Herunterladen - tessiner zeitung
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2 18. Januar 2013<br />
Thema<br />
Pianta Monda, das Ökodörfchen im Maggiatal,<br />
bringt Leben ins Tal, führt Traditionen weiter, bemüht sich um die<br />
Erhaltung von Kulturgut und feiert das 20-jährige Bestehen<br />
MIT HANDARBEIT<br />
NAHE DER ERDE SEIN<br />
von Elisabeth Bardill<br />
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Einzige deutschsprachige Tessiner<br />
Zeitung: Wöchentliche Ausgabe<br />
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Verkaufte Auflage: 7’365<br />
(WEMF-beglaubigt, Basis 2011/12)<br />
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Preis er mässigungen<br />
Mit der Tessinerin Gabriella<br />
fahre ich nach Menzonio hinauf,<br />
von wo wir uns zu Fuss zur<br />
ganzjährig bewohnten Siedlung<br />
Pianta Monda aufmachen.<br />
Über die Stufen aus Granitstein<br />
gewinnen wir schnell an Höhe.<br />
Die steile Gasse führt durch<br />
dichten Kastanienwald. Der<br />
Weg ist von Laub und Kastanienhülsen<br />
bedeckt. Nach rund<br />
zwanzig Minuten stehen wir<br />
unvermittelt auf dem Hofplatz<br />
der Cooperativa. Eine Runde<br />
von Leuten jeden Alters erhebt<br />
sich vom beendeten Frühstück,<br />
um uns herzlich zu begrüssen.<br />
Schnell wird abgeräumt und für<br />
uns Kaffee, Brot und Käse aufgetischt.<br />
Über uns hängen<br />
blaue Trauben zwischen goldenem<br />
Herbstlaub. Ulrico streckt<br />
sich und schneidet für uns einige<br />
Trauben ab. Die Leute, die<br />
uns Platz gemacht haben sind<br />
plötzlich verschwunden. Sie<br />
haben sich zu den verschiedenen<br />
Arbeitsplätzen aufgemacht.<br />
Peter, der neu zum Team gehört,<br />
Andreas aus Dänemark,<br />
Eva aus Italien, Viktor aus Zürich<br />
und Jos, der Wanderschäfer<br />
aus Deutschland…<br />
Das gemeinsame Einritzen der gesammelten Kastanien: v.l.n.r. Ulrico, Sanna und Peter<br />
Gelebte Genossenschaft<br />
Als der Lehrer Ulrico Stamani,<br />
früher Stadelmann, aus der<br />
deutschen Schweiz mit 50 Jahren<br />
einen neuen Weg einschlagen<br />
wollte, hatte er bereits Beziehungen<br />
zum Maggiatal. Bei<br />
seinen Aufenthalten wurde sein<br />
Interesse für die gesellschaftliche<br />
und wirtschaftliche Situation<br />
des Bergtales geweckt. Jemand<br />
machte ihn auf eine<br />
Gruppe ungenutzter Ställe aufmerksam.<br />
Ulrico ging nachschauen<br />
und erzählt: «Der Ort<br />
hier, an dieser Stelle, hat mich<br />
gefunden. Die vier Gebäude,<br />
die sonnige Lage, frisches Wasser,<br />
jede Menge Brennholz und<br />
drei verkaufswillige Besitzer,<br />
liessen mich handeln. Mit<br />
Gleichgesinnten konnte eine<br />
Genossenschaft gegründet werden,<br />
deren Präsident ich bin.<br />
Mein Traum, mit andern Menschen<br />
hier leben zu können,<br />
konnte durch den Kauf der<br />
Siedlung 1993 langsam verwirklicht<br />
werden. Unser Ziel<br />
war und ist es, dieses kleine<br />
Dorf zu beleben und es zusammenzuhalten.<br />
Wir sind seit 19<br />
Jahren hier, leben ohne staatliche<br />
Unterstützung, mit wenig<br />
Geld, vielen Helfern, Gästen<br />
und Besuchern.»<br />
Pianta Monda wurde durch<br />
praktische Arbeit zum Ort des<br />
einfachen Lebens. In uneigennütziger<br />
Aufbauarbeit werden<br />
alte Rustici renoviert, Trockenmauern<br />
repariert, Kulturland<br />
zurück gewonnen und ein<br />
Selbstversorgungsbetrieb mit<br />
Gemüse, Kräutern, Beeren,<br />
Obst und sanftem Tourismus<br />
aufgebaut. Man kann über kurze<br />
oder längere Zeit freiwillig<br />
mithelfen, Ferien in einem der<br />
Rusticos machen oder die Gemeinschaft<br />
in vielfältiger Weise<br />
unterstützen.<br />
Feuer anfachen<br />
Gabriella steht schon in der<br />
Sommerküche und röstet Kastanien<br />
auf offenem Feuer. Sanna,<br />
die nach einem abenteuerlichen<br />
Leben schon seit sechs<br />
Jahren hier lebt, kümmert sich<br />
gerade um den Apfelkuchen,<br />
der im Stubenofen auf einem<br />
Gitter über der Glut gebacken<br />
wird. Die Gerstensuppe ist in<br />
Vorbereitung. Eine Familie<br />
reist nach Ferientagen ab und<br />
begleicht bei Sanna die Mietkosten.<br />
Einer der Helfer kommt<br />
vom Dorf hoch mit zwei<br />
schweren Taschen gewaschener,<br />
noch nasser Wäsche, die<br />
wie durch Heinzelmännchen-<br />
Hände plötzlich an der Leine<br />
hängt. Nun taucht Peter auf,<br />
ritzt Kastanien, schneidet Gemüse<br />
für die Suppe und deckt<br />
den langen Tisch unter einem<br />
Zeltdach. «Ich habe mich entschlossen,<br />
meinem Lebensweg<br />
eine andere Richtung zu geben.<br />
Als 57 jähriger gelernter Werkzeugmacher<br />
habe ich langjährige<br />
Erfahrung im Grossmaschinenbau.<br />
Ein Burnout brachte<br />
mich auf die Idee, mich einer<br />
sinnvolleren Tätigkeit zu widmen.<br />
Ich bin seit Juli hier und<br />
fühle mich aufgenommen,<br />
dankbar, dass mir Sanna und<br />
Ulrico als Teammitglied die<br />
Möglichkeit bieten, zu einer<br />
ausgeglichenen Lebensweise<br />
zu finden. Ich wünsche mir,<br />
dass wir uns möglichst lange<br />
gegenseitig ergänzen können.»<br />
Entwicklung von unten<br />
Es kommen immer neue junge<br />
Leute nach Pianta Monda, die<br />
eine zeitlang zur Gemeinschaft<br />
gehören möchten. Sie haben<br />
genug von der konsumabhängigen<br />
Zivilisation und reihen sich<br />
oft mit intellektuell geprägten<br />
Gedanken über das einfache<br />
Leben als «unstetige Grashüpfer»<br />
in die Wahlfamilie hinein.<br />
Viele von ihnen lernen hier eine<br />
neue Lebensform kennen und<br />
gehen gestärkt weiter auf dem<br />
eigenen Weg. Einige kommen<br />
zurück um in kürzeren oder<br />
längeren Arbeitseinsätzen aufzutanken.<br />
Ulrico kann mit seiner<br />
Arbeit viele Helfer und Gäste<br />
davon überzeugen, dass eine<br />
dörflich kulturelle Entwicklung<br />
im verwaldeten Bergtal nur von<br />
unten her funktionieren kann,<br />
indem man bei den Wurzeln,<br />
beim Roden und Pflanzen beginnt.<br />
«Wir wollen eine Lücke<br />
schliessen. Es fehlt eine Generation,<br />
die noch weiss, wie man<br />
nach elementaren Grundsätzen<br />
leben und überleben kann. Wir<br />
sind vielleicht für manche einheimischen<br />
Leute eine Provokation,<br />
weil wir das machen,<br />
worauf sie teils wehmütig, teils<br />
stolz zurückschauen und als Erinnerung<br />
dokumentarisch aufarbeiten.»<br />
Man will so wenig wie möglich<br />
und so viel wie nötig von der<br />
modernen Zivilisation benützen.<br />
Man facht das Feuer selber<br />
an und ist der Erde nahe. Mittlerweile<br />
sind es vier Gebäudegruppen<br />
mit Wiesen, Pflanzund<br />
Werkplätzen. Noch fehlen<br />
die Tiere. Der genossenschaftlich<br />
geführte Betrieb strebt jedoch<br />
eine echte Berglandwirtschaft<br />
an. In diesem Bereich<br />
gab es auch schon Enttäuschungen.<br />
Doch mutig will<br />
man an diesem Plan festhalten.<br />
Eine ausgebildete Bäuerin hat<br />
im Sinn, in diesem Bereich aktiv<br />
zu werden. Für eine intensivere<br />
Selbstversorgung braucht<br />
es Tiere. Eine eigene Milchund<br />
Fleischproduktion wie<br />
Mist als Bodendünger fehlen.<br />
Ausflüge statt Orden<br />
Sanna berichtet über die Rosinen<br />
im gemeinschaftlichen Leben:<br />
«Wir nahmen an der Prozession<br />
im Val Bavona teil, am<br />
Mühletag in Brontallo, am<br />
Mähkurs in Linescio, am Mercato<br />
in Cevio, an den Festen in<br />
Bignasco, Menzonio und Mogno,<br />
besuchten Konzerte in<br />
Maggia und Giumaglio und unternahmen<br />
Ausflüge auf den<br />
Piz Bombögn, nach Peccia und<br />
Fusio oder speisten in einer<br />
Osteria oder einem Grotto. Wir<br />
wollen teilnehmen an den Anlässen<br />
im Tal und mit der Bevölkerung<br />
zusammen sein. Wir<br />
haben eine Genossenschaftskasse,<br />
die auf Mitgliederbeiträge<br />
und Spenden angewiesen ist.<br />
Für persönliche Bedürfnisse<br />
und Wünsche kommen die Helfer<br />
selber auf.<br />
Verbindung zur Aussenwelt<br />
Der Laden in Bignasco ist das<br />
Verbindungsglied zwischen interessierten<br />
Leuten und der<br />
Siedlung Pianta Monda. Es<br />
werden Produkte aus dem Betrieb<br />
angeboten, neu auch Textilien<br />
aus eigener Werkstatt.<br />
Wenn Sanna den Laden betreut,<br />
trifft man sie je nach dem am<br />
Spinnrad, am Computer oder<br />
im Gespräch mit der Kundschaft.<br />
Es beginnt zu regnen. Alle haben<br />
sich unter dem Zeltdach zu<br />
Tisch gesetzt. Vor dem Essen<br />
reichen wir einander zum Zeichen<br />
der Verbundenheit die<br />
Hände. – Gestärkt und beeindruckt<br />
gehen Gabriella und ich<br />
über die nassglänzenden Steinstufen<br />
auf dem inzwischen von<br />
Helfern gesäuberten Weg nach<br />
Menzonio hinunter.<br />
Mehr Infos dazu auf:<br />
www.piantamonda.ch