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Toleranz nach evangelischem Verständnis

Synodale Texte, Vorträge und geistliche Worte von Bischof Markus Dröge.

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Die Wittenberger Reformatoren haben Gottes <strong>Toleranz</strong> im Lichte der Rechtfertigung<br />

des Sünders allein aus Gnade gedeutet. Die Rechtfertigungslehre führt zur<br />

Unterscheidung von Person und Werk, eine Unterscheidung, die die Freiheit gibt,<br />

sich selbst und den Nächsten zu ertragen. Zugleich bezeugten die Reformatoren<br />

die befreiende Kraft des Glaubens. Glaube aber, so wissen wir seit Baruch<br />

de Spinoza und John Locke, lässt sich nicht durch Gewalt und Unterdrückung<br />

erzwingen. Sola fide, sola gratia werden so gesehen zu starken Grundmotiven<br />

eines protestantisch imprägnierten <strong>Toleranz</strong>verständnisses. Das wussten eigentlich<br />

auch schon die Zeitgenossen der Reformation, indem sie bekannten, die<br />

geistliche Leitung der Kirche erfolge alleine durch das Wort, ohne Zwang (sine vi<br />

sed verbo). Doch diese Grundeinsicht aus der Confessio Augustana war in der<br />

Reformationsgeschichte nicht immer handlungsleitend.<br />

VIII.<br />

Der Begriff <strong>Toleranz</strong> lässt sich zurückführen auf das lateinische Wort tolerare, zu<br />

übersetzen mit erdulden, aushalten, ertragen. Damit wird ein semantisches Feld<br />

eröffnet, das dem Christentum wohlvertraut ist. Das Grundlagenpapier spricht<br />

von erleiden, standhalten, hoffnungsvoll harren als christlichen Tugenden in der<br />

Nachfolge Jesu. Leid zu ertragen und sich in der Hoffnung auf das kommende<br />

Reich Gottes doch nicht mit ihm abzufinden, gehört zu den zentralen Motiven<br />

des Christentums. <strong>Toleranz</strong>, tolerare, ist so gesehen eine urchristliche Haltung.<br />

Freilich liegt der Einwand nahe, dass gerade die christliche Heilshoffnung, gewendet<br />

als Glaubenswahrheit, doch eine fortlaufende Quelle der Intoleranz<br />

bildet. Wird im »solus Christus« nicht der exklusive Anspruch des Christentums<br />

in seiner evangelischen Spielart deutlich?<br />

Damit ist das schwierige Verhältnis von Wahrheitsanspruch und <strong>Toleranz</strong> angesprochen.<br />

Auf den Einwand, gerade die monotheistischen Religionen seien tendenziell<br />

intolerant, antwortet das Grundlagenpapier auf zweierlei Weise. Zum einen<br />

erinnert es daran, dass das Liebesgebot integraler Teil der Glaubenswahrheit<br />

ist. Modus des Glaubens und Gehalt des Glaubens bedingen sich. Wer den<br />

Nächsten liebt, kann nicht intolerant ihm gegenüber sein. Zum anderen gehört<br />

zum christlichen Traditionsbestand die Einsicht in die Fehlbarkeit und Bedingtheit<br />

menschlicher Erkenntnis. Gottes Wahrheit ist größer als unser Vermögen,<br />

sie zu fassen, zu begreifen, zu versprachlichen. Gott zeigt sich uns in Jesus<br />

Christus und bleibt doch ein »Geheimnis in der Welt«. 16 Benedikt XVI. hat mit seiner<br />

Regensburger Rede 2006 nolens volens eine intensive Diskussion über das<br />

Verhältnis von Glaube und Vernunft ausgelöst. 17 Der Papst emeritus hängt bekanntlich<br />

einem platonischen Vernunftideal an. Aus protestantischer Perspektive<br />

ist ihm entgegenzuhalten, dass auch ein moderner, durch die Aufklärung geprägter<br />

Vernunftbegriff mit dem Glauben in ein sinnvolles Verhältnis gesetzt<br />

werden kann und muss. 18 Die individuelle Aneignung des Glaubens ist immer<br />

auch ein Bildungsprozess, ein reflexiver Prozess der Klärung des Selbst-, Weltund<br />

Gottesverhältnisses. Zugleich aber bildet der Glauben vernünftigerweise einen<br />

Anlass zur Reflexion der Grenzen der Vernunft. Dieses eigentümliche Verhältnis<br />

von Glaubenswahrheit und Vernunftwahrheit nötigt den evangelischen<br />

Christenmenschen zu epistemischer Bescheidenheit. Das hat Konsequenzen für<br />

den Umgang mit denjenigen, die sich auf die gleiche universelle, durch Leben,<br />

Tod und Auferstehung Jesu Christi bezeugte Wahrheit berufen.<br />

Dabei zeigt das Grundlagenpapier aber auch auf, dass <strong>Toleranz</strong> gerade nicht Relativismus<br />

bedeutet. Die Positionalität des Glaubens und die Duldsamkeit mit<br />

den Mitmenschen sind aus evangelischer Perspektive kein Widerspruch, sondern<br />

bedingen sich wechselseitig. <strong>Toleranz</strong> meint in evangelischer Perspektive<br />

nicht, die Unterschiede zwischen den Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen<br />

zu ignorieren oder verleugnen. Doch sie prägt den Umgang mit der<br />

Differenz.<br />

64 FRÜHJAHRSSYNODE 2013<br />

VORTRÄGE<br />

65

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