Programmheft [PDF] - Heilbronner Sinfonie Orchester
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Programmheft [PDF] - Heilbronner Sinfonie Orchester
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IN SPHÄREN<br />
WECHSELNDER<br />
GEFÜHLE<br />
Solistin: Hyeyoon Park . VIOLINE<br />
19:30 Uhr<br />
Theodor-Heuss-Saal<br />
Sonntag, 3. Februar 2013<br />
Konzert- und Kongresszentrum Harmonie . Heilbronn<br />
Dirigent: Peter Braschkat<br />
1
PROGRAMM 3. Februar 2013<br />
IN SPHÄREN<br />
WECHSELNDER GEFÜHLE<br />
Mit freundlicher Unterstützung der<br />
Schiedmayer Celesta GmbH, heutzutage<br />
weltweit einziger Hersteller der Celesta.<br />
Wolfgang Amadeus Mozart<br />
(1756 – 1791)<br />
Maurerische Trauermusik KV 477 (479a)<br />
Adagio<br />
Dmitri Schostakowitsch<br />
(1906 – 1975)<br />
Violinkonzert Nr. 1 a-Moll op. 77<br />
I. Nocturne. Moderato<br />
II. Scherzo. Allegro<br />
III. Passacaglia. Andante – Cadenza<br />
IV. Burlesque. Allegro con brio<br />
PAUSE .......................................................................................................<br />
Ludwig van Beethoven<br />
(1770 – 1827)<br />
<strong>Sinfonie</strong> Nr. 7 A-Dur op. 92<br />
I. Poco sostenuto – Vivace<br />
II. Allegretto<br />
III. Presto – Assai meno presto<br />
IV. Allegro con brio<br />
3
22 4
SOLISTIN<br />
Hyeyoon Park, Violine<br />
Die 20-jährige Südkoreanerin ist eine der international<br />
gefragtesten Geigerinnen ihrer Generation.<br />
Hyeyoon Park erhielt ihren ersten Geigenunterricht<br />
mit vier Jahren und wurde bereits zwei<br />
Jahre später als Jungstudentin an der „Korean<br />
National University of Arts“ aufgenommen.<br />
Im Alter von 14 Jahren wechselte sie an die<br />
„Hochschule für Musik Hanns Eisler“ Berlin.<br />
Aufbaustudien und Meisterkurse absolvierte<br />
sie bei Christian Tetzlaff, Gidon Kremer, Ivry<br />
Gitlis, Zakhar Bron und Thomas Brandis. Im<br />
Alter von neun Jahren debütierte sie mit dem<br />
Seoul Philharmonic Orchestra. Seitdem spielt sie<br />
regelmäßig mit renommierten <strong>Orchester</strong>n unter<br />
bedeutenden Dirigenten. Park unternimmt<br />
große Tourneen und gastiert bei internationalen<br />
Musikfestivals.<br />
Die junge Geigerin gewann eine ungewöhnlich hohe Zahl von Preisen und Auszeichnungen.<br />
Entscheidend für ihren kometenhaften Aufstieg war, dass sie 2009, also mit<br />
17 Jahren, den 1. Preis sowie zwei Sonderpreise beim 58. Internationalen Musikwettbewerb<br />
der ARD gewann. Damit ist sie die jüngste Preisträgerin in der Geschichte des<br />
Wettbewerbs. Ihr außergewöhnliches Können ist auf Tonträgern dokumentiert. Ständig<br />
werden Konzerte mit Hyeyoon Park von Funk und Fernsehen ausgestrahlt.<br />
Sie spielt eine Violine von Lorenzo Storini (Cremona 1781) aus dem Besitz der Deutschen<br />
Stiftung Musikleben.<br />
5
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und Wissen, darauf dürfen sich<br />
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ZUR RASCHEN ORIENTIERUNG<br />
Verehrte Konzertbesucher,<br />
drei musikalische Meisterwerke sollen Sie heute „in Sphären wechselnder Gefühle“<br />
versetzen. Von ritueller Totenklage bis zu überschwänglicher Lebensfreude, von<br />
rasanten Holzbläserkapriolen bis zu bedrohlichen Kontrabassklängen, von gregorianischen<br />
Choralzitaten bis zu jüdischer „Freilach“-Ausgelassenheit spannt sich der<br />
Ausdrucksgehalt der drei Kompositionen; religiöse, politische und folkloristische<br />
Musik des 18., 19. und 20. Jahrhunderts umfasst unser heutiges Konzertprogramm –<br />
wir wünschen Ihnen aufregende Hörerlebnisse!<br />
Wolfgang Amadeus Mozart (* 1756 Salzburg, † 1791 Wien): Schon bald nachdem<br />
Mozart 1782 nach Wien gekommen war, nahm er Kontakt zu den Freimaurern auf<br />
und trat 1784 einer Loge bei. In diesem Zusammenhang entstanden auch einige Kompositionen.<br />
Am bedeutendsten ist wohl die Maurerische Trauermusik, die Mozart<br />
1785 für eine Trauerfeier schrieb. Das dreiteilige Adagio zitiert im Mittelabschnitt eine<br />
gregorianische Choralmelodie und endet mit einem tröstlichen C-Dur-Akkord, der freimaurerischen<br />
Tonart des Lichts.<br />
Dmitri Schostakowitsch (* 1906 St. Petersburg, † 1975 Moskau): Der bedeutendste<br />
russische Sinfoniker des 20. Jahrhunderts teilte seine nach dem 2. Weltkrieg entstandenen<br />
Werke in zwei Kategorien ein: Einfache, zugängliche Musik, die sich in Übereinstimmung<br />
mit den Richtlinien des Kreml befand, und komplexe, persönliche Kompositionen, die an<br />
seinen eigenen künstlerischen Standards gemessen werden sollten. Das 1. Violinkonzert<br />
fällt zweifellos in die zweite Kategorie; Schostakowitsch hielt es sieben Jahre unter Verschluss<br />
und wagte die Uraufführung mit David Oistrach als Solisten erst nach Stalins Tod.<br />
Zwei langsame Sätze (der erste, ein stimmungsvolles Notturno, und der dritte, eine ernste<br />
Passacaglia) wechseln sich ab mit zwei schnellen Sätzen (Scherzo und Finale). Zwischen<br />
den Zeilen erfährt man viel über Schostakowitschs Seelenzustand und bekommt eine Ahnung<br />
davon, was es bedeutet, Künstler in einem totalitären Staat zu sein.<br />
Ludwig van Beethoven (* 1770 Bonn, † 1827 Wien): Seine neun <strong>Sinfonie</strong>n sind seit 200<br />
Jahren ein zentraler Bestandteil der abendländischen Kultur, mit seiner 7. <strong>Sinfonie</strong> gelang<br />
ihm einer seiner größten Triumphe zu Lebzeiten. Von Richard Wagner als „Apotheose des<br />
Tanzes“ bezeichnet ist sie weit mehr als das: Ein tönender Kosmos, in dem folkloristische<br />
Ausgelassenheit ebenso ihren Platz hat wie das Echo der Befreiungskriege. Als populärster<br />
Satz hat sich seit der Uraufführung das an zweiter Stelle stehende Allegretto behauptet,<br />
ein trauermarschähnliches Mysterium zwischen zwei rätselhaften Quartsextakkorden.<br />
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Mozart und die Freimaurer<br />
Wolfgang Amadeus Mozarts „Maurerische Trauermusik“ ist eine Komposition, die<br />
viele Geheimnisse und Rätsel in sich trägt. Das liegt in der Natur der Sache, denn<br />
dieses fesselnde Adagio ist eng mit Mozarts Zugehörigkeit zum Geheimbund der Freimaurer<br />
verknüpft.<br />
Mozart trat den Freimaurern im Dezember 1784 bei. Er war wohl Freimaurer mit Leib<br />
und Seele und steuerte zahlreiche Kompositionen für Zeremonien bei: Lieder, Männerchöre<br />
(Frauen waren in den Logen nicht zugelassen) und Kantaten, darunter Mozarts<br />
letzte vollendete Komposition, die „kleine Freymaurer-Kantate“ „Laut verkünde unsre<br />
Freude“ KV 623, deren Uraufführung am 18. November 1791, einen halben Monat<br />
vor seinem Tod, Mozart noch selbst leitete. Auch die Zauberflöte steckt voller freimaurerischer<br />
Symbole, was nicht weiter verwundert, denn ihr Textdichter, Produzent und<br />
erster Papageno, Emanuel Schikaneder, war selbst ebenfalls Freimaurer.<br />
Wiener<br />
Freimaurerloge<br />
„Zur gekrönten<br />
Hoffnung“<br />
Gemälde, um 1785<br />
(Historisches Museum<br />
der Stadt Wien)<br />
9
Totenfeier für den „Rosenkavalier“<br />
Als Mozarts größtes freimaurerisches Werk, abgesehen<br />
von der Zauberflöte, die ja nicht direkt der<br />
Logenwelt zuzuordnen ist, gilt die „Maurerische<br />
Trauermusik“, mit der wir den heutigen Abend eröffnen.<br />
Mozart schrieb dieses Adagio für eine Trauerfeier<br />
der Loge „Zur gekrönten Hoffnung“ anlässlich<br />
des Todes zweier adeliger Logenbrüder, Herzog<br />
Georg August von Mecklenburg-Strelitz und Graf<br />
Franz Esterházy, die am 17. November 1785 stattfand.<br />
Esterházy wurde übrigens „Quin-Quin“ genannt,<br />
war ein Liebling der aristokratischen Wiener<br />
Damenwelt und wurde von Richard Strauss unsterblich<br />
gemacht: Octavian, die Titelfigur in seiner Oper<br />
„Der Rosenkavalier“, wird nämlich dort Quinquin<br />
gerufen und hat den Grafen Esterházy zum Vorbild.<br />
Rätselhaft ist Mozarts Eintrag in sein eigenhändig<br />
geführtes „Verzeichnüß aller meiner Werke“:<br />
Unter der Datierung „im Monath Jully 1785“ schreibt Mozart: „Maurerische Trauer<br />
Musik bey dem Todfalle der Brbr: Meklenburg und Esterhazy“. Da die Brüder aber<br />
erst Anfang November starben, muss Mozart sich in der Datierung getäuscht haben.<br />
In der neuen Mozartausgabe erhielt die Trauermusik daher eine neue Werknummer:<br />
KV 479a statt KV 477.<br />
Merkwürdig ist auch die <strong>Orchester</strong>besetzung. Ursprünglich umfasste das <strong>Orchester</strong><br />
der Trauermusik neben den Streichern noch zwei Oboen, eine Klarinette und zwei<br />
Hörner, dazu das Lieblingsinstrument aus Mozarts Wiener Zeit, das Bassetthorn, eine<br />
Art Tenorklarinette in F. Mozart schrieb für das Bassetthorn einige wertvolle Kammermusiken,<br />
setzte es aber auch immer wieder im <strong>Orchester</strong> ein, wenn es um religiöse<br />
Inhalte ging: Im Requiem trägt es wesentlich zur dunklen <strong>Orchester</strong>farbe bei und in<br />
der „Zauberflöte“ wird es mit Sarastro und seinen Priestern assoziiert. Mozart änderte<br />
später seine Instrumentierung noch in zwei bemerkenswerten Aspekten: Er fügte eine<br />
Stimme für das zur damaligen Zeit äußerst ungebräuchliche Kontrafagott ein und<br />
ergänzte die Bläser durch zwei weitere Bassetthörner. Letzteres hatte wahrscheinlich<br />
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nicht nur klangliche, sondern auch zahlensymbolische Gründe: Im Ganzen wirken nun<br />
drei Bassetthörner mit, und die Zahl Drei ist die „heilige Zahl“ der Freimaurer – es gibt<br />
zum Beispiel drei Grade der Freimaurerei, drei Säulen freimaurerischer Ideale und drei<br />
bewegliche und drei unbewegliche Kleinodien. Auch in der Zauberflöte spielt die Zahl<br />
Drei eine große Rolle: Drei Damen, drei Knaben, drei Priester, drei Sklaven, drei Tempel,<br />
drei Prüfungen – sogar musikalisch begegnet man der Dreiheit immer wieder: Die<br />
Ouvertüre beginnt mit drei mächtigen Akkorden (Dreiklängen), und die Haupttonart<br />
ist natürlich Es-Dur, die Tonart mit drei -Vorzeichen.<br />
Bassetthorn, um 1790<br />
Auch die Trauermusik gliedert sich klar in drei Großabschnitte mit jeweils drei -Vorzeichen:<br />
Zwei c-Moll-Teile umrahmen einen Mittelteil in Es-Dur. In diesen Mittelteil<br />
baut Mozart einen gregorianischen Gesang ein, den sogenannten „tonus peregrinus“,<br />
der mit den Lamentationen der Karwoche verwandt ist. Mozarts Freund Michael<br />
Haydn hatte ihn 1771 in seinem Requiem verwendet, und auch Mozart sollte 1791<br />
in seinem eigenen Requiem wieder auf diese Melodie zurückgreifen. Da der „tonus<br />
peregrinus“ im Miserere des Requiems und in der Karwoche gesungen wird, ist sein<br />
Symbolgehalt in einer Totenfeier durchaus passend. Und noch ein symbolträchtiger<br />
Moment begegnet uns in der Maurerischen Trauermusik, nämlich ganz am Ende des<br />
abschließenden c-Moll-Teils: Hier erklingt im Schlussakkord als höchste Note eine Durterz<br />
e in der 1. Oboe. Die Konvention, ein Moll-Stück mit einem Dur-Akkord (hier<br />
C-Dur, die freimaurerische Tonart des Lichts) aufhören zu lassen, indem man die sogenannte<br />
„picardische Terz“ verwendete, kam im Barock bereits aus der Mode. Die<br />
Wirkung des C-Dur-Akkords am Ende des Mozart-Adagios ist unbeschreiblich anrührend;<br />
der Musikwissenschaftler H. C. Robbins Landon vergleicht ihn mit der „Muttergottes<br />
auf einem mittelalterlichen Bild, die ihren Mantel über die Trostsuchenden ausbreitet“,<br />
und er fügt an: „Mit der Zuversicht, die sie im C-Dur Schlussakkord vermittelt,<br />
offenbart die Maurerische Trauermusik Mozarts innerstes Wesen, seine Menschlichkeit<br />
und seine – im wahrsten Sinn des Wortes – Leidenschaft.“<br />
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Seiltanz zwischen Systemkritik und Konformismus<br />
Schostakowitsch und Stalin<br />
Wir haben also gesehen, dass Mozarts<br />
kleines, knapp fünf Minuten langes Meisterwerk<br />
einige Geheimnisse birgt und sicher<br />
noch längst nicht alle preisgegeben hat. Das<br />
trifft in ungleich größerem Maße noch auf<br />
Dmitri Schostakowitschs 1. Violinkonzert zu,<br />
das Sie im Anschluss hören können. Wie Mozarts<br />
Trauermusik unter zwei verschiedenen<br />
Nummern im Köchelverzeichnis geführt wird<br />
(KV 477 und KV 479a), so wird Schostakowitschs<br />
Konzert in manchen Ausgaben als<br />
„op. 77“ und in anderen als „op. 99“ bezeichnet.<br />
Der Grund ist allerdings nicht wie<br />
bei Mozart eine kleine Unaufmerksamkeit<br />
bei der privaten Buchführung des Komponisten, eine läppische Erinnerungstrübung<br />
beim nachträglichen Eintragen, sondern Teil eines Versteckspiels, das Schostakowitsch<br />
des Öfteren in Lebensgefahr gebracht hatte – wie überhaupt der Seiltanz dieses Komponisten<br />
zwischen subversiver Systemkritik und scheinbar parteikonformem Sowjetkünstlertum<br />
zum Spannendsten gehört, das man sich vorstellen kann.<br />
Dmitri Schostakowitsch wurde 1906 in St. Petersburg geboren und machte bereits als<br />
19-Jähriger Furore, als ihn seine 1. <strong>Sinfonie</strong> schlagartig weltbekannt machte. Dieser<br />
Geniestreich war seine Abschlussarbeit am Petersburger Konservatorium, und in den<br />
folgenden Jahren rissen seine Erfolge nicht ab. Seine 2. und 3. <strong>Sinfonie</strong>, aber auch die<br />
Opern „Die Nase“ und „Lady Macbeth von Mzensk“ machten ihn außerordentlich<br />
populär. In diesen Werken perfektionierte Schostakowitsch eine Kompositionsweise,<br />
die vordergründig das stalinistische Regime pries, aber zwischen den Zeilen häufig<br />
Kritik, Hohn und Spott durchscheinen ließ. Kritiker und Publikum feierten ihn gleichermaßen,<br />
und seine Position in der russischen Kulturwelt schien unangreifbar. All das<br />
änderte sich schlagartig am 16. Januar 1936.<br />
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An diesem Tag besuchte Josef Stalin eine Aufführung von Schostakowitschs Oper<br />
„Lady Macbeth“ im Moskauer Bolschoi-Theater. Was er sah, gefiel ihm ganz und gar<br />
nicht. Noch während der Vorstellung erhob er sich wortlos und verließ das Theater,<br />
ohne mit dem ebenfalls anwesenden Schostakowitsch zu sprechen. Drei Wochen<br />
später erschien in der „Prawda“ ein nicht signierter (und folglich höchstwahrscheinlich<br />
von Stalin selbst stammender) Artikel mit dem Titel „Chaos statt Musik“, in dem<br />
mit der Oper abgerechnet wurde: Sie sei ein Ausdruck „linksradikaler Zügellosigkeit“<br />
und „kleinbürgerlichen Neuerertums“, kurz, ein Ausdruck des von Stalin zutiefst verdammten<br />
„Formalismus“. Die Konsequenzen dieses Artikels vollzogen sich mit großer<br />
Geschwindigkeit und Drastik: Alle Aufführungen der Oper wurden sofort gestoppt,<br />
alle Kritiker, die die Oper vorher gelobt hatten, verrissen sie nun um die Wette – und<br />
Schostakowitsch schlief mehrere Monate in seinen Kleidern, einen kleinen Koffer fertig<br />
gepackt unter seinem Bett, weil er sich sicher war, des Nachts vom Geheimdienst abgeholt<br />
zu werden. „Das Warten auf die Exekution ist eines der Themen, die mich mein<br />
Leben lang gemartert haben. Viele Seiten meiner Musik sprechen davon.“, schrieb er<br />
viele Jahre später. Schostakowitsch wurde nicht abgeholt – allerdings quälten ihn von<br />
diesem Zeitpunkt an Depressionen und Suizidgedanken.<br />
In der Folge musste Schostakowitsch noch vorsichtiger sein. Seine noch nicht veröffentlichte<br />
4. <strong>Sinfonie</strong> hielt er zurück und versah seine fünfte mit dem Vermerk „Praktische<br />
Antwort eines Sowjetkünstlers auf gerechtfertigte Kritik“. Besonders in den<br />
Kriegsjahren schuf Schostakowitsch mit der 7., 8. und 9. <strong>Sinfonie</strong> auch eine beeindruckende<br />
Gruppe von „Kriegssinfonien“. Allerdings stieß er auch hierbei das Regime<br />
öfters vor den Kopf, am heftigsten Stalin im Zusammenhang mit seiner neunten <strong>Sinfonie</strong>.<br />
Diese war zwar schon im Frühjahr 1944 begonnen, aber als sich der Sieg über<br />
Hitlerdeutschland abzeichnete, drängte Stalin immer stärker darauf, dass Schostakowitsch<br />
sie zu einer triumphalen „Siegessinfonie“ nach dem Vorbild von Beethovens<br />
Neunter mache, mit großem orchestralen Aufwand und der Verwendung von Solisten<br />
und Chören. Schostakowitsch schrieb tollkühner Weise seine kleinstbesetzte und<br />
intimste <strong>Sinfonie</strong>, ohne Gesang und mit Witz und doppelbödigem Sarkasmus statt<br />
staatstragender Apotheose. Stalin war tief gekränkt, aber aus irgendeinem Grund<br />
kam Schostakowitsch auch dieses Mal wieder ungeschoren davon. Dennoch: Das<br />
Klima wurde rauer. 1946 entwickelte Andrei Alexandrowitsch Schdanow, ein führendes<br />
Mitglied des Politbüros der KPdSU, die „Zwei-Lager-Theorie“, die im Prinzip aussagte,<br />
dass die Welt in ein imperialistisches, antidemokratisches (der Westen) und ein<br />
antiimperialistisches, demokratisches Lager (der Osten) zerfalle. Sowjetkünstler hätten<br />
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die vordringlichste Aufgabe, die Parteilinie in diesem Lagerkampf zu unterstützen.<br />
Anfang 1948 entstand aus dieser Schdanow-Doktrin die sogenannte Formalismus-<br />
Kampagne. Komponisten wie Prokofieff oder Khatschaturian, aber auch Schostakowitsch<br />
wurden des Formalismus bezichtigt und ihre Werke mit einem Aufführungsverbot<br />
belegt. Zu dieser Zeit hatte Schostakowitsch bereits wieder die Arbeit an einem<br />
wichtigen sinfonischen Werk begonnen. Es war keine <strong>Sinfonie</strong> (seine Zehnte sollte er<br />
erst nach Stalins Tod schreiben – sie wurde zu seiner Abrechnung mit dem Diktator),<br />
sondern sein erstes Violinkonzert.<br />
Der Interpret in der Shakespeare-Rolle<br />
David Oistrach, der Widmungsträger des Konzerts<br />
Die Geschichte dieser Komposition ist<br />
eng mit dem berühmten russischen Geiger<br />
David Oistrach verknüpft. Schostakowitsch<br />
war mit ihm befreundet; die<br />
beiden hatten bereits 1935 zusammen<br />
an einer Konzerttournee durch die Türkei<br />
teilgenommen. Beim Prager Frühlingsfest<br />
von 1947 traten sie mit Schostakowitschs<br />
2. Klaviertrio zum ersten Mal gemeinsam<br />
auf. Oistrachs Spiel wurde allgemein als<br />
ein Höhepunkt des Festivals bezeichnet.<br />
Auch Schostakowitsch war beeindruckt<br />
und begann sofort mit der Komposition<br />
eines Violinkonzerts, das er Oistrach widmen<br />
wollte. Aber es war ihm von Anfang<br />
an klar, dass man für einen brillanten und zutiefst ernsthaften Musiker wie Oistrach<br />
kein konventionelles Virtuosenkonzert schreiben konnte. „Vom Charakter her ist mein<br />
erstes Violinkonzert eher eine <strong>Sinfonie</strong> für Violine und <strong>Orchester</strong>“, erklärte er. Und<br />
Oistrach bemerkte: „Das Konzert stellt den Interpreten vor ausgesprochen interessante<br />
Probleme; einen Interpreten, der im übrigen eine prägnante Shakespeare-Rolle spielt,<br />
die von ihm vollständige emotionale und intellektuelle Hingabe verlangt und ihm reichlich<br />
Gelegenheit bietet, nicht nur seine Virtuosität unter Beweis zu stellen, sondern vor<br />
allem seine tiefsten Gefühle, Gedanken und Stimmungen zu offenbaren.“<br />
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Schostakowitsch hat nach den boshaften Attacken, denen er in den Formalismus-Debatten<br />
ausgesetzt war, klar erkannt, dass eben diese tiefen und komplexen Gefühle,<br />
Gedanken und Stimmungen, die das Konzert ausdrückt, nicht geeignet waren, beim<br />
Politbüro Gefallen zu finden. Er hielt das Konzert klugerweise zurück, bis sich nach<br />
Stalins Tod 1953 ein politischer Stimmungsumschwung in der Sowjetunion ergab.<br />
Erst 1955 kam es zur Uraufführung: Sieben Jahre hatte das Konzert in der Schublade<br />
gelegen, nun erklang es im berühmten Saal des Marinskij-Theaters in Leningrad<br />
und wurde mit stürmischer Begeisterung aufgenommen. Jewgenji Mrawinsky dirigierte,<br />
den Solopart spielte natürlich David Oistrach. Wie vorsichtig Schostakowitsch<br />
immer noch war, erkennt man daran, dass er dem Werk eine neue Opuszahl gab –<br />
op. 99, so als handle es sich um ein eben erst komponiertes Werk.<br />
Schostakowitschs Konzert ist, ungewöhnlich für ein Solokonzert, viersätzig und beginnt<br />
mit einem traumhaften Notturno, einem der stimmungsvollsten Sätze in Schostakowitschs<br />
gesamten Werk. Sein Ausdrucksgehalt ist schwer zu greifen; er wurde<br />
sowohl mit Elgars Cellokonzert als auch mit dem Arioso „Ach Golgatha“ aus Bachs<br />
Matthäus-Passion verglichen. Äußerst kunstvoll entwickelt sich die Musik aus klanglicher<br />
Tiefe (Celli und Kontrabässe, G-Saite der Solovioline) in geradezu astronomische<br />
Höhen (hohe Geigen, Celesta und Flageolett der Harfe) und mündet plötzlich in ein<br />
tiefes glockenhaftes Pianissimo von Tuba, Tamtam, Harfe und Kontrabasspizzicato.<br />
Welch ein Kontrast zum 2. Satz, der „Scherzo“ überschrieben ist! Es ist ein grimmiger<br />
Scherz, den Schostakowitsch uns hier präsentiert: In rasendem Tempo treibt die Solovioline<br />
ein groteskes Unisono aus Flöte und Bassklarinette vor sich her, dann sind<br />
es Oboe und Kontrafagott, die ihrerseits dem Solisten die Sporen geben. Der diabolische<br />
Ritt wird von pfeifenden Glissandi der Sologeige angefeuert, und dann mischt<br />
sich der Komponist höchstpersönlich in das dämonische Geschehen: Die Holzbläser<br />
intonieren die Tonfolge dis-e-cis-h, eine Abwandlung des Monogramms „D-Sch“<br />
(in Tönen: d-es-c-h), mit denen Schostakowitsch seine Anfangsbuchstaben (in deutscher<br />
Umschrift und Notenbezeichnung!) häufig in seinen Partituren verewigte. Dadurch,<br />
dass die ersten drei Töne um einen Halbton erhöht wurden, stimmt die Intervallstruktur<br />
nicht, und die große Sekunde zwischen den letzten beiden Tönen cis<br />
und h erschwert das hörende Erkennen der Signatur. Und dann explodiert die Musik<br />
förmlich und entlädt sich in einem hysterischen Gassenhauer mit Xylophonsolo, Tamburin<br />
und primitiver Begleitmotorik. Der Musikwissenschaftler Gerd Rienäcker schreibt<br />
dazu: „Was es wirklich mit dem Gassenhauer, mit dem jähen Umschlagen der Musik<br />
21
vom Erhaben-Tragischen ins Triviale, auch mit der kreischenden Fröhlichkeit des Finales<br />
auf sich hatte, entschlüsselte sich mir erst spät: Ich hörte den Aufschrei im Gassenhauer,<br />
und in der kreischenden Fröhlichkeit vernahm ich jüdische Gesänge, von denen<br />
Schostakowitsch gesagt haben soll, in ihnen wohnten Lachen und Weinen unmittelbar<br />
beieinander.“ Und Schostakowitsch bemerkte in Bezug auf die russische Tradition<br />
der Burleske einmal, die Doppelbödigkeit des derben und überlauten Lachens helfe,<br />
die ständige Angst zu besiegen.<br />
Der berühmteste Satz des Konzerts ist freilich der dritte Satz. Angeblich hat Schostakowitsch<br />
ihn während einer Konferenz im Zentralkomitee niedergeschrieben: in Form<br />
einer Passacaglia, eines langsamen Tanzes, den Bach und Händel wegen seiner düsteren<br />
Feierlichkeit liebten. Schostakowitsch verwendete diese alte Form, um so etwas<br />
wie eine Tribüne zu schaffen, auf der er selbst eine glutvolle Rede hält – aber an wen?<br />
An Stalin selbst? Es gibt musikalische Hinweise, die darauf hindeuten: Der Satz beginnt<br />
mit einer Variante der Hauptmelodie aus Schostakowitschs 7. <strong>Sinfonie</strong>, von der<br />
er später gesagt hat, sie stehe für Stalin. Die Hörner spielen dazu den rhythmischen<br />
Puls, der das berühmte Schicksalsmotiv aus Beethovens fünfter <strong>Sinfonie</strong> trägt. „So<br />
pocht das Schicksal an die Pforte“, soll Beethoven über dieses Motiv gesagt haben,<br />
und Schostakowitsch verband diese Reminiszenz bewusst und vorsätzlich mit einer<br />
Reminiszenz an Stalin: Ein mehr als vielsagender Hinweis.<br />
Beginn der Passacaglia<br />
mit der Verbindung<br />
von „Stalinthema“ in<br />
Violoncello und Kontrabass<br />
und dem Schicksalsmotiv<br />
in den Hörnern<br />
(„Corni“)<br />
Die Passacaglia und das Finale werden verbunden durch eine riesenhafte Kadenz der<br />
Solovioline, der einzigen Kadenz dieses Konzerts. Für Schostakowitsch war die Geige<br />
ein monologisches Instrument, dessen Gesang er mit kunstvoller Rede verglich. Die<br />
Kadenz macht diesen „rhetorischen“ Anspruch besonders deutlich; Schostakowitschs<br />
Biograf Solomon Wolkow schrieb: „Die Kadenz geht ans Herz; dieser Violinmonolog<br />
erinnert an ein Bild aus Anna Achmatowas „Requiem“: „mein gequälter Mund, mit<br />
dem ein Hundertmillionenvolk schreit.“ Konsequenterweise erscheint auch in der<br />
Kadenz das DSCH-Signum, dieses Mal in der „richtigen“ Intervallstruktur, aber um<br />
einen Halbton erniedrigt als „cis-d-h-b“ – der Symbolgehalt ist unmissverständlich.<br />
23
Ausschnitt aus der Kadenz<br />
mit Schostakowitschs<br />
„erniedrigtem“<br />
Monogramm in der<br />
Oberstimme der<br />
vierstimmigen Akkorde<br />
Der Wirbelsturm des burlesken Satzes, mit dem Schostakowitsch sein Konzert beschließt,<br />
ist wieder ein Totentanz mit grellen Effekten und halsbrecherischer Virtuosität.<br />
Dieses Finale fordert dem Interpreten geradezu übermenschliche Anstrengungen<br />
ab. Wieder gibt es scheinbar Triviales zu hören, aber auch das Passacaglia-Thema wird<br />
nochmals zitiert. In der Presto-Stretta der letzten Takte ist kein Halten mehr; Solist und<br />
Begleitorchester rasen Hals über Kopf in den Fortissimo-Schluss. Das Konzert ist einer<br />
der Höhepunkte des Violinrepertoires, doch man hört es nicht allzu häufig – nicht<br />
zuletzt wegen der enormen physischen Anforderungen, die es an die Beteiligten stellt.<br />
Zentraler Werkzyklus des 19. Jahrhunderts<br />
Ludwig van Beethovens <strong>Sinfonie</strong>n<br />
Ludwig van Beethovens neun <strong>Sinfonie</strong>n sind ein Gesamtwerk, das an Bedeutsamkeit<br />
und ungebrochener Faszination bis auf den heutigen Tag seinesgleichen sucht.<br />
In diesen Werken verbindet sich der kompositionstechnische Stand des 18. Jahrhunderts<br />
mit Beethovens eigenen Avantgardismen, die weit ins 19. Jahrhundert voraus<br />
weisen. Als Dreißigjähriger schrieb Beethoven seinen sinfonischen Erstling, ein Vierteljahrhundert<br />
später war der Zyklus mit der „Neunten“ vollendet. Beethoven arbeitete<br />
übrigens noch wenige Wochen vor seinem Tod an einer zehnten <strong>Sinfonie</strong>, deren<br />
erster Satz so weit gediehen ist, dass eine aufführbare Version erstellt werden konnte.<br />
Im Vergleich mit Beethovens kompositorischen Vorbildern ist zu erkennen, dass die<br />
Zeit der Serienproduktion nun zu Ende war. Haydn hatte noch über hundert <strong>Sinfonie</strong>n<br />
komponiert, Mozart knapp fünfzig, aber Beethoven schrieb neun eigenständige,<br />
für sich stehende Meisterwerke mit individueller Aussage. Die heute Abend auf dem<br />
Programm stehende 7. <strong>Sinfonie</strong> widerlegt die Vorstellung vom musikalischen Werk<br />
als Manifestation von Beethovens Gemütszustand. Die <strong>Sinfonie</strong> vermittelt, im Ganzen<br />
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gesehen, einen positiven, schwungvollen<br />
und überaus energiegeladenen Eindruck.<br />
Entstanden ist sie jedoch in einer Lebensphase<br />
Beethovens, in der er niederschmetternde<br />
Schicksalsschläge verkraften<br />
musste: Neben Geldsorgen machten ihm<br />
Krankheiten und zunehmende Taubheit zu<br />
schaffen. Um 1812 erlebte er mit der geheimnisvollen<br />
„Unsterblichen Geliebten“<br />
zudem eine letzte leidenschaftliche Liebesbeziehung,<br />
der keine Dauer beschieden<br />
war; Beethoven begrub damit wohl auch<br />
seine Hoffnung nach familiärer Geborgenheit.<br />
In einer Tagebuchaufzeichnung aus<br />
diesem Jahr lesen wir: „Ergebenheit, innigste<br />
Ergebenheit in dein Schicksal, […] Du darfst nicht Mensch seyn, für dich nicht,<br />
nur für andre; für dich gibt’s kein Glück mehr als in dir selbst in deiner Kunst – o Gott!<br />
gib mir Kraft, mich zu besiegen, mich darf ja nichts an das Leben fesseln.“ Im Mai<br />
1813 schreibt Beethoven: „o Gott, Gott sieh‘ auf den unglücklichen B. herab, laß es<br />
nicht länger so dauern – “.<br />
Wie gesagt, diese düsteren Gedanken machen keinesfalls die Grundstimmung der<br />
Siebten aus. Das hat auch Beethoven selbst erkannt, wenn er im Januar 1815 in einem<br />
Brief an Nikolaus von Zmeskall „die große Symphonie in A als eins der glücklichsten<br />
Produkte meiner schwachen Kräfte“ bezeichnete. Und auch finanziell geriet sie ihm<br />
zum großen Erfolg. Ihre Uraufführung fand am 8. Dezember 1813 im Rahmen einer<br />
„Großen Akademie“ statt, die zugleich als Wohltätigkeitskonzert „zum Besten der<br />
bei Hanau invalide gewordenen österreichischen und bayerischen Krieger“ bezeichnet<br />
war. Eine weitere Uraufführung des Abends war Beethovens berüchtigtes Schlachtengemälde<br />
„Wellingtons Sieg“ op. 91. Alles, was im damaligen Wien Rang und Namen<br />
hatte, wirkte mit. Die Begeisterung der 5000 Zuhörer war gewaltig und bezog sich<br />
ausdrücklich auch auf die neue <strong>Sinfonie</strong>, die sofort zu einem Lieblingsstück des Publikums<br />
wurde. Der 2. Satz gefiel so gut, dass er bei der Uraufführung und bei späteren<br />
Akademien stets wiederholt werden musste. Und immer wieder sind es der Rhythmus<br />
und die motorische Energie, die auch heute noch das Publikum elektrisieren. Betrachten<br />
wir noch kurz die vier Sätze im Einzelnen:<br />
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Der erste Satz wird eröffnet durch eine langsame Einleitung „Poco sostenuto“, mit<br />
62 Takten die längste Beethovens. Schon der Beginn fasziniert durch eine völlig neuartige<br />
Klangkonzeption: Zwischen vier Forte-Schlägen des <strong>Orchester</strong>s spannen die Bläser<br />
eine melodische Linie im Piano, die nach einem weiteren Diminuendo in einen Abschnitt<br />
mündet, der von staccato gespielten Tonleitern und Repetitionen der Streicher geprägt<br />
ist. Diese scheinbar „minderwertigen“ musikalischen Materialien setzen sich immer<br />
mehr durch, bis die Entwicklung auf einem einzigen Ton – dem e – stehen bleibt: Nun<br />
ist die Musik mangels einer melodischen Komponente nur noch reiner Rhythmus, und<br />
dies ist auch die Nahtstelle zum Hauptteil des ersten Satzes „Vivace“. Der in der Flöte<br />
44fach repetierte Schlüsselton e‘‘‘ mündet in das tänzerisch gelöste und entspannte<br />
Hauptthema im Sechsachteltakt. Die insistierenden Tonwiederholungen lösen einen unwiderstehlichen<br />
Sog aus, von dem schließlich das ganze <strong>Orchester</strong> ergriffen wird – das<br />
Hauptthema erscheint jetzt machtvoll, fast stampfend. Wie Beethoven mit dieser Energie<br />
und diesem Rhythmus 400 Takte lang spielt, ist grandios und meisterhaft und entbehrt<br />
auch nicht eines gesunden Humors, etwa wenn er zu Beginn der Reprise den raketenhaften<br />
Auftakt erst einmal ins Leere laufen lässt, um dann mit größter Wucht und<br />
Unterstützung der Trompeten und Pauken eine noch vehementere Wirkung zu erzielen.<br />
Die Steigerung in der Coda ist dann erst recht atemberaubend: Ein langes Crescendo<br />
über einem „Basso ostinato“ von Bratsche, Cello und Kontrabass wird allmählich kombiniert<br />
mit der Tonwiederholung „e“ in Korrespondenz zur langsamen Einleitung und<br />
mündet – endlich! – in den Grundrhythmus, der vom gesamten <strong>Orchester</strong> gleichzeitig<br />
aufgenommen wird, um den Satz ungebremst und machtvoll zu beenden.<br />
Das folgende Allegretto ist wahrscheinlich der bekannteste Satz der <strong>Sinfonie</strong>. Die außerordentliche<br />
Wirkung dieses oft als Trauermarsch bezeichneten Satzes geht zunächst von<br />
seinem sonderbaren Anfang und Schluss aus, die nach strenger Tonsatz-Theorie regelwidrig<br />
sind: Der eröffnende Quartsextakkord darf nur als Durchgangsakkord verwendet<br />
werden; häufig findet man ihn in Solokonzerten, um die Kadenz anzukündigen, sozusagen<br />
als musikalischen Doppelpunkt. Das Trauermarschartige des folgenden vierfach<br />
gesteigerten Klagegesangs resultiert aus dem ostinaten, gemessen schreitenden Rhythmus,<br />
der eine ungeheure Suggestivkraft ausübt. Auch im langsamen Satz, der als klarer<br />
Kontrast zu den energiegeladenen Ecksätzen angelegt ist, ist es also der Rhythmus,<br />
der die Atmosphäre bestimmt. Viele Musikwissenschaftler haben hier einen Zusammenhang<br />
mit der Litaneiformel „Sancta Maria, ora pro nobis“ konstatiert. Ein kurzes Doppelfugato<br />
und ein wiederholter Maggioreteil in A-Dur unterbrechen den Trauermarsch;<br />
am Ende steht wieder der fahle Quartsextakkord.<br />
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Litaneiformel „Sancta Maria“<br />
als Textierung des Allegretto?<br />
Mit polterndem Kontrast bricht der Beginn des Scherzos „Presto“ herein. Seine freudige<br />
Grundstimmung wirkt etwas aufgesetzt und gehetzt, oft erschöpft sich der Schwung<br />
in ziellosen Wiederholungen, die etwas Unschlüssiges haben. Die übliche dreiteilige<br />
Scherzoform ist hier zur Fünfteiligkeit erweitert: Das Trio „Assai meno presto“ mit seiner<br />
Bordunbegleitung, in dem Beethoven laut Abbé Stadler einen niederösterreichischen<br />
Wallfahrergesang zitiert, erscheint zweimal, und wenn der Hauptteil zum dritten<br />
Mal erklungen ist, kündigt es sich ein drittes Mal an – doch der „Irrtum“ wird rasch<br />
erkannt: Das Motiv wandelt sich nach Moll, und im Fortissimo lässt Beethoven mit fünf<br />
<strong>Orchester</strong>schlägen den Satz schnellstmöglich enden. Robert Schumann fand dazu das<br />
treffende Bild: „Man sieht den Komponisten ordentlich die Feder wegwerfen.“<br />
Trotz des großen Erfolges beim Publikum waren komponierende Zeitgenossen interessanterweise<br />
entrüstet über die <strong>Sinfonie</strong>, und das lag hauptsächlich am Finale. Carl Maria<br />
von Weber soll angeblich nach einer Aufführung Beethoven „reif fürs Irrenhaus“<br />
erklärt haben, und Robert Schumanns Schwiegervater Friedrich Wieck war der Meinung,<br />
„daß diese <strong>Sinfonie</strong> nur im unglücklichen – im trunkenen Zustande komponiert<br />
sein könne, namentlich der erste und letzte Satz.“ Beethoven treibt in diesem „Allegro<br />
con brio“ den Tanzcharakter seiner <strong>Sinfonie</strong> mit Ingrimm auf die Spitze, zu einer zügellosen<br />
Ausgelassenheit, die sich nicht am gehobenen Tanz orientiert, sondern am<br />
Volksbrauchtum. Nicht zuletzt diesem Satz verdankt die <strong>Sinfonie</strong> die berühmte Bemerkung<br />
Richard Wagners, die im Zusammenhang mit ihr zwangsläufig zitiert werden<br />
muss: „Diese Symphonie ist die Apotheose des Tanzes selbst: sie ist der Tanz nach seinem<br />
höchsten Wesen, die seligste That der in Tönen gleichsam idealisch verkörperten<br />
Leibesbewegung.“ Aber ist das noch Tanz, was Beethoven dem Hörer da zumutet?<br />
Wenn wir uns in diesem Satz an der puren Energieentladung erfreuen und uns von der<br />
zügellosen Ausgelassenheit ergreifen lassen, sollte uns die zeitgenössische Kritik nachdenklich<br />
stimmen: „Nur wenige heitere Sonnenblicke“ wusste der Rezensent in einer<br />
1817 erschienenen Besprechung in der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ auszumachen<br />
– offensichtlich erlebte man diesen Satz nicht als Ausdruck der Befreiung,<br />
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INFORMATION<br />
sondern eher als Auseinandersetzung mit den Kriegserlebnissen der Jahre zuvor. Und<br />
berühmt wurde die gegen Richard Wagner gerichtete Behauptung von Arnold Schmitz<br />
aus dem Jahre 1927, bei der 7. <strong>Sinfonie</strong> handle es sich nicht um eine Apotheose des<br />
Tanzes, sondern um eine des Marsches. Marsch und Chaos passt zwar nicht unmittelbar<br />
zusammen, aber auch für diese Dialektik waren Beethovens Zeitgenossen inzwischen<br />
sensibilisiert. Der Rezensent der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ schreibt zusammenfassend<br />
über seine Eindrücke: „So toll und tobend es auch darin hergeht, so verwirrt<br />
und zerstreut alles auf den ersten Anblick aussieht, so viele Ordnung herrscht doch in<br />
dem Ganzen, so eng sind die anscheinend heterogensten Ideen verbunden, mit so vieler<br />
Kunsterfahrung und das Gemeine verschmähender Genialität ist das einzelne aufgefaßt,<br />
durchgeführt und zusammengereiht.“<br />
Verehrte Konzertbesucher, ein weiteres Meisterwerk Beethovens steht bei unserem<br />
nächsten Konzert am 17. März auf dem Programm: Mitglieder der Familie Manz spielen<br />
an diesem Abend mit dem HSO das reizvolle Tripelkonzert für Violine, Violoncello,<br />
Klavier und <strong>Orchester</strong>. Sebastian Manz, ARD-Preisträger und Soloklarinettist des RSO<br />
Stuttgart, ist der Solist in Carl Maria von Webers Concertino und Werke von Witold<br />
Lutosławski, Georges Bizet und Max Bruch runden den Abend ab. Wir würden uns<br />
freuen, Sie auch bei diesem Konzert wieder begrüßen zu können!<br />
Impressum:<br />
Herausgeber:<br />
<strong>Heilbronner</strong> <strong>Sinfonie</strong> <strong>Orchester</strong> e.V.<br />
Ehrenvorsitzender:<br />
Hans A. Hey<br />
Vorstand:<br />
Harald Friese, 1. Vorsitzender<br />
Kurt Schaber, 2. Vorsitzender<br />
Geschäftsstelle:<br />
Anne Weidler<br />
Richard-Wagner-Straße 37<br />
74074 Heilbronn<br />
Telefon 07131-20 52 53<br />
Telefax 07131-57 91 57<br />
info@hn-sinfonie.de<br />
www.hn-sinfonie.de<br />
Redaktion:<br />
Harald Friese<br />
Hans A. Hey<br />
Anne Weidler<br />
Text:<br />
Claus Kühner<br />
Gestaltung, Layout und Satz:<br />
kuh vadis! Kommunikationsdesign<br />
Hagelsteinweg 5 . 74388 Talheim<br />
Tel. 07133-206 99 44 . Fax 206 99 46<br />
mail@kuh-vadis.com<br />
www.kuh-vadis.com<br />
Bildmaterial:<br />
Archiv<br />
Privat<br />
Druck:<br />
Druckerei Otto Welker GmbH<br />
Friedrichstr. 12 . 74172 Neckarsulm<br />
Tel. 07132-34 05-0 . Fax 34 05-21<br />
info@welker-druck.de<br />
www.welker-druck.de<br />
Einzelkartenverkauf:<br />
Tourist-Information Heilbronn<br />
Kaiserstraße 17<br />
74072 Heilbronn<br />
Telefon 07131-56 22 70<br />
<strong>Heilbronner</strong> Stimme Kundencenter<br />
Kaiserstraße 24<br />
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Konzertreihe 2012/2013<br />
FASZINATION<br />
RICHARD WAGNER<br />
21. Oktober 2012<br />
WELT DES KLAVIERS<br />
OPPITZ-ZYKLUS<br />
11. November 2012<br />
WEIHNACHTS-<br />
KONZERT<br />
„HARFENFESTIVAL“<br />
9. Dezember 2012<br />
IN SPHÄREN WECH-<br />
SELNDER GEFÜHLE<br />
3. Februar 2013<br />
EINE MUSIKALISCHE<br />
FAMILIE<br />
17. März 2013<br />
ORPHEUS<br />
BRITANNICUS<br />
21. April 2013<br />
Höhepunkte aus<br />
„Lohengrin“ und dem<br />
„Fliegenden Holländer“<br />
Claude Debussy<br />
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Maurice Ravel<br />
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Maurice Ravel<br />
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Harfenkonzerten, gespielt von<br />
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Witold Lutosławski<br />
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Carl Maria von Weber<br />
Georges Bizet<br />
Max Bruch<br />
Benjamin Britten<br />
Benjamin Britten<br />
Benjamin Britten<br />
Edward Elgar<br />
Hyuna Ko . SOPRAN<br />
Clemens Bieber . TENOR<br />
Vereinigte Klöttschen-Chöre<br />
Chorleitung: Esther Klöttschen-Rau<br />
Sarabande<br />
Danse<br />
Klavierkonzert für die linke Hand<br />
L‘isle joyeuse<br />
Klavierkonzert G-Dur<br />
Boléro<br />
Gerhard Oppitz . KLAVIER<br />
Johanna Kohl, Frauke Roland, Nora Sander,<br />
Sophia Marie Schmidt . HARFE<br />
Juanitamarsch<br />
Polonaise aus „Die Weihnacht“, Hummelflug<br />
und Tanz der Gaukler aus „Schneeflöckchen“<br />
Maurerische Trauermusik KV 477<br />
Violinkonzert Nr. 1 a-Moll op.77<br />
<strong>Sinfonie</strong> Nr. 7 A-Dur op. 92<br />
Hyeyoon Park . VIOLINE<br />
Kleine Suite<br />
Tripelkonzert C-Dur op. 56<br />
Concertino für Klarinette und <strong>Orchester</strong><br />
Jeux d‘enfants<br />
Konzert für zwei Klaviere und <strong>Orchester</strong> as-Moll<br />
Sebastian Manz . KLARINETTE<br />
Wolfgang Manz . KLAVIER<br />
Julia Goldstein . KLAVIER<br />
Larissa Manz . VIOLINE<br />
Dominik Manz . CELLO<br />
Soirées musicales über Themen von Rossini<br />
Klavierkonzert op. 13<br />
„The Young Person‘s Guide to the Orchestra“<br />
Pomp and Circumstance, Nr. 4 und Nr. 1<br />
Daniel Röhm . KLAVIER<br />
Sprecher: Ekkehard Pluta<br />
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