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Toleranz nach evangelischem Verständnis

Synodale Texte, Vorträge und geistliche Worte von Bischof Markus Dröge.

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6. Präzisierungen und Folgerungen<br />

e) Zusammenfassung<br />

Geleitet durch das biblische Zeugnis und in kritischer Aufnahme reformatorischer<br />

Einsichten und Entscheidungen, lassen sich Grundzüge einer <strong>Toleranz</strong> in<br />

evangelischer Perspektive festhalten:<br />

(1) Indem Menschen Gott als Schöpfer und bewahrende Kraft ihres Lebens ernst<br />

nehmen, erkennen sie, dass sie als Geschöpfe ihre Existenz der lebenserhaltenden<br />

<strong>Toleranz</strong> Gottes verdanken einschließlich der Möglichkeit, ihr Leben<br />

immer neu als aus den Verhaftungen ihrer Verfehlungen Befreite führen zu<br />

können (s. o. a). Das hat die Aufforderung zu zwischenmenschlicher <strong>Toleranz</strong><br />

als eigentlich selbstverständliche Folge: Wenn Gott uns Menschen toleriert,<br />

um wieviel mehr sind wir Menschen untereinander gehalten, uns zu tolerieren.<br />

Wie schwer jedoch das eigentlich Selbstverständliche sich im menschlichen<br />

Leben durchsetzen kann, dafür ist die verfehlte <strong>Toleranz</strong> reformatorischen<br />

Lehrens und Handelns ein warnendes Beispiel (s. o. b).<br />

(2) Indem Menschen Gott als Befreier und erleuchtende Kraft ihres Lebens ernst<br />

nehmen, erkennen sie, dass <strong>Toleranz</strong> in existenziellen Herausforderungen<br />

aus der Kraft der Glaubenshoffnung einseitig möglich wird, die in Christi<br />

Leben, Sterben und Auferstehen ihren Grund und ihr Vorbild findet als ein<br />

Aushalten, Standhalten und Harren auf Gott. Die Wahrheitsgewissheit des<br />

Glaubens schließt <strong>Toleranz</strong> ein, weil sie den Anderen als unverfügbares<br />

Gegenüber auch in seinem Glauben achtet. Erst solche Achtung macht auch<br />

eine faire Auseinandersetzung über Wahrheitsansprüche möglich. Auch solche<br />

Aus einandersetzung jedoch befördert <strong>Toleranz</strong>, indem sie in der Begegnung<br />

immer neu zu unterscheiden lehrt zwischen dem eigenen, partikularen<br />

Wahrheitszeugnis und der bezeugten, universalen Wahrheit.<br />

(3) Indem Menschen Gott als Erneuerer und verbindende Kraft ihres Lebens<br />

ernst nehmen, erkennen sie, dass gemeinsames Leben auf wechselseitige<br />

<strong>Toleranz</strong> angewiesen ist, die sich in Konflikten bewährt und den Anderen in<br />

seinem Anderssein dankbar als Bereicherung des eigenen Lebens wahrnehmen<br />

lässt.<br />

a) Risiko der <strong>Toleranz</strong><br />

Einsichten reformatorischer Theologie können zum besseren <strong>Verständnis</strong> religiöser<br />

<strong>Toleranz</strong> beitragen: Die Gewissheit des Glaubens, bei Gott durch Christus<br />

trotz Verfehlung der eigenen Bestimmung liebenswert und angenommen zu sein,<br />

diese Glaubensgewissheit ist eine angefochtene Glaubensgewissheit. Angefochtene<br />

Glaubensgewissheit kann gestärkt werden durch ein Glaubenswissen, das<br />

über die Anfechtung hinweghilft. Luther selbst illustrierte dies am Beispiel der<br />

Taufe: »Wenn die Taufe vom Glauben abhinge, so wäre ich heute getauft und<br />

morgen nicht.« 11 Daher war ihm das Wissen um Gottes Gemeinschaftszusage in<br />

der Taufe so wichtig. Dieses Glaubenswissen stärkt die Glaubensgewissheit, und<br />

die wiedergewonnene Gewissheit ihrerseits kann neue Impulse für das Glaubenswissen<br />

geben.<br />

Im Andersgläubigen begegnet nun dem Glaubenden eine Glaubensgewissheit,<br />

die sich auf Glaubenswissen beruft, das mit dem eigenen Glaubenswissen nie<br />

gänzlich vereinbar ist. 12 Da die Glaubensgewissheit selbst immer wieder auch Anfechtung<br />

erfährt und Glaubenswissen auf Glaubensgewissheit einwirkt, so kann<br />

es geschehen, dass toleriertes Glaubenswissen die eigene Glaubensgewissheit<br />

in Frage stellt. Darin besteht das Risiko, das aktive <strong>Toleranz</strong> mit sich bringt, und<br />

zwar heute verstärkt, durch eine immer größere informative, kommunikative<br />

und räumliche Dichte, in der unterschiedliche Glaubensgemeinschaften nebeneinander<br />

existieren. <strong>Toleranz</strong> erfordert den Mut, dieses Risiko anzunehmen.<br />

b) Wechselseitige und einseitige <strong>Toleranz</strong><br />

(Phänomenologie der <strong>Toleranz</strong>)<br />

Im gesellschaftlichen Diskurs geht man gern davon aus, dass der Sinn von <strong>Toleranz</strong><br />

in der Förderung des Gemeinwohls liegt (pragmatische <strong>Toleranz</strong>). Zur <strong>Toleranz</strong><br />

wird ermahnt, um Wohlfahrt oder Frieden zu gewinnen oder zu erhalten,<br />

auch um antidemokratischen Strömungen erfolgreicher begegnen zu können.<br />

Dies alles setzt jedoch einen gewissen Grundkonsens zwischen den betreffenden<br />

Gruppen voraus. Es setzt voraus, sich jeweils mit dem Anderen als Teil einer<br />

Gemeinschaft oder eines gemeinsamen Projektes zu verstehen und dies dem<br />

Anderen auch kommunizieren zu können. Wo dies geschieht, kann wechselseitige<br />

<strong>Toleranz</strong> wachsen, so wie sie innerhalb christlicher Gemeinschaft wachsen<br />

24 FRÜHJAHRSSYNODE 2013<br />

SYNODALE TEXTE<br />

25

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