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Magazin Theatertreffen der Jugend 2013 - Berliner Festspiele

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Die Jury zur Auswahl − von Sepp Meißner<br />

Wenn die Meinungstyrannen<br />

und Ranking-Junkies aus dem<br />

bunten deutschen Blätterwald<br />

feststellen, dass deine Heimatstadt<br />

die dreckigste des Landes<br />

ist, dann ist es an <strong>der</strong> Zeit, sich<br />

zu wehren. Früher wäre man ja<br />

auf die Barrikaden geklettert,<br />

hätte sich vor Firmeneingängen<br />

postiert und alle möglichen<br />

Schmähparolen skandiert. Die<br />

Verursacher von <strong>der</strong>lei Schandmalen<br />

mussten gebrandmarkt,<br />

mussten zur Verantwortung<br />

gebracht werden.<br />

Nichts von alledem lauten Trara<br />

führen die Grevenbroicher<br />

<strong>Jugend</strong>lichen von <strong>der</strong> Käthe-<br />

Kollwitz-Gesamtschule im Sinn.<br />

Sie haben schon viel früher gespürt,<br />

dass sich in ihrer Heimat<br />

Beängstigendes auftut – ein<br />

Loch nämlich. Und dieses Loch<br />

wird um <strong>der</strong> Braunkohle, um<br />

<strong>der</strong> ach so dringend benötigten<br />

Energie willen nach und nach<br />

Wäl<strong>der</strong>, Fel<strong>der</strong>, Höfe, Häuser,<br />

Dörfer, Städte, Existenzen verschlingen,<br />

Geschichten vernichten.<br />

1000 Jahre altes Kulturland<br />

muss dem Fortschritt weichen.<br />

Solange wir von den Großprojekten<br />

dieser Welt, sei es in Brasilien,<br />

China o<strong>der</strong> sonst wo,<br />

nicht unmittelbar betroffen<br />

sind, haben wir schnell vernünftige<br />

Sachzwänge zur Entschuldigung<br />

parat. Sobald<br />

poco*mania uns aber diese<br />

perfide Grausamkeit mit <strong>der</strong><br />

Harmlosigkeit einer Märchenerzählung<br />

aus „Lochland“ näher<br />

bringt, erwirken sie tiefe<br />

Betroffenheit, decken sie die<br />

Boshaftigkeit des realen Handelns<br />

bis hin zu dessen Zynismus<br />

schonungslos auf.<br />

Ihr Protest ist ein ganz stiller,<br />

ein unschuldiger, aber ein um<br />

nichts weniger eindringlicher.<br />

Sie wissen sehr wohl, dass sie<br />

mit ihren Eltern im Dilemma<br />

stecken. Wer hackt schon die<br />

Hand ab, die einen füttert?<br />

Und dennoch zwingt das unmittelbare<br />

Miterleben zu verantwortungsvoller<br />

Darstellung<br />

dessen, was die vielfältige Recherche<br />

bei den Betroffenen zu<br />

Tage beför<strong>der</strong>t hat.<br />

Und so erleben wir einen Bil<strong>der</strong>bogen<br />

von rücksichtslosem<br />

Vorgehen, von berührenden<br />

Verlusten, von stillen Schmerzen.<br />

Da mag sich <strong>der</strong> Großkonzern<br />

noch so bemühen, das Gefühl,<br />

über den Tisch gezogen,<br />

<strong>der</strong> Kindheitserinnerungen beraubt,<br />

entwurzelt und in gleichförmige<br />

Reihenhaus siedlungen umgetopft<br />

zu werden, lässt sich<br />

nicht vertreiben. Die finanziellen<br />

Vorteile <strong>der</strong> Konzerne sind<br />

nicht zu leugnen, Plün<strong>der</strong>er<br />

und Gaffertourismus tun ein<br />

Übriges, den Betroffenen die<br />

Würde zu nehmen. Die Aussicht<br />

auf renaturierte blühende<br />

Landschaften zum Schwimmen,<br />

Segeln o<strong>der</strong> Kanufahren<br />

klingen da wie blanker Hohn.<br />

Mit einer Vielzahl unterschiedlicher<br />

theatraler Mittel geht die<br />

Gruppe zu Werke. Da steht Satirisches<br />

neben <strong>der</strong>ber Komik,<br />

Lyrisches neben Plakativem, Videoeinspielung<br />

neben Klanginstallation,<br />

Puppenspiel neben<br />

personalem Spiel. Auf diese<br />

Weise erhält jede <strong>der</strong> 15 Szenen<br />

einen, ihr angemessenen Charakter,<br />

um schließlich in archaischer<br />

Form das böse Märchen<br />

vom Verlust <strong>der</strong> Heimat zu erzählen.<br />

Damit werfen die Grevenbroicher<br />

eindringlich grundsätzliche<br />

Fragen nach unserem<br />

Umgang mit Umwelt und uralter<br />

Kultur auf.<br />

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