</strong>r Soziologie, <strong>de</strong>r (Gesundheits-)psychologie,<br />
Public Health, <strong>de</strong>r Rehabilitationswissenschaften,<br />
<strong>de</strong>r Pflegewissenschaft,<br />
etc. Obschon seit längerem betont wird, dass<br />
ein interdisziplinärer Zugriff erfor<strong>de</strong>rlich ist,<br />
um die Gesundheits- und Krankheitsprobleme<br />
im <strong>Alter</strong> theoretisch und empirisch erfassen und<br />
lösen zu können, existieren die vorliegen<strong>de</strong>n<br />
Erkenntnisse vielfach nebeneinan<strong>de</strong>r. Das ist<br />
verständlich, wenn bedacht wird, dass unterschiedliche<br />
wissenschaftliche Disziplinen jeweils<br />
unterschiedlichen Theorien, Konzepten<br />
und Metho<strong>de</strong>n folgen. Um auch diese disziplinären<br />
Ausgangspunkte sichtbar zu machen, folgen<br />
die Beiträge <strong>de</strong>s Handbuchs meist <strong>de</strong>n unterschiedlichen<br />
Wissenschafts- sowie Diskussionstraditionen<br />
und <strong>de</strong>uten damit indirekt auch<br />
an, wie weit wir in Deutschland mit <strong>de</strong>r Realisierung<br />
von Interdisziplinarität gekommen sind<br />
und welche Integrationsherausfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r<br />
Bewältigung harren.<br />
Die Beiträge greifen unterschiedliche Aspekte<br />
<strong>de</strong>s Zusammenhangs von <strong>Alter</strong>(n), Gesundheit<br />
und Krankheit auf und referieren <strong>de</strong>n<br />
aktuellen Wissensstand. Eindrucksvoll zeigen<br />
sie, wie vielfältig die in <strong>de</strong>n unterschiedlichen<br />
Disziplinen vorliegen<strong>de</strong>n Erkenntnisse und Befun<strong>de</strong><br />
sind, ferner weisen sie auf bestehen<strong>de</strong><br />
Forschungs<strong>de</strong>si<strong>de</strong>rata hin. Durchgängig aber<br />
machen sie eines <strong>de</strong>utlich: wie wichtig es ist,<br />
<strong>de</strong>r Gesundheits- und Krankheitsproblematik in<br />
<strong>de</strong>r <strong>Alter</strong>(n)s<strong>de</strong>batte weitere intensive Beachtung<br />
zu schenken. Ebenso ver<strong>de</strong>utlichen sie allerdings<br />
auch, wie dringend nötig es ist, <strong>Alter</strong><br />
als zentrale Determinante <strong>de</strong>s Gesundheits- und<br />
Krankheitsgeschehens stärker in <strong>de</strong>n Blick zu<br />
nehmen und dabei <strong>de</strong>n altersspezifischen Beson<strong>de</strong>rheiten<br />
vieldiskutierter Gesundheits- und<br />
Krankheitsprobleme mehr Aufmerksamkeit zu<br />
widmen.<br />
Das Handbuch wen<strong>de</strong>t sich an Studieren<strong>de</strong>,<br />
Wissenschaftler und Praktiker, aber auch an<br />
politische Entscheidungsträger. Es will ihnen<br />
einen Einblick in die Vielfalt relevanter Fragestellungen<br />
im Kontext von <strong>Alter</strong>(n), Gesundheit<br />
und Krankheit geben, ohne <strong>de</strong>n Anspruch auf<br />
Vollständigkeit zu erheben. Im ersten Teil wer<strong>de</strong>n<br />
theoretische Grundlagen <strong>de</strong>s <strong>Alter</strong>ns im<br />
Kontext <strong>de</strong>r Gesundheits<strong>de</strong>batte bearbeitet, im<br />
zweiten Teil empirische Befun<strong>de</strong> zur Gesundheits-<br />
und Krankheitsentwicklung im <strong>Alter</strong> dargestellt<br />
und diskutiert mit <strong>de</strong>r Intention, eine<br />
differenzielle Betrachtung <strong>de</strong>s <strong>Alter</strong>s und <strong>de</strong>r<br />
Gesundheitsprobleme im <strong>Alter</strong> zu ermöglichen.<br />
<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong>, <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong> (<strong>Hrsg</strong>.): <strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit - Handbuch Gesundheitswissenschaften, Verlag Hans Huber, Bern 2008<br />
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Dabei stehen u. a. Fragen nach <strong>de</strong>m Zusammenhang<br />
von Gesundheit und sozialer Ungleichheit,<br />
<strong>de</strong>m Geschlecht o<strong>de</strong>r Migration im<br />
Mittelpunkt. Im dritten und vierten Teil gilt das<br />
Interesse drängen<strong>de</strong>n Anpassungsherausfor<strong>de</strong>rungen<br />
im Gesundheitswesen.<br />
Zunächst wer<strong>de</strong>n Möglichkeiten <strong>de</strong>r Gesundheitserhaltung<br />
im Prozess <strong>de</strong>s Altwer<strong>de</strong>ns wie<br />
auch <strong>de</strong>r Prävention und Gesundheitsför<strong>de</strong>rung<br />
aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlichen<br />
Schwerpunkten diskutiert. Alsdann<br />
stehen im vierten Teil Versorgungsaspekte<br />
im Mittelpunkt. Thematisiert wird die gegenwärtige<br />
Versorgungssituation alter kranker<br />
Frauen und Männer in <strong>de</strong>n unterschiedlichen<br />
Versorgungsbereichen, <strong>de</strong>ren Spektrum von <strong>de</strong>r<br />
ambulanten medizinischen Versorgung über die<br />
unterschiedlichen Bereiche <strong>de</strong>r pflegerischen<br />
Versorgung bis hin zur palliativen Versorgung<br />
reicht.<br />
11<br />
Unser Dank gilt <strong>de</strong>n zahlreichen beteiligten, aus<br />
unterschiedlichen Fachdisziplinen stammen<strong>de</strong>n<br />
Autorinnen und Autoren für ihre Bereitschaft<br />
zur Mitwirkung, doch ebenso für ihr Engagement,<br />
ihre Kollegialität und ihre Geduld bei <strong>de</strong>r<br />
Beantwortung von Nachfragen und <strong>de</strong>r Umsetzung<br />
von Korrekturwünschen. Ganz beson<strong>de</strong>rs<br />
danken wir Katja Kummer und Anne Ahnis,<br />
<strong>de</strong>nen die redaktionelle Arbeit oblag und die<br />
durch akribische und unermüdliche Textbearbeitung<br />
dazu beitrugen, dass <strong>de</strong>n Lesern nun<br />
wirklich ein Handbuch vorgelegt wer<strong>de</strong>n kann.<br />
<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong> & <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong><br />
<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong>, <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong> (<strong>Hrsg</strong>.): <strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit - Handbuch Gesundheitswissenschaften, Verlag Hans Huber, Bern 2008<br />
© 2008 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern<br />
Keine unerlaubte Weitergabe o<strong>de</strong>r Vervielfätigung.
<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong>, <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong> (<strong>Hrsg</strong>.): <strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit - Handbuch Gesundheitswissenschaften, Verlag Hans Huber, Bern 2008<br />
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Teil 1<br />
<strong>Alter</strong>(n), Gesundheit und Krankheit –<br />
Theoretische Grundlagen<br />
<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong>, <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong> (<strong>Hrsg</strong>.): <strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit - Handbuch Gesundheitswissenschaften, Verlag Hans Huber, Bern 2008<br />
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Psychologische Verän<strong>de</strong>rungen im <strong>Alter</strong><br />
Andreas Kruse<br />
Das biologische und psychologische Verständnis<br />
von <strong>Alter</strong> lässt sich anhand <strong>de</strong>s lateinischrömischen<br />
Verständnisses <strong>de</strong>r „Stufenleiter <strong>de</strong>r<br />
Natur“ (scala naturae) veranschaulichen, das in<br />
<strong>de</strong>r Aussage: „Natura non facit saltum“, übersetzt<br />
„die Natur macht keine Sprünge“, zum<br />
Ausdruck kommt. Auf das Verständnis von <strong>Alter</strong><br />
angewen<strong>de</strong>t heißt dies: Die Abgrenzung<br />
eines eigenen Lebensabschnitts „<strong>Alter</strong>“ ist im<br />
Grun<strong>de</strong> nicht möglich. Vielmehr ist von <strong>Alter</strong>nsprozessen<br />
auszugehen, die sich über weite<br />
Teile <strong>de</strong>r Biografie erstrecken und die im Sinne<br />
von graduellen Verän<strong>de</strong>rungen zu interpretieren<br />
sind. Ein <strong>de</strong>r Biologie entnommenes Beispiel<br />
für dieses Verständnis von <strong>Alter</strong>n ist die von<br />
Bürger (1947) vorgeschlagene Definition von<br />
Biomorphose: Danach ist „<strong>Alter</strong>n je<strong>de</strong> gesetzmäßige,<br />
irreversible Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r leben<strong>de</strong>n<br />
Substanz als Funktion <strong>de</strong>r Zeit.“ Als Beispiel<br />
für das psychologische Verständnis <strong>de</strong>s <strong>Alter</strong>ns<br />
lässt sich die auf Thomae (2002) zurückgehen<strong>de</strong><br />
Definition <strong>de</strong>r kontinuierlichen Verän<strong>de</strong>rungen<br />
in <strong>de</strong>r thematischen Strukturierung eines<br />
Menschen anführen: Mit <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r thematischen<br />
Strukturierung wird zum Ausdruck<br />
gebracht, dass die subjektive Deutung <strong>de</strong>s<br />
Selbst ebenso wie die subjektive Deutung <strong>de</strong>r<br />
Welt durch die grundlegen<strong>de</strong>n Lebensthemen<br />
(„Daseinsthemen“) eines Menschen bestimmt<br />
ist, die in einer gegebenen Lebensphase dominieren<br />
(auch Thomae 1968). Dabei ist zu beobachten,<br />
dass die Daseinsthemen zwar einerseits<br />
eine hohe Kontinuität über die individuelle Biografie<br />
aufweisen (und somit die prägen<strong>de</strong>n individuellen<br />
Erlebnisse, Erfahrungen und Erkenntnisse<br />
wi<strong>de</strong>rspiegeln), dass sich in ihnen aber an<strong>de</strong>rerseits<br />
auch lebensalterspezifische, sowohl<br />
von <strong>de</strong>r biologisch-physiologischen Entwicklung<br />
als auch von <strong>de</strong>n gesellschaftlich <strong>de</strong>finierten<br />
Rollenerwartungen bestimmte, Entwicklungsaufgaben<br />
nie<strong>de</strong>rschlagen – und es ist gera<strong>de</strong><br />
die Verbindung personaler, höchst individueller<br />
Lebensthemen mit biologisch-physiologisch<br />
und gesellschaftlich bedingten Entwicklungsaufgaben,<br />
die Thomae zufolge <strong>de</strong>n Kern<br />
subjektiver Erfahrungen, Erkenntnisse sowie<br />
Handlungen und damit zugleich <strong>de</strong>n Kern psychischer<br />
Entwicklung im <strong>Alter</strong>n bil<strong>de</strong>t (auch<br />
Lehr 1980, Kruse 2005a, Staudinger 2005). Die<br />
mit <strong>de</strong>m <strong>Alter</strong>nsprozess auftreten<strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungen<br />
beschränken sich nicht allein auf Verluste<br />
– wie z. B. die Anpassungsfähigkeit <strong>de</strong>s<br />
Organismus o<strong>de</strong>r die Abnahme <strong>de</strong>r Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit.<br />
Sie schließen<br />
im seelisch-geistigen Bereich auch potenzielle<br />
Gewinne ein – wie z. B. die Entwicklung von<br />
hoch organisierten und damit leicht abrufbaren<br />
Wissenssystemen sowie von effektiven Handlungsstrategien<br />
(Lin<strong>de</strong>nberger 2000). Der Zuwachs<br />
an Wissen und Handlungskompetenz ist<br />
jedoch nur unter <strong>de</strong>r Voraussetzung <strong>de</strong>r im gesamten<br />
Lebenslauf bestehen<strong>de</strong>n Offenheit <strong>de</strong>s<br />
Menschen für neue Erfahrungen sowie <strong>de</strong>r bewussten<br />
Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit neuen Problemsituationen<br />
möglich (Sternberg 1997).<br />
Differenzierung zwischen<br />
drittem und viertem Lebensalter<br />
Lehr (2007) zufolge ist <strong>de</strong>r Nachweis <strong>de</strong>r hohen<br />
interindividuellen Unterschie<strong>de</strong> im <strong>Alter</strong> einer<br />
<strong>de</strong>r zentralen Befun<strong>de</strong> psychologischer, soziologischer<br />
und medizinischer <strong>Alter</strong>nsforschung.<br />
Doch trotz <strong>de</strong>r hohen interindividuellen Unterschie<strong>de</strong><br />
ist es vor <strong>de</strong>m Hintergrund bestehen<strong>de</strong>r<br />
Forschungsbefun<strong>de</strong> gerechtfertigt, zwischen<br />
einem „dritten“ und einem „vierten Lebensalter“<br />
zu differenzieren (z. B. Baltes 1999), wobei<br />
diese Differenzierung allerdings nur als ein<br />
Ordnungsprinzip zu verstehen ist, das nicht<br />
über die ausgeprägten interindividuellen Unterschie<strong>de</strong><br />
sowohl in <strong>de</strong>r körperlichen als auch in<br />
<strong>de</strong>r seelisch-geistigen Dimension hinwegtäuschen<br />
soll.<br />
Beim Großteil <strong>de</strong>r im „dritten Lebensalter“<br />
(<strong>de</strong>finiert als Zeitspanne von 60 bis 80 Jahre)<br />
stehen<strong>de</strong>n Menschen kann von „erfolgreichem<br />
<strong>Alter</strong>n“ (Rowe & Kahn 1998) im Sinne <strong>de</strong>r medizinischen,<br />
psychologischen, soziologischen<br />
sowie ökonomischen Definition ausgegangen<br />
wer<strong>de</strong>n. Auch wenn in diesem <strong>Alter</strong> die<br />
physiologische Leistungskapazität erkennbar<br />
<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong>, <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong> (<strong>Hrsg</strong>.): <strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit - Handbuch Gesundheitswissenschaften, Verlag Hans Huber, Bern 2008<br />
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16<br />
Teil 1: <strong>Alter</strong>(n), Gesundheit und Krankheit – Theoretische Grundlagen<br />
zurückgeht und das Risiko chronischer Erkrankungen<br />
(zu nennen sind vor allem Herz-Kreislauf-,<br />
Stoffwechsel-Erkrankungen sowie Erkrankungen<br />
<strong>de</strong>s Stütz- und Bewegungssystems)<br />
zunimmt, so ist doch festzustellen, dass <strong>de</strong>r<br />
Großteil <strong>de</strong>r „jungen Alten“ einen relativ guten<br />
o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st einen zufrie<strong>de</strong>nstellen<strong>de</strong>n Gesundheitszustand<br />
aufweist und zu<strong>de</strong>m unabhängig<br />
von Hilfe o<strong>de</strong>r Pflege ist (Überblick in<br />
Kruse 2002). Auch die Analyse zentraler Indikatoren<br />
<strong>de</strong>s psychischen Adaptationsniveaus<br />
(wie z. B. Grad <strong>de</strong>r Lebenszufrie<strong>de</strong>nheit, Häufigkeit<br />
<strong>de</strong>s Auftretens positiver versus negativer<br />
Emotionen, Ausprägung <strong>de</strong>pressiver Symptomatik)<br />
<strong>de</strong>utet beim Großteil <strong>de</strong>r „jungen Alten“<br />
auf ein – aus psychologischer Sicht – erfolgreiches<br />
<strong>Alter</strong>n hin; nur in einer relativ kleinen<br />
Gruppe sind Hinweise auf geringe Lebenszufrie<strong>de</strong>nheit,<br />
auf eine stärker ausgeprägte <strong>de</strong>pressive<br />
Symptomatik und auf das Überwiegen negativer<br />
Emotionen erkennbar (Staudinger &<br />
Pasupathi 2000). Darüber hinaus besteht nur bei<br />
wenigen Menschen im „dritten Lebensalter“<br />
eine Isolation, und es berichten auch nur wenige<br />
Menschen über Gefühle <strong>de</strong>r Einsamkeit.<br />
Schließlich lässt sich die Feststellung treffen,<br />
dass die materiellen Ressourcen älterer Menschen<br />
in <strong>de</strong>n vergangenen Jahrzehnten erkennbar<br />
gestiegen sind, so dass es sich bei <strong>de</strong>n von<br />
Armut betroffenen o<strong>de</strong>r bedrohten älteren Menschen<br />
um eine Min<strong>de</strong>rheit han<strong>de</strong>lt.<br />
Wählt man die genannten Definitionen erfolgreichen<br />
<strong>Alter</strong>ns als Grundlage für die Analyse<br />
<strong>de</strong>r physischen, seelisch-geistigen, sozialen<br />
und materiellen Situation im „vierten Lebensalter“<br />
(<strong>de</strong>finiert als Zeitspanne ab 80 Jahre), so<br />
sind diese optimistischen Aussagen über das<br />
<strong>Alter</strong> zu relativieren (Baltes 1999). Die Verletzbarkeit<br />
<strong>de</strong>s Organismus, d. h. die Anfälligkeit<br />
für gesundheitliche Störungen und funktionelle<br />
Einbußen, nimmt im vierten Lebensalter erkennbar<br />
zu und damit das Risiko <strong>de</strong>r chronischen<br />
körperlichen Erkrankungen, <strong>de</strong>r Multimorbidität<br />
sowie <strong>de</strong>r Hilfe- und Pflegebedürftigkeit<br />
(Ding-Greiner & Lang 2004, s. Büscher<br />
& Wingenfeld in diesem <strong>Buch</strong>). Auch das Zentralnervensystem<br />
ist von dieser erhöhten Verletzbarkeit<br />
betroffen: Diese spiegelt sich zum<br />
einen in <strong>de</strong>r verringerten Kapazität <strong>de</strong>r Informationsverarbeitung<br />
wi<strong>de</strong>r (die auf die verringerte<br />
Plastizität neuronaler Netzwerke zurückzuführen<br />
ist), zum an<strong>de</strong>ren in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utlichen<br />
Zunahme an psychoorganischen Erkrankungen<br />
(hier vor allem <strong>de</strong>r Demenz) (s. Riepe in diesem<br />
<strong>Buch</strong>). Im vierten Lebensalter nimmt die<br />
Wahrscheinlichkeit <strong>de</strong>s Verlusts von nahe stehen<strong>de</strong>n<br />
Personen zu, wodurch sich das Einsamkeitsrisiko<br />
erhöht (Lang et al. 2005). Und<br />
schließlich ist zu berücksichtigen, dass trotz<br />
einer im Allgemeinen gegebenen materiellen<br />
Sicherung älterer Menschen alleinstehen<strong>de</strong><br />
Frauen im vierten Lebensalter vom Risiko <strong>de</strong>r<br />
Armut bedroht sind (Bäcker 2002). Mit an<strong>de</strong>ren<br />
Worten: Während das dritte Lebensalter durchaus<br />
im Sinne <strong>de</strong>r späten Freiheit charakterisiert<br />
wer<strong>de</strong>n kann, die aus <strong>de</strong>m Fortfallen externer<br />
Verpflichtungen in Beruf und Familie erwächst<br />
(Rosenmayr 2003), ist das vierte Lebensalter<br />
eher im Sinne einer Kumulation von Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />
und Verlusten zu charakterisieren.<br />
Diese Aussage gilt vor allem für Frauen, bei<br />
<strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r körperliche, psychische, soziale und<br />
sozioökonomische Funktionsstatus im Durchschnitt<br />
geringer ist als bei Männern.<br />
Persönlichkeitsentwicklung<br />
im <strong>Alter</strong><br />
Die Verwendung <strong>de</strong>s Konzepts Persönlichkeit<br />
für die Erklärung und Vorhersage von interindividuellen<br />
Unterschie<strong>de</strong>n im Erleben und Verhalten<br />
setzt die Vorstellung hinreichend stabiler<br />
Persönlichkeitseigenschaften, im Sinne von individualtypischen<br />
Regelmäßigkeiten <strong>de</strong>s Erlebens<br />
und Verhaltens, voraus. Damit ist kein<br />
Wi<strong>de</strong>rspruch zwischen Persönlichkeit und Entwicklung<br />
impliziert, <strong>de</strong>nn: „Aus fluktuieren<strong>de</strong>n<br />
Zustän<strong>de</strong>n mit anfangs unvorhersagbarem Verlauf,<br />
z. B. im Säuglingsalter, kann sich durch<br />
Einschränkung <strong>de</strong>r Variabilität <strong>de</strong>s Erlebens<br />
o<strong>de</strong>r Verhaltens eine feste, vorhersagbare Ten<strong>de</strong>nz<br />
entwickeln. Aber auch umgekehrt können<br />
sich fest gefügte Persönlichkeitseigenschaften<br />
in <strong>de</strong>sorganisierte Fluktuationen auflösen, z. B.<br />
im hohen <strong>Alter</strong>. So betrachtet ist Persönlichkeit<br />
ein kurz- bis mittelfristiger stabiler Zustand<br />
eines dynamischen Systems, das von <strong>de</strong>r Zeugung<br />
bis zum Tod in ständiger Verän<strong>de</strong>rung begriffen<br />
ist“ (Asendorpf 2002, S. 48).<br />
Roberts und DelVecchio (2000) berücksichtigten<br />
in einer Metaanalyse zur Stabilität sozialemotionaler<br />
Persönlichkeitsmerkmale über die<br />
<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong>, <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong> (<strong>Hrsg</strong>.): <strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit - Handbuch Gesundheitswissenschaften, Verlag Hans Huber, Bern 2008<br />
© 2008 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern<br />
Keine unerlaubte Weitergabe o<strong>de</strong>r Vervielfätigung.
Psychologische Verän<strong>de</strong>rungen im <strong>Alter</strong> 17<br />
Lebensspanne 152 Längsschnittstudien. Auf <strong>de</strong>r<br />
Grundlage von über 3.000 Stabilitätskoeffizienten<br />
– diese beruhen auf Daten von über<br />
35.000 Personen, die in einem durchschnittlichen<br />
Abstand von 6,8 Jahren untersucht wur<strong>de</strong>n<br />
– konnte gezeigt wer<strong>de</strong>n, dass sich sozialemotionale<br />
Persönlichkeitsmerkmale nicht nur<br />
im Kin<strong>de</strong>s- und Jugendalter, son<strong>de</strong>rn auch im<br />
jüngeren Erwachsenenalter erheblich verän<strong>de</strong>rn.<br />
An<strong>de</strong>rs als im Bereich <strong>de</strong>r Intelligenz, wo<br />
sich interindividuelle Unterschie<strong>de</strong> bereits im<br />
<strong>Alter</strong> von etwa acht Jahren stabilisieren (Asendorpf<br />
1999), entwickelt sich eine ausgeprägte<br />
differenzielle Stabilität sozial-emotionaler Persönlichkeitseigenschaften<br />
erst im höheren Erwachsenenalter.<br />
Für praktisch alle untersuchten<br />
Persönlichkeitseigenschaften zeigten sich charakteristische<br />
Zunahmen <strong>de</strong>r Stabilität nach<br />
einem <strong>Alter</strong> von drei, 18 sowie 50 Jahren, was<br />
darauf hin<strong>de</strong>utet, dass <strong>de</strong>m Übergang zum Kin<strong>de</strong>rgartenalter,<br />
<strong>de</strong>m Verlassen <strong>de</strong>s Elternhauses<br />
sowie <strong>de</strong>m Zeitpunkt, zu <strong>de</strong>m die eigenen<br />
Kin<strong>de</strong>r das Elternhaus verlassen, beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung<br />
für eine Stabilisierung sozial-emotionaler<br />
Persönlichkeitseigenschaften zukommt. In<br />
Quer- und Längsschnittanalysen, die zum Teil<br />
auf Selbst-, zum Teil auf Frem<strong>de</strong>inschätzungen<br />
(z. B. durch <strong>de</strong>n Ehepartner) beruhen, wur<strong>de</strong>n<br />
zahlreiche Belege für die Stabilität grundlegen<strong>de</strong>r<br />
Dimensionen <strong>de</strong>r Persönlichkeit gefun<strong>de</strong>n<br />
(McCrae 1982). Auch konnte gezeigt wer<strong>de</strong>n,<br />
dass die Wahl <strong>de</strong>s Ehepartners, Erwartungen<br />
und differenzielle Bekräftigungen durch<br />
das soziale Umfeld o<strong>de</strong>r auch ein bevorzugtes<br />
Aufsuchen von „persönlichkeitskongruenten“<br />
Umwelten zur Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen<br />
ebenso beitragen wie zur Stabilität<br />
fehlangepassten Verhaltens (Von Dras &<br />
Siegler 1997).<br />
An<strong>de</strong>rerseits belegen zahlreiche Arbeiten die<br />
Gültigkeit von Entwicklungstheorien, die von<br />
einer lebenslangen Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Persönlichkeit<br />
ausgehen. Längsschnittanalysen zur Entwicklung<br />
<strong>de</strong>r weiblichen Persönlichkeit sprechen<br />
dafür, dass insbeson<strong>de</strong>re im Lebenslauf<br />
von Frauen be<strong>de</strong>utsame Verän<strong>de</strong>rungen in mehreren<br />
Persönlichkeitseigenschaften (vor allem<br />
in: „cognitive commitment“, „outgoingness“,<br />
„self-confi<strong>de</strong>nce“, „<strong>de</strong>pendability“) auftreten<br />
(Jones & Meredith 1996). Auch wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Zusammenhang<br />
zwischen <strong>de</strong>r historischen Entwicklung<br />
und Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r individuellen<br />
Persönlichkeit in <strong>de</strong>n letzten Jahren zunehmend<br />
Aufmerksamkeit geschenkt. Roberts und Helson<br />
(1997) haben untersucht, bei welchen<br />
Frauen <strong>de</strong>r zwischen 1950 und 1980 in <strong>de</strong>r<br />
amerikanischen Kultur zunehmen<strong>de</strong> Individualismus<br />
mit einer zunehmen<strong>de</strong>n Selbstfokussierung<br />
und geringeren Wertschätzung von sozialen<br />
Normen verbun<strong>de</strong>n gewesen ist. Dabei erweisen<br />
sich die im frühen Erwachsenenalter erhobenen<br />
Werte für Ich-Stärke und Anpassung<br />
als gute Prädiktoren einer Persönlichkeitsverän<strong>de</strong>rung.<br />
Nach Ryff und Kollegen (2001) ist die Frage<br />
nach Stabilität versus Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Persönlichkeit<br />
nur in Abhängigkeit von <strong>de</strong>r jeweils bevorzugten<br />
Operationalisierung von Persönlichkeit<br />
und Verän<strong>de</strong>rung zu beantworten: Je nach<br />
Operationalisierung zeichnen sich nicht nur einige<br />
Menschen durch ein hohes Maß an Stabilität<br />
und an<strong>de</strong>re durch ein hohes Maß an Verän<strong>de</strong>rung<br />
aus, son<strong>de</strong>rn auch einige sowohl durch<br />
Verän<strong>de</strong>rung als auch durch Stabilität.<br />
Die Be<strong>de</strong>utung von Persönlichkeitsmerkmalen<br />
für die Lebenszufrie<strong>de</strong>nheit lässt sich anhand<br />
Befun<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Berliner <strong>Alter</strong>sstudie<br />
(Mayer & Baltes 1996) belegen. Höhere Werte<br />
auf <strong>de</strong>r Dimension Neurotizismus gingen mit<br />
geringeren, höhere Werte auf <strong>de</strong>r Dimension<br />
Extraversion mit höheren Zufrie<strong>de</strong>nheitswerten<br />
einher; durch die Dimension Neurotizismus<br />
konnten 20 %, durch die Dimension Extraversion<br />
9 % <strong>de</strong>r Varianz im Merkmal Lebenszufrie<strong>de</strong>nheit<br />
aufgeklärt wer<strong>de</strong>n (Staudinger et al.<br />
1996). Des Weiteren erwies sich die Dimension<br />
Neurotizismus als be<strong>de</strong>utsamer Mo<strong>de</strong>rator <strong>de</strong>s<br />
Zusammenhangs zwischen körperlichen Risiken<br />
und Lebenszufrie<strong>de</strong>nheit im <strong>Alter</strong>. Für<br />
Personen mit einem über <strong>de</strong>m Median liegen<strong>de</strong>n<br />
Neurotizismuswert wur<strong>de</strong> eine Korrelation<br />
von -.29 zwischen körperlichen Risiken und<br />
<strong>Alter</strong>szufrie<strong>de</strong>nheit ermittelt. Dieser Wert lag<br />
für die Gesamtstichprobe bei -.36, für Personen<br />
mit einem unter <strong>de</strong>m Median liegen<strong>de</strong>n Neurotizismuswert<br />
bei -.35. Nach Staudinger und<br />
Kollegen (1996) kann dieser Befund als Hinweis<br />
darauf ge<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n, dass es unter <strong>de</strong>r<br />
Bedingung starker körperlicher Belastungen<br />
durchaus funktional sein kann, negative Gefühle<br />
zu erleben und „regressive“ Bewältigungsstrategien<br />
zu verfolgen. In <strong>de</strong>r Berliner<br />
<strong>Alter</strong>sstudie wur<strong>de</strong> auch <strong>de</strong>r Frage nachgegangen,<br />
inwieweit mit fortschreiten<strong>de</strong>m <strong>Alter</strong><br />
<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong>, <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong> (<strong>Hrsg</strong>.): <strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit - Handbuch Gesundheitswissenschaften, Verlag Hans Huber, Bern 2008<br />
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18<br />
Teil 1: <strong>Alter</strong>(n), Gesundheit und Krankheit – Theoretische Grundlagen<br />
Persönlichkeitsverän<strong>de</strong>rungen auftreten, die als<br />
Hinweis auf eine vermin<strong>de</strong>rte „psychologische<br />
Funktionalität“ ge<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n können. Die<br />
Ergebnisse bestätigen zunächst die getroffene<br />
Annahme hinsichtlich <strong>de</strong>r persönlichen und sozialen<br />
Erwünschtheit <strong>de</strong>r Dimensionen Extraversion<br />
und Neurotizismus, insofern diese be<strong>de</strong>utsame<br />
Korrelationen in <strong>de</strong>r erwarteten Richtung<br />
mit <strong>de</strong>r <strong>Alter</strong>szufrie<strong>de</strong>nheit aufwiesen. Des<br />
Weiteren zeigte sich, dass die Untersuchungsteilnehmer<br />
mit zunehmen<strong>de</strong>m <strong>Alter</strong> zum einen<br />
geringere Werte für Extraversion und Offenheit<br />
aufwiesen sowie weniger positive Emotionen<br />
und subjektives Lebensinvestment angaben.<br />
Zum an<strong>de</strong>ren erlebten sich die älteren Untersuchungsteilnehmer<br />
in stärkerem Maße als external<br />
kontrolliert und emotional vereinsamt.<br />
Die beschriebenen <strong>Alter</strong>sunterschie<strong>de</strong> waren in<br />
ihrem Ausmaß vergleichsweise gering. Während<br />
externale Kontrolle und emotionale Einsamkeit<br />
mit r = .33 bzw. r = .29 mit <strong>de</strong>m <strong>Alter</strong><br />
noch vergleichsweise korrelierten, waren die<br />
Zusammenhänge für Offenheit (r = -.20) und<br />
Extraversion (r = -.19) <strong>de</strong>utlich geringer, für die<br />
Dimension Neurotizismus ergab sich kein be<strong>de</strong>utsamer<br />
Zusammenhang mit <strong>de</strong>m Lebensalter.<br />
Im Bereich <strong>de</strong>r Persönlichkeit erklärte das<br />
Lebensalter <strong>de</strong>utlich weniger Varianz als im<br />
Bereich <strong>de</strong>r Intelligenz. Dennoch können die<br />
ermittelten Unterschie<strong>de</strong> in ihrer Gesamtheit<br />
nach Smith und Baltes (1996, S. 234) „in Richtung<br />
geringerer psychologischer Funktionalität<br />
und mehr Dysfunktionalität als Hinweis auf<br />
eine Art chronischer Stressreaktion im hohen<br />
<strong>Alter</strong>“ interpretiert wer<strong>de</strong>n.<br />
In ihrer Analyse von Profilen „psychologischer<br />
Funktionstüchtigkeit“ haben Smith und<br />
Baltes (1997) zwölf Merkmale zur Erfassung<br />
von intellektueller Leistungsfähigkeit, Selbst<br />
und Persönlichkeit sowie sozialer Beziehungen<br />
einer Clusteranalyse unterzogen. Während insgesamt<br />
53 % <strong>de</strong>r Männer unter ein „günstiges“<br />
Cluster subsumiert wer<strong>de</strong>n konnten, lag <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong><br />
Anteil unter <strong>de</strong>n Frauen bei 41 %.<br />
Dieser Geschlechtsunterschied trat sowohl in<br />
<strong>de</strong>r Gruppe <strong>de</strong>r 70- bis 84-Jährigen als auch in<br />
<strong>de</strong>r Gruppe <strong>de</strong>r 85-Jährigen und Älteren auf: In<br />
<strong>de</strong>r jüngeren Gruppe fan<strong>de</strong>n sich 76 % <strong>de</strong>r<br />
Männer und 63 % <strong>de</strong>r Frauen, in <strong>de</strong>r älteren<br />
Gruppe 30 % <strong>de</strong>r Männer und 19 % <strong>de</strong>r Frauen<br />
in einem als „günstig“ charakterisierten Cluster.<br />
Der berichtete Geschlechtsunterschied geht vor<br />
allem auf zwei Cluster zurück: Auf ein durch<br />
hohe Werte für Neurotizismus, soziale Externalität<br />
und erlebte Unterstützung gekennzeichnetes<br />
sowie auf ein durch schwere kognitive Beeinträchtigungen,<br />
hohe Neurotizismuswerte und<br />
geringe Werte für Extraversion und internale<br />
Kontrolle gekennzeichnetes Cluster. In ersterem<br />
ist <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r Männer mehr als doppelt<br />
so hoch wie <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r Frauen, in letzterem<br />
ist <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r Frauen mehr als doppelt<br />
so hoch wie <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r Männer.<br />
Verän<strong>de</strong>rbarkeit kognitiver<br />
Leistungen im <strong>Alter</strong> durch<br />
Intervention<br />
Die Analyse <strong>de</strong>r Intelligenzentwicklung wird in<br />
<strong>de</strong>r gerontologischen Forschung vielfach im<br />
Kontext eines Zwei-Komponenten-Mo<strong>de</strong>lls<br />
vorgenommen, das zwischen kristalliner und<br />
flui<strong>de</strong>r Intelligenz bzw. kognitiver Pragmatik<br />
und kognitiver Mechanik differenziert. Dabei<br />
bezieht sich <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r kristallinen Intelligenz<br />
o<strong>de</strong>r kognitiven Pragmatik auf die Fähigkeit,<br />
vertraute kognitive Probleme zu lösen. In<br />
dieser Intelligenzkomponente spiegeln sich die<br />
vom Individuum rezipierten und organisierten<br />
Wissensinhalte und Wissenssysteme wi<strong>de</strong>r, die<br />
für jene Gesellschaft und Kultur charakteristisch<br />
sind, in <strong>de</strong>r es lebt. Die kristalline Intelligenz<br />
ist ein Indikator für das Ausmaß, in <strong>de</strong>m<br />
sich ein Individuum Verhaltensweisen und<br />
Strategien angeeignet hat, die in <strong>de</strong>r jeweiligen<br />
Gesellschaft als intelligentes Verhalten betrachtet<br />
wer<strong>de</strong>n, also <strong>de</strong>r inhaltlichen Ausgestaltung<br />
<strong>de</strong>s Denkens und Wissens. Der Begriff <strong>de</strong>r<br />
flui<strong>de</strong>n Intelligenz o<strong>de</strong>r Mechanik bezieht sich<br />
dagegen auf solche Fähigkeiten, die sich relativ<br />
unabhängig von systematischen Akkulturationseinflüssen<br />
entwickeln. Mit <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r<br />
flui<strong>de</strong>n Intelligenz o<strong>de</strong>r kognitiven Mechanik<br />
sind kognitive Basisoperationen angesprochen,<br />
die vor allem für die Bewältigung neuartiger<br />
kognitiver Probleme notwendig sind. Die bei<strong>de</strong>n<br />
Intelligenzkomponenten unterschei<strong>de</strong>n sich<br />
hinsichtlich ihres Verlaufs im mittleren und<br />
höheren Erwachsenenalter <strong>de</strong>utlich voneinan<strong>de</strong>r:<br />
Während die Leistungsfähigkeit in <strong>de</strong>r kristallinen<br />
Intelligenz über weite Abschnitte <strong>de</strong>s<br />
<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong>, <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong> (<strong>Hrsg</strong>.): <strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit - Handbuch Gesundheitswissenschaften, Verlag Hans Huber, Bern 2008<br />
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Psychologische Verän<strong>de</strong>rungen im <strong>Alter</strong> 19<br />
Erwachsenenalters erhalten bleibt o<strong>de</strong>r sogar<br />
weiter zunimmt, geht die Leistungsfähigkeit in<br />
<strong>de</strong>r flui<strong>de</strong>n Intelligenz zurück (Überblick in:<br />
Schaie 1996, Lin<strong>de</strong>nberger 2002). Allerdings,<br />
und hier liegt eine be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Aufgabe <strong>de</strong>r<br />
theoretischen Erklärung ebenso wie <strong>de</strong>r praktischen<br />
Arbeit mit Älteren, ist die Variabilität in<br />
diesen Leistungskomponenten zwischen Personen<br />
auf je<strong>de</strong>r Stufe <strong>de</strong>s kalendarischen <strong>Alter</strong>s<br />
hoch, jedoch nimmt sie im höheren Lebensalter<br />
ein solches Ausmaß an, dass die Beschreibung<br />
in Termini von mittleren Ten<strong>de</strong>nzen fragwürdig<br />
wird. Dennoch fin<strong>de</strong>t sich bis heute vielfach<br />
und unwi<strong>de</strong>rsprochen eine entsprechen<strong>de</strong> Praxis<br />
in zentralen gesellschaftlichen Bereichen.<br />
Die Entwicklung <strong>de</strong>r kognitiven Leistungsfähigkeit<br />
über die Lebensspanne ist nicht allein<br />
durch die genetische Ausstattung bedingt. Daneben<br />
sind auch die im Lebenslauf ausgebil<strong>de</strong>ten<br />
Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Ressourcen<br />
und Barrieren <strong>de</strong>r räumlichen, sozialen<br />
und infrastrukturellen Umwelt zu beachten.<br />
Baltes (1984) differenziert hier zwischen einer<br />
„intelligenzakzelerieren<strong>de</strong>n“ und einer „intelligenz<strong>de</strong>zelerieren<strong>de</strong>n“<br />
Umwelt. Während erstere<br />
durch kontinuierliche Anregungen <strong>de</strong>n Einsatz<br />
von Denkoperationen för<strong>de</strong>rt – und sich damit<br />
positiv auf die Intelligenz auswirkt – ist letztere<br />
arm an sensorischer und kognitiver Stimulation,<br />
sie regt nicht zum Einsatz von Denkoperationen<br />
an und beeinflusst damit die Intelligenzentwicklung<br />
negativ.<br />
Im Folgen<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n Einflüsse <strong>de</strong>s körperlichen<br />
Trainings, eines aktiven und engagierten<br />
Lebensstils sowie <strong>de</strong>s kognitiven Trainings auf<br />
kognitive Leistungen im <strong>Alter</strong> diskutiert; die<br />
berichteten Ergebnisse ermöglichen eine differenzierte<br />
Einschätzung <strong>de</strong>r Modifizierbarkeit<br />
kognitiver Funktionen und damit auch <strong>de</strong>r kognitiven<br />
Plastizität im <strong>Alter</strong>.<br />
Einflüsse körperlichen Trainings<br />
Quer- und Längsschnittstudien machen gleichermaßen<br />
<strong>de</strong>utlich, dass <strong>de</strong>r Zusammenhang<br />
zwischen sensomotorischen sowie kognitiven<br />
Fähigkeiten mit steigen<strong>de</strong>m <strong>Alter</strong> zunimmt<br />
(Baltes & Lin<strong>de</strong>nberger 1997, Anstey & Smith<br />
1999). Des Weiteren zeigen sich in höheren im<br />
Vergleich zu jüngeren <strong>Alter</strong>sgruppen <strong>de</strong>utlich<br />
stärkere Einbußen in kognitiven Leistungsmaßen,<br />
wenn kognitive und sensomotorische<br />
Anfor<strong>de</strong>rungen gleichzeitig bewältigt wer<strong>de</strong>n<br />
müssen. Unter <strong>de</strong>r Annahme, dass sich altersbedingte<br />
Verän<strong>de</strong>rungen sensomotorischer und<br />
kognitiver Funktionen auf eine gemeinsame Ursache<br />
zurückführen lassen (Baltes & Lin<strong>de</strong>nberger<br />
1997), liegt es nahe, dass sich Interventionsgewinne<br />
in einem <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Bereiche för<strong>de</strong>rlich<br />
auf <strong>de</strong>n jeweils an<strong>de</strong>ren Bereich auswirken.<br />
Während <strong>de</strong>r Effekt kognitiver Interventionen<br />
auf die körperliche Leistungsfähigkeit<br />
bislang nicht belegt ist, liegen zahlreiche Hinweise<br />
auf eine verbesserte kognitive Leistungsfähigkeit<br />
infolge gesteigerter körperlicher<br />
Aktivität vor (Schäfer et al. im Druck).<br />
Einer Studie von Carmelli und Kollegen<br />
(1997) zufolge ist <strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>r körperlichen<br />
Aktivität auf die kognitive Leistungsfähigkeit<br />
auch dann erkennbar, wenn <strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>r<br />
Variablen <strong>Alter</strong>, Schulbildung und Gesundheit<br />
kontrolliert wur<strong>de</strong>. Die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r körperlichen<br />
Aktivität für die kognitive Leistungsfähigkeit<br />
kann mit Spirduso (1982) dadurch erklärt<br />
wer<strong>de</strong>n, dass Bewegung <strong>de</strong>n Stoffwechsel<br />
und Kreislauf anregt und <strong>de</strong>shalb vor Schädigungen<br />
<strong>de</strong>s neuronalen Gewebes schützt; sogar<br />
einzelne Trainingseinheiten können positive<br />
Auswirkungen haben: Erhöhte körperliche Aktivität<br />
kann zu einer spontanen Verbesserung<br />
von Gedächtnisleistungen um 35 % führen<br />
(Stones & Dawe 1993).<br />
In einer im Kontext <strong>de</strong>r Interdisziplinären<br />
Langzeitstudie <strong>de</strong>s Erwachsenenalters über die<br />
Bedingungen zufrie<strong>de</strong>nen und gesun<strong>de</strong>n <strong>Alter</strong>ns<br />
(Martin et al. 2000) durchgeführten sportwissenschaftlichen<br />
Untersuchung wur<strong>de</strong> zwischen<br />
Sportlern und Nichtsportlern, regelmäßiger und<br />
unregelmäßiger Ausübung von Sport und Bewegung,<br />
Trainingsumfang in Stun<strong>de</strong>n je Woche,<br />
unterschiedlichen Sportarten sowie nach<br />
Höhe <strong>de</strong>s Kalorienverbrauchs differenziert<br />
(zum ersten Messzeitpunkt wur<strong>de</strong>n insgesamt<br />
1.390 Personen <strong>de</strong>r Kohorten 1930/32 und<br />
1950/52 untersucht). Die Ergebnisse stützen die<br />
Annahme, dass sportlich aktive Personen Informationen<br />
effektiver verarbeiten können als<br />
sportlich nicht aktive Personen: Insbeson<strong>de</strong>re<br />
visuelle und motorische Reize wur<strong>de</strong>n von<br />
sportlich aktiven Personen besser wahrgenommen,<br />
enkodiert und abgerufen. Auf Grundlage<br />
von multiplen Regressionsanalysen konnte<br />
<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong>, <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong> (<strong>Hrsg</strong>.): <strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit - Handbuch Gesundheitswissenschaften, Verlag Hans Huber, Bern 2008<br />
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20<br />
Teil 1: <strong>Alter</strong>(n), Gesundheit und Krankheit – Theoretische Grundlagen<br />
nachgewiesen wer<strong>de</strong>n, dass sportliche Aktivität<br />
neben <strong>de</strong>m Bildungs- und Gesundheitszustand<br />
signifikant zur Vorhersage <strong>de</strong>r geistigen Leistungsfähigkeit<br />
beiträgt. Der Einfluss von sportlicher<br />
Aktivität auf die geistige Leistungsfähigkeit<br />
ist zu einem guten Teil über <strong>de</strong>n Gesundheitszustand<br />
vermittelt: Beson<strong>de</strong>rs durch Ausdauertraining<br />
kann arteriosklerotischen Verän<strong>de</strong>rungen<br />
vorgebeugt, das Schlagvolumen erhöht<br />
und die Vitalkapazität gesteigert wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Ergebnisse <strong>de</strong>r Studie rechtfertigen die Annahmen,<br />
dass die För<strong>de</strong>rung von sportlicher<br />
Aktivität als effektive Interventionsstrategie zur<br />
Steigerung <strong>de</strong>r kognitiven Leistungsfähigkeit<br />
angesehen wer<strong>de</strong>n kann, sportliche Aktivität sowohl<br />
auf die körperliche und psychische Gesundheit<br />
als auch auf unterschiedliche Einstellungs-<br />
und Verhaltensmaße positive Auswirkungen<br />
hat (Eichberg & Schulte 1999).<br />
Colcombe und Kramer (2003) konnten in<br />
einer Metaanalyse von 18 zwischen 1996 und<br />
2001 publizierten Interventionsstudien zeigen,<br />
dass sich ein aerobes Fitnesstraining vor allem<br />
auf exekutive Kontrollprozesse, aber auch auf<br />
Aufgaben zum räumlichen Vorstellungsvermögen<br />
und einfache Speedaufgaben positiv auswirkt.<br />
Menschen, die eine Kombination aus<br />
aerobem Fitnesstraining und Krafttraining absolvieren,<br />
profitieren dabei in ihrer kognitiven<br />
Leistungsfähigkeit im Allgemeinen stärker als<br />
Menschen, die nur ein aerobes Fitnesstraining<br />
absolvieren. Auch für vergleichsweise kurze<br />
Trainings (mit einer durchschnittlichen Dauer<br />
von zwei Monaten) sind positive Effekte nachgewiesen,<br />
die mit Programmen von mittlerer<br />
Dauer durchaus vergleichbar sind, aber etwas<br />
unter <strong>de</strong>n Effekten langfristiger Programme<br />
(mit einer Dauer von über sechs Monaten) liegen.<br />
Durch Trainingseinheiten mit einer Dauer<br />
von über 30 Minuten lassen sich größere Effekte<br />
erzielen als durch kürzere Trainingseinheiten.<br />
Des Weiteren zeigten sich in Gruppen,<br />
in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Frauenanteil jenem <strong>de</strong>r Männer<br />
überwog, und bei „jungen Alten“ (Teilnehmer<br />
im siebten Lebensjahrzehnt) stärkere Effekte.<br />
Die von Colcombe und Kollegen (2003) in<br />
einer Querschnittstudie durchgeführten Untersuchungen<br />
sprechen dafür, dass sich aerobe<br />
Fitness positiv auf die Dichte <strong>de</strong>s Hirngewebes<br />
im frontalen, parietalen und temporalen Cortex<br />
auswirkt. Auch nach Kontrolle potenziell konfundierter<br />
Variablen wie <strong>de</strong>m Bildungsstand<br />
<strong>de</strong>r Untersuchungsteilnehmer zeigte sich bei<br />
Personen, die regelmäßig körperlich aktiv waren,<br />
ein <strong>de</strong>utlich geringerer Rückgang mit zunehmen<strong>de</strong>m<br />
<strong>Alter</strong>. Dieser Effekt erwies sich für<br />
jene Hirnregionen als am ausgeprägtesten, die<br />
am stärksten mit <strong>de</strong>m Lebensalter korrelieren.<br />
Jene Regionen, die sich im Kontext normalen<br />
<strong>Alter</strong>ns am stärksten verän<strong>de</strong>rn, erwiesen sich<br />
also als durch aerobe Fitness am stärksten beeinflussbar.<br />
Ergebnisse von Colcombe und Kollegen<br />
(2004) sprechen zu<strong>de</strong>m dafür, dass sich<br />
ein aerobes Fitnesstraining nicht nur positiv auf<br />
exekutive Kontrollprozesse auswirkt, son<strong>de</strong>rn<br />
auch mit verän<strong>de</strong>rten Aktivationsmustern <strong>de</strong>s<br />
Cortex einhergeht.<br />
Einflüsse eines engagierten und<br />
aktiven Lebensstils<br />
In <strong>de</strong>r Studie von Wilson und Kollegen (1999)<br />
wur<strong>de</strong>n 6.162 Personen im <strong>Alter</strong> von 65 Jahren<br />
und älter darüber befragt, inwieweit sie kognitiven<br />
Aktivitäten (wie z. B. Zeitung lesen,<br />
Radio hören und Besuch von Museum o<strong>de</strong>r<br />
Kino) nachgehen; ebenso wur<strong>de</strong>n sie hinsichtlich<br />
ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit getestet.<br />
Zwischen <strong>de</strong>m über sieben verschie<strong>de</strong>ne<br />
Aktivitäten gemittelten Ausmaß an kognitiver<br />
Aktivität und <strong>de</strong>m Lebensalter bestand nur ein<br />
schwacher Zusammenhang, stärkere Zusammenhänge<br />
bestan<strong>de</strong>n dagegen mit <strong>de</strong>m Bildungsstand<br />
und <strong>de</strong>m Einkommen. Nach Kontrolle<br />
<strong>de</strong>s Einflusses sozio<strong>de</strong>mografischer Variablen<br />
zeigte sich eine statistisch be<strong>de</strong>utsame<br />
Beziehung zwischen <strong>de</strong>m Ausmaß an kognitiver<br />
Aktivität und <strong>de</strong>r kognitiven Leistungsfähigkeit<br />
(s. Abb. 1).<br />
Dieses Ergebnis wird durch weitere Untersuchungen<br />
gestützt. Befun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r MacArthur<br />
Studie lassen die Folgerung zu, dass die Dominanz<br />
monotoner Tätigkeiten im Berufsleben<br />
dazu beitragen kann, dass die geistige Flexibilität<br />
zurückgeht, während Problemlösefähigkeiten<br />
von Menschen, die sich im Beruf kontinuierlich<br />
mit neuen Aufgaben und Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />
auseinan<strong>de</strong>rsetzen mussten und die<br />
auch nach Austritt aus <strong>de</strong>m Beruf neue Aufgaben<br />
und Herausfor<strong>de</strong>rungen gesucht haben,<br />
im <strong>Alter</strong> keine wesentliche Verän<strong>de</strong>rung zeigen<br />
(Rowe & Kahn 1998).<br />
<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong>, <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong> (<strong>Hrsg</strong>.): <strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit - Handbuch Gesundheitswissenschaften, Verlag Hans Huber, Bern 2008<br />
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Keine unerlaubte Weitergabe o<strong>de</strong>r Vervielfätigung.
Psychologische Verän<strong>de</strong>rungen im <strong>Alter</strong> 21<br />
Cognitive Function<br />
-2,5 -2 -1,5 -1 -0,5 0 0,5 1<br />
1 2 3 4 5<br />
Cognitive Activity Frequency<br />
Abbildung 1: Beziehungen zwischen <strong>de</strong>m Gesamtmaß für<br />
kognitive Aktivität und <strong>de</strong>m globalen Maß für die gezeigten<br />
kognitiven Leistungen. Höhere Werte stehen dabei für<br />
höhere Aktivität und bessere Leistung. Die gepunkteten<br />
Linien bezeichnen das 95 % Konfi<strong>de</strong>nz-Intervall (Wilson et<br />
al. 1999).<br />
Rowe und Kahn (1998) fassen ihre Ergebnisse<br />
wie folgt zusammen: „Just as we must keep our<br />
physical selves active, so we must keep our<br />
minds busy in our later years if we want it to<br />
continue to function well. […] ‚Use it or lose it‘<br />
is a mental, not just a physical phenomenon“<br />
(S. 63 f.).<br />
Befun<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>r Victoria Longitudinal Study<br />
<strong>de</strong>uten darauf hin, dass ein hohes Maß an kognitiver<br />
Aktivität Gedächtnisfunktionen im <strong>Alter</strong><br />
positiv beeinflusst. Ein Nachlassen von kognitiver<br />
Aktivität bewirkt auch das Nachlassen<br />
von kognitiven Fähigkeiten im Bereich <strong>de</strong>s Gedächtnisses.<br />
Ältere Menschen hingegen, die<br />
kognitiv herausfor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Tätigkeiten ausüben,<br />
weisen nur in geringerem Maße kognitive Einbußen<br />
auf; jene Menschen, die auch weiterhin<br />
kognitiv aktiv bleiben, zeigen im Längsschnitt<br />
nur vergleichsweise geringe kognitive Einbußen<br />
(Hultsch et al. 1999).<br />
Lövdén und Kollegen (2005) sind in ihrer<br />
Analyse von Daten <strong>de</strong>r Berliner <strong>Alter</strong>sstudie<br />
<strong>de</strong>r Frage nachgegangen, inwieweit <strong>de</strong>r empirische<br />
Zusammenhang zwischen einem engagierten<br />
und aktiven Lebensstil im <strong>Alter</strong> und <strong>de</strong>r<br />
kognitiven Leistungsfähigkeit darauf zurückgeht,<br />
dass sich ein entsprechen<strong>de</strong>r Lebensstil<br />
positiv auf die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten<br />
im <strong>Alter</strong> auswirkt o<strong>de</strong>r aber primär darauf<br />
zurückzuführen ist, dass erhaltene kognitive<br />
Fähigkeiten die Aufrechterhaltung eines<br />
engagierten und aktiven Lebensstils ermöglichen.<br />
In dieser Studie wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Grad <strong>de</strong>r sozialen<br />
Partizipation mit Hilfe <strong>de</strong>r in einem<br />
Yesterday-Interview erhobenen Informationen<br />
über die für Freizeitaktivitäten, instrumentelle<br />
Aktivitäten, soziale Aktivitäten und Arbeit verwen<strong>de</strong>te<br />
Zeit, sowie über eine Liste von Aktivitäten,<br />
für die die Untersuchungsteilnehmer angeben<br />
sollten, inwieweit sie diesen in <strong>de</strong>n letzten<br />
zwölf Monaten nachgegangen waren, bestimmt.<br />
Als Maß für die kognitive Leistungsfähigkeit<br />
diente die mit Hilfe von zwei Untertests<br />
erfasste Wahrnehmungsgeschwindigkeit.<br />
In einem Dual Change Score Mo<strong>de</strong>l, in <strong>de</strong>m das<br />
chronologische <strong>Alter</strong> und <strong>de</strong>r soziale Status als<br />
Kovariaten berücksichtigt wur<strong>de</strong>n, zeigte sich,<br />
dass sich Verän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>r Wahrnehmungsgeschwindigkeit<br />
durch die soziale Partizipation<br />
vorhersagen lassen, während umgekehrt<br />
die Wahrnehmungsgeschwindigkeit nicht<br />
zur Vorhersage <strong>de</strong>r sozialen Partizipation beiträgt.<br />
Als mögliche Erklärung für die positiven<br />
Auswirkungen <strong>de</strong>r sozialen Partizipation auf<br />
die Entwicklung kognitiver Funktionen im <strong>Alter</strong><br />
verweisen die Autoren darauf, dass ein höheres<br />
Engagement mit verbesserten Kompensations-<br />
und Bewältigungsmöglichkeiten einhergehen<br />
und ein engagierter Lebensstil mit<br />
Lebensstilfaktoren wie vermehrter körperlicher<br />
Aktivität und gesün<strong>de</strong>rer Ernährung verbun<strong>de</strong>n<br />
sein kann. Damit könnte soziale Partizipation<br />
auch günstige Auswirkungen auf Hirnalterungsprozesse<br />
haben, die für eine verringerte kognitive<br />
Plastizität im <strong>Alter</strong> verantwortlich sind.<br />
Einflüsse von Trainingsprogrammen<br />
zur flui<strong>de</strong>n Intelligenz<br />
und zu episodischen Gedächtnisleistungen<br />
Die Trainierbarkeit von Aspekten <strong>de</strong>r flui<strong>de</strong>n<br />
Intelligenz und <strong>de</strong>s episodischen Gedächtnisses<br />
ist durch zahlreiche empirische Untersuchungen<br />
belegt. Bereits im Kontext <strong>de</strong>r von Baltes und<br />
Willis Mitte <strong>de</strong>r 1970er Jahre an <strong>de</strong>r Pennsylvania<br />
State University initiierten ADEPT-Studie,<br />
die Mitte <strong>de</strong>r 1980er in Berlin repliziert wur<strong>de</strong>,<br />
konnte gezeigt wer<strong>de</strong>n, dass Menschen im <strong>Alter</strong><br />
von 60 bis 80 Jahren durch ein gezieltes<br />
<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong>, <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong> (<strong>Hrsg</strong>.): <strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit - Handbuch Gesundheitswissenschaften, Verlag Hans Huber, Bern 2008<br />
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Keine unerlaubte Weitergabe o<strong>de</strong>r Vervielfätigung.
22<br />
Teil 1: <strong>Alter</strong>(n), Gesundheit und Krankheit – Theoretische Grundlagen<br />
Training von Fähigkeiten, wie sie üblicherweise<br />
in Testaufgaben zur flui<strong>de</strong>n Intelligenz erfasst<br />
wer<strong>de</strong>n, eine Leistungsverbesserung erzielen<br />
können, die in ihrem Ausmaß <strong>de</strong>r in Längsschnittstudien<br />
zwischen <strong>de</strong>m 60. und 80. Lebensjahr<br />
beobachtbaren Verän<strong>de</strong>rung entspricht<br />
(Schaie & Willis 1986, Baltes et al. 1988).<br />
Nach Analysen von Willis und Nesselroa<strong>de</strong><br />
(1990) konnten von jenen 25 Personen, die sowohl<br />
1979 als auch 1981 und 1986 an <strong>de</strong>m in<br />
<strong>de</strong>r ADEPT-Studie eingesetzten Programm zum<br />
Training <strong>de</strong>r flui<strong>de</strong>n Intelligenz teilgenommen<br />
haben, 16 (64 %) ihre Testleistung bis zum jeweils<br />
nächsten Messzeitpunkt beibehalten o<strong>de</strong>r<br />
sogar verbessern. Beim ersten Absolvieren <strong>de</strong>s<br />
Trainings waren diese Personen im Durchschnitt<br />
69, beim dritten Absolvieren <strong>de</strong>s Trainings<br />
im Durchschnitt 77 Jahre alt. In einer untrainierten<br />
Kontrollgruppe gelang es dagegen<br />
zwei Drittel <strong>de</strong>r Personen nicht, ihr Leistungsniveau<br />
bis zum nächsten Messzeitpunkt zu<br />
halten.<br />
In einer Untersuchung von Kliegl und Kollegen<br />
(1989) wur<strong>de</strong>n 20 gesun<strong>de</strong> ältere Menschen<br />
zwischen 65 und 83 Jahren in <strong>de</strong>r sogenannten<br />
Loci-Metho<strong>de</strong> unterwiesen, bei <strong>de</strong>r neue Stimuli<br />
mit einer vertrauten Sequenz von Orten innerhalb<br />
einer kognitiven Landkarte assoziiert wer<strong>de</strong>n<br />
sollen. Nach <strong>de</strong>r Erhebung ihrer Ausgangsleistung<br />
lernten die Teilnehmer zunächst 40<br />
Stationen einer imaginären Stadtrundfahrt<br />
durch West-Berlin. Im Anschluss daran wur<strong>de</strong>n<br />
sie aufgefor<strong>de</strong>rt, das zu einem späteren Zeitpunkt<br />
in <strong>de</strong>r präsentierten Reihenfolge zu erinnern<strong>de</strong><br />
Gedächtnismaterial (historische Ereignisse,<br />
historische Daten, Listen von Substantiven)<br />
mit Hilfe <strong>de</strong>r gelernten Orte zu kodieren.<br />
Die einzelnen Orte und die später zu erinnern<strong>de</strong>n<br />
Items sollten nach und nach in umfassen<strong>de</strong>re<br />
Vorstellungen integriert wer<strong>de</strong>n, wobei<br />
<strong>de</strong>r Zeitraum, in <strong>de</strong>m die einzelnen Vorstellungen<br />
generiert und eingeprägt wur<strong>de</strong>n, individuell<br />
gestaltet wer<strong>de</strong>n konnte. Beim Abrufen<br />
<strong>de</strong>r zu erinnern<strong>de</strong>n Items sollten sich die Teilnehmer<br />
vorstellen, die Stationen <strong>de</strong>r imaginären<br />
Stadtbesichtigung zu besuchen und die einzelnen<br />
Items mit Hilfe <strong>de</strong>r eingeprägten Vorstellungen<br />
rekonstruieren. Diese Gedächtnisstrategie<br />
wur<strong>de</strong> in einem auf die individuelle<br />
Leistungsfähigkeit abgestimmten Trainingsprogramm<br />
in bis zu 26 Trainingssitzungen kontinuierlich<br />
geübt. Vor <strong>de</strong>m Erlernen <strong>de</strong>r Loci-<br />
Metho<strong>de</strong> lag die Durchschnittsleistung bei 3,1<br />
in ihrer Reihenfolge korrekt wie<strong>de</strong>rgegebenen<br />
Substantiven. Dieser Durchschnittswert für<br />
Lern-Leistungen konnte im Verlauf <strong>de</strong>s Trainingsprogramms<br />
auf 32,4 gesteigert wer<strong>de</strong>n.<br />
(Für die 40 Orte wur<strong>de</strong>n 40 Substantive vorgegeben.)<br />
Neben dieser eindrucksvollen Verbesserung<br />
<strong>de</strong>r Gedächtnisleistung älterer Menschen<br />
durch Vermittlung und Übung einer effektiven<br />
Abrufstrategie zeigte sich in dieser Studie allerdings<br />
auch, dass die Trainingsgewinne einer<br />
Vergleichsgruppe jüngerer Menschen (20-24<br />
Jahre) signifikant höher ausfielen: Hier waren<br />
fast alle Teilnehmer nach <strong>de</strong>m Training in <strong>de</strong>r<br />
Lage, die komplette Sequenz korrekt wie<strong>de</strong>rzugeben;<br />
die Durchschnittsleistung bei selbst<br />
gewählter Darbietungszeit verbesserte sich von<br />
4,8 auf 39,8. Testet man die Teilnehmer unter<br />
immer schwierigeren Trainingsbedingungen –<br />
z. B. längeren Trainingsprogrammen sowie<br />
schnelleren Darbietungsraten – so vergrößern<br />
sich die <strong>Alter</strong>sunterschie<strong>de</strong> im Sinne eines<br />
Schereneffekts: Nun überlappen sich die Leistungsverteilungen<br />
von in ihren Intelligenzwerten<br />
vergleichbaren jungen und alten Teilnehmern<br />
nicht mehr.<br />
Bei einer grundlegen<strong>de</strong>ren Interpretation dieser<br />
Studie – wie auch vergleichbarer Untersuchungen<br />
zur kognitiven Intervention – ist das<br />
auch im <strong>Alter</strong> erkennbare latente kognitive<br />
Potenzial hervorzuheben. Dieses ist im Sinne<br />
eines Entwicklungspotenzials zu <strong>de</strong>finieren, bei<br />
<strong>de</strong>ssen Realisierung stabile Verbesserungen<br />
einer Funktion erzielt wer<strong>de</strong>n. Das latente kognitive<br />
Potenzial zeigt sich darin, dass nach kontinuierlich<br />
angebotenem funktionsspezifischem<br />
Training neue kognitive Strategien erworben<br />
und mit Erfolg eingesetzt wer<strong>de</strong>n können.<br />
Diese Trainingseffekte sind auch in jenen Bereichen<br />
<strong>de</strong>r Informationsverarbeitung erkennbar,<br />
die in hohem Maße von physiologischen<br />
Prozessen bestimmt sind und damit altersbezogene<br />
Verluste aufweisen. Mit an<strong>de</strong>ren Worten:<br />
Der durch Training erzielte Leistungszuwachs<br />
lässt sich auch bei einem altern<strong>de</strong>n Zentralnervensystem<br />
nachweisen, welches zunehmen<strong>de</strong><br />
Defizite in <strong>de</strong>r Präzision und Geschwindigkeit<br />
<strong>de</strong>r Erregungsübertragung zeigt. Allerdings ist<br />
zu berücksichtigen, dass die latenten kognitiven<br />
Potenziale im <strong>Alter</strong> geringer sind als in früheren<br />
Lebensaltern: Wenn die Schwierigkeit<br />
<strong>de</strong>r Gedächtnisaufgabe durch Zeitbegrenzung<br />
<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong>, <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong> (<strong>Hrsg</strong>.): <strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit - Handbuch Gesundheitswissenschaften, Verlag Hans Huber, Bern 2008<br />
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Keine unerlaubte Weitergabe o<strong>de</strong>r Vervielfätigung.
Psychologische Verän<strong>de</strong>rungen im <strong>Alter</strong> 23<br />
erhöht wird, profitieren jüngere Erwachsene in<br />
stärkerem Maße als Ältere (Kliegl et al. 1989).<br />
In einer Arbeit von Cavallini und Kollegen<br />
(2003) wur<strong>de</strong> überprüft, inwieweit 20- bis 35-<br />
Jährige, 60- bis 70-Jährige und 70- bis 80-Jährige<br />
von zwei unterschiedlichen Gedächtnistrainings<br />
profitieren, wobei zusätzlich <strong>de</strong>r Alltagsbezug<br />
<strong>de</strong>r verwen<strong>de</strong>ten Aufgaben variiert wur<strong>de</strong>.<br />
Insgesamt 60 Personen – 20 aus je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
drei <strong>Alter</strong>sgruppen – nahmen an neun 90-minütigen<br />
Sitzungen teil, von <strong>de</strong>nen vier <strong>de</strong>r Testung<br />
von Gedächtnisleistungen und <strong>de</strong>r Erfassung<br />
von gedächtnisbezogenen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen<br />
dienten. Ausgehend von<br />
Befun<strong>de</strong>n, die dafür sprechen, dass die Testleistungen<br />
älterer Menschen stärker von Kontextfaktoren<br />
abhängen als die Testleistungen<br />
jüngerer – Kruse und Rudinger (1997) nennen<br />
hier vor allem Problemzentriertheit, Erfahrungsbezug,<br />
Freiwilligkeit und Selbstsetzung<br />
<strong>de</strong>r Lernziele – wur<strong>de</strong>n neben vier klassischen<br />
Aufgaben zur Erfassung <strong>de</strong>r Kapazität <strong>de</strong>s Arbeitsgedächtnisses<br />
(Zahlen nachsprechen vorwärts<br />
und rückwärts, Erinnern von Gegenstän<strong>de</strong>n<br />
und Wortlisten) fünf alltagsnahe Gedächtnisaufgaben<br />
(Erinnern einer Kurzgeschichte,<br />
einer Einkaufsliste, geplanter Aktivitäten,<br />
<strong>de</strong>r Zuordnung von Namen zu Gesichtern<br />
sowie <strong>de</strong>r Lage von Sehenswürdigkeiten auf<br />
einem Stadtplan) vorgelegt. Zusätzlich wur<strong>de</strong>n<br />
drei Fragebögen zur Erfassung von Metagedächtnis,<br />
alltäglicher Gedächtnisleistung und<br />
gedächtnisbezogener Selbstwirksamkeitsüberzeugung<br />
eingesetzt. Eine Hälfte <strong>de</strong>r Untersuchungsteilnehmer<br />
erlernte die Loci-Metho<strong>de</strong>,<br />
die an<strong>de</strong>re ein Strategientraining, in <strong>de</strong>m die<br />
Teilnehmer im Gebrauch von visualisierend-assoziativen<br />
und verbalen Strategien (z. B. Kategorisierung)<br />
angeleitet wur<strong>de</strong>n.<br />
Die Ergebnisse <strong>de</strong>r Untersuchung zeigen zunächst<br />
eine signifikante Abnahme <strong>de</strong>r Gedächtnisleistung<br />
mit zunehmen<strong>de</strong>m <strong>Alter</strong>. Dabei unterschie<strong>de</strong>n<br />
sich allerdings lediglich die 20- bis<br />
35-Jährigen von <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n älteren Gruppen.<br />
Die Tatsache, dass sich die 60- bis 70-Jährigen<br />
in ihrer Gedächtnisleistung nicht von <strong>de</strong>n 70-<br />
bis 80-Jährigen unterschei<strong>de</strong>n, führen die Autoren<br />
darauf zurück, dass die verwen<strong>de</strong>ten Gedächtnisaufgaben<br />
keine aktive Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s<br />
Originalmaterials erfor<strong>de</strong>rn und dass sich ausgeprägte<br />
<strong>Alter</strong>seffekte wahrscheinlich nur für<br />
Aufgaben fin<strong>de</strong>n, an <strong>de</strong>ren Lösung exekutive<br />
Funktionen <strong>de</strong>s Arbeitsgedächtnisses stärker<br />
beteiligt sind (Vecchi & Cornoldi 1999). Die<br />
eingesetzten Fragebögen erwiesen sich sowohl<br />
für die Erklärung von <strong>Alter</strong>seffekten als auch<br />
für die Aufklärung interindividueller Unterschie<strong>de</strong><br />
als unbe<strong>de</strong>utend. Bei<strong>de</strong> Trainings erwiesen<br />
sich als effektiv, wobei sich im Ausmaß<br />
<strong>de</strong>r Verbesserung keine Unterschie<strong>de</strong> zwischen<br />
<strong>de</strong>n drei Gruppen zeigten. Unabhängig vom<br />
<strong>Alter</strong> <strong>de</strong>r Untersuchungsteilnehmer zeigte sich<br />
in <strong>de</strong>n alltagsnahen Gedächtnisaufgaben eine<br />
<strong>de</strong>utlich stärkere Verbesserung als in <strong>de</strong>n klassischen<br />
Aufgaben zur Kapazität <strong>de</strong>s Arbeitsgedächtnisses.<br />
Ein be<strong>de</strong>utsamer Unterschied in<br />
<strong>de</strong>r Effektivität <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Trainings ergab sich<br />
lediglich für die Erinnerung <strong>de</strong>r Lage von Sehenswürdigkeiten<br />
auf einem Stadtplan – die<br />
einzige Aufgabe, die eine Übertragung erworbener<br />
Strategien auf neuartige Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
verlangt. Hier zeigten Personen, die das Strategientraining<br />
absolviert hatten, <strong>de</strong>utlichere Verbesserungen<br />
als jene, die die Loci-Metho<strong>de</strong> erlernt<br />
hatten. Dieser Befund spricht nach Cavallini<br />
und Kollegen (2003) dafür, dass ältere<br />
Menschen nach einem angemessenen Training<br />
kognitive Strategien effektiv einzusetzen und<br />
auf neue Situationen und Aufgaben zu übertragen<br />
in <strong>de</strong>r Lage sind.<br />
Begrenztheit von Transfereffekten<br />
bei kognitiven Trainings<br />
Saczynski und Kollegen (2002) untersuchten<br />
<strong>de</strong>n Zusammenhang zwischen Strategiennutzung<br />
und Trainingsgewinnen am Beispiel <strong>de</strong>s<br />
Thurstone’schen Primärfaktors „Induktives<br />
Schließen“ (induction bzw. reasoning). Von<br />
<strong>de</strong>n insgesamt 393 berücksichtigten Teilnehmern<br />
<strong>de</strong>r Seattle Longitudinal Training Study<br />
absolvierten 188 ein einstündiges Training zur<br />
Lösung von Aufgaben, wie sie in gängigen Intelligenztests<br />
zur Messung dieses Primärfaktors<br />
gestellt wer<strong>de</strong>n. Zu diesem Zeitpunkt waren die<br />
Untersuchungsteilnehmer zwischen 64 und 95<br />
Jahre alt. Gegenstand <strong>de</strong>s Trainings war zum<br />
einen die I<strong>de</strong>ntifikation von Beschreibungsregeln<br />
(z. B. Auslassung von Zeichen, Vorwärts-/<br />
Rückwärtssequenz) und zum an<strong>de</strong>ren die Vermittlung<br />
spezifischer Strategien, die die I<strong>de</strong>ntifikation<br />
von Beschreibungsregeln erleichtern<br />
<strong>A<strong>de</strong>lheid</strong> <strong>Kuhlmey</strong>, <strong>Doris</strong> <strong>Schaeffer</strong> (<strong>Hrsg</strong>.): <strong>Alter</strong>, Gesundheit und Krankheit - Handbuch Gesundheitswissenschaften, Verlag Hans Huber, Bern 2008<br />
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