Magazin Theatertreffen der Jugend 2013 - Berliner Festspiele
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Die Jury zur Auswahl – von Sebastian Stolz<br />
Weiß ist die hellste unbunte<br />
Farbe. Weiß ist physikalisch gesehen<br />
keine eigene Farbe, son<strong>der</strong>n<br />
entsteht durch die Überlagerung<br />
aller Spektren des<br />
Lichts. Weiß ist somit die „Summe<br />
aller Farben“...<br />
Weiß. Es ist weiß da draußen,<br />
die Winterlandschaft glänzt<br />
von Ost nach West. Die Reise<br />
geht nach Bielefeld. Angekommen.<br />
Es beginnt <strong>der</strong> Einlass mit<br />
einer kleinen Band und melancholischen<br />
Gitarrenklängen.<br />
Weiß. Die weißen Gartenstühle,<br />
auf die wir uns setzen, knacken<br />
nach kurzer Zeit. Hin und wie<strong>der</strong><br />
sackt ein Zuschauer ab,<br />
reißt es uns schon jetzt vom<br />
Hocker? Weiß. Der weiße Raum<br />
mit von <strong>der</strong> Art sich unterscheidenden,<br />
aber weißen<br />
Stühlen wirkt steril, unschuldig<br />
und ruft nach Geschichten. Im<br />
Nebenraum ein Ensemblekampfschrei,<br />
dann treten sie<br />
herein. Weiß. Die Spieler in weißen<br />
Klei<strong>der</strong>n und Anzügen,<br />
bestückt mit nur einem roten<br />
Detail. Rot erinnert an Blut, wie<br />
Weiß an Nichts. Ein kleines verletzliches<br />
Detail, ein Schluck<br />
Lebensdurst will sich seinen<br />
Weg in eine leere, noch unbeschriebene<br />
Welt bahnen.<br />
Eine weiße Spielerwand beginnt<br />
von <strong>der</strong> Rampe chorisch zu erzählen,<br />
von ihren Vorfahren<br />
und <strong>der</strong>en Reise nach Deutschland<br />
aber auch von Verwandten<br />
in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n. Amerika,<br />
Schweden, Gran Canaria,<br />
Kaukasus, Deutschland, Ex-Jugoslawien,<br />
Russland, Kosovo,<br />
Schweiz, Ostdeutschland. „Wir<br />
kommen zwar alle von hierher<br />
aber ich glaube es zieht uns in<br />
die Ferne.“, sagt ein Mädchen.<br />
Die Spieler verschwinden. Fe<strong>der</strong>n<br />
fallen. Eine Stimme aus<br />
dem Off erklingt, sie klingt<br />
traurig, erzählt vom Fliegen.<br />
Egal. Die Insel ist erreicht und<br />
alle sind im Chat. Nullen und<br />
Einsen sortieren das Netz, die<br />
Musik schrammelt los. Wer<br />
passt zu wem? Welche Kombination<br />
zieht sich an, stößt sich<br />
ab? Individualisieren o<strong>der</strong> vereinheitlichen?<br />
Skype, Facebook,<br />
Youporn & Co. Sie nehmen<br />
sich den virtuellen Raum<br />
und hoffen auf Freiheit, auf<br />
eine Spielwiese. Wie<strong>der</strong> unterbricht<br />
die Stimme aus dem Off,<br />
es ist Anonymus: „ … ich habe<br />
keine Freunde ...“, <strong>der</strong> Rest verbündet<br />
sich und spielt los. Skypen<br />
mit <strong>der</strong> Familie im Ausland.<br />
Das Netz überbrückt Distanzen<br />
und macht uns alle zu einer<br />
globalen Familie. Der nächste<br />
Stuhl bricht. Anonymous verkündet<br />
seine Selbstmordabsichten,<br />
es verbleibt nur eine<br />
Stunde zum Handeln. Die an<strong>der</strong>en<br />
User <strong>der</strong> Insel diskutieren<br />
im Chat, Ersatz o<strong>der</strong> Evolution.<br />
Die Uhr tickt und plötzlich<br />
droht das Netz ein Raum zu<br />
werden, in dem <strong>der</strong> Handlungsspielraum<br />
eingeschränkt ist,<br />
Anonymus scheinbar unerreichbar,<br />
sein Selbstmord unaufhaltsam.<br />
Anonymus „sucks“<br />
<strong>Theatertreffen</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugend</strong>