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Toleranz nach evangelischem Verständnis

Synodale Texte, Vorträge und geistliche Worte von Bischof Markus Dröge.

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XII.<br />

Ich komme zum Schluss. In modernen Gesellschaften gehört der Umgang mit<br />

Fremdheit zur Grunderfahrung. Selbst im Vertrautwerden bleibt Fremdheit. Daraus<br />

resultieren beständige <strong>Toleranz</strong>anforderungen, die unseren Alltag prägen.<br />

Einige Beispiele aus eigenem Erleben: Die hierarchische Leitungskultur in der katholischen<br />

Kita meines Sohnes befremdet mich anhaltend – und doch schrecke<br />

ich aus Respekt vor dem Profil der Einrichtung davor zurück, eine Reformation<br />

en miniature anzuzetteln. Die Auseinandersetzung mit Vertretern des kämpferischen<br />

Laizismus, die meine Profession so mit sich bringt, erlebe ich als überaus<br />

mühsam – und doch versuche ich mich immer wieder in deren Beweggründe hineinzuversetzen<br />

und das Gespräch nicht abreißen zu lassen. Wiewohl ich als<br />

Christ selbst keine orthodoxe Frömmigkeitspraxis an den Tag lege, engagiere ich<br />

mich sehr bewusst für das (orthodoxe) Rabbinerseminar zu Berlin und damit für<br />

eine Einrichtung, in der angehende Rabbiner Positionen lernen, die eigenen<br />

Überzeugungen, z. B. zur Notwendigkeit einer historisch informierten Hermeneutik<br />

heiliger Texte, widersprechen.<br />

Das vorliegende Grundlagenpapier will dazu anregen, sich im Horizont des eigenen<br />

Glaubens mit solchen Fremdheitserfahrungen auseinanderzusetzen. Es schafft<br />

Vergewisserung und Orientierung, etwa in den gerade geschilderten Situationen.<br />

Auch die Ausführungen im Grundlagenpapier zur christlichen Gemeinschaftsgestaltung<br />

– »es gilt, einander in Liebe zu ertragen« – wecken bei mir lebhafte<br />

Erinnerungen. Der bleibend Andere, das ist auch der und die in der Kirchenbank<br />

neben mir. <strong>Toleranz</strong> untereinander in der Kirche – das wäre noch einmal einen<br />

eigenen Vortrag wert. Das Themenspektrum reichte vom kirchlichen Arbeitsrecht<br />

bis zur kirchlichen Gremienkultur.<br />

Die Runde, die an dem heute einzubringenden Text mitgearbeitet hat, wäre hingegen<br />

kein geeigneter Gegenstand zur Beschreibung von innerkirchlichen <strong>Toleranz</strong>defiziten.<br />

Für die beglückende praktische Erfahrung »konviventer <strong>Toleranz</strong>«<br />

zeichnen Pröpstin Friederike von Kirchbach und Herr Dr. Zemmrich aus dem Konsistorium<br />

maßgeblich verantwortlich. In der Vorbereitung des Grundlagenpapiers<br />

»Leben mit dem bleibend Anderen – <strong>Toleranz</strong> in evangelischer Perspektive«<br />

stimmten Inhalt und Form trefflich zusammen. Gleiches wünsche ich Ihnen,<br />

hohe Synode, für Ihre nun anstehenden Beratungen zum <strong>Toleranz</strong>thema. Ich<br />

danke für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

1 Heinz Schilling, Luther, 2012, S. 627.<br />

2 Diarmaid MacCulloch, Die Reformation: 1490-1700, 2008.<br />

3 Ralf Meister, Im Geiste der <strong>Toleranz</strong>, in: epd-Dokumentation 7/2013, S. 10.<br />

4 Kirchenamt der EKD, Schatten der Reformation. Der lange Weg zur <strong>Toleranz</strong>, 2012, S. 45.<br />

5 Ausnahme von dieser Regel bei Michael Weinrich, Reformation und <strong>Toleranz</strong>,<br />

in: epd-Dokumentation 7/2013, S. 16 (21).<br />

6 Hugo von Hofmannsthal, Erzählungen, Erfundene Gespräche und Briefe, Reisen, 1979, S. 465.<br />

7 Jürgen Habermas, Treffen Hegels Einwände gegen Kant auf die Diskursethik zu?, in: ders.,<br />

Erläuterungen zur Diskursethik, 1991, S. 25.<br />

8 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in:<br />

ders., Recht, Staat, Freiheit, 1991, S. 92 (112).<br />

9 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der säkularisierte Staat, 2006.<br />

10 Jürgen Habermas, Vorpolitische Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates?, in: ders.,<br />

Zwischen Naturalismus und Religion, 2005, S. 111.<br />

11 Jürgen Habermas, Glauben und Wissen, 2001, S. 14.<br />

12 Jürgen Habermas, Religiöse <strong>Toleranz</strong> als Schrittmacher kultureller Rechte, in: ders.,<br />

Zwischen Naturalismus und Religion, 2005, S. 258 (268 f.).<br />

13 Etwa Rainer Forst, <strong>Toleranz</strong> im Konflikt, 2003; ders., <strong>Toleranz</strong>, Gerechtigkeit und Vernunft, in:<br />

ders. (Hg.), <strong>Toleranz</strong>, 2000, S. 119 ff.; ders., Der Begriff der <strong>Toleranz</strong>, in: Notger Slenczka<br />

(Hg.), Beiheft 2009/2010 zur BThZ, 2010, S. 63 ff.<br />

14 Honoré-Gabriel Marquis de Mirabeau vom 22. August 1789 in der Nationalversammlung;<br />

Moniteur Nr. 45 vom 21.– 23. August, S. 185 (186).<br />

15 Rainer Forst, Art. <strong>Toleranz</strong>, in: Handbuch der politischen Philosophie und Sozialphilosophie,<br />

2008, S. 1343 (1344).<br />

16 Eberhard Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, 1977.<br />

17 Benedikt XVI., Glaube und Vernunft, 2006.<br />

18 Wolfgang Huber, Im Geist der Freiheit, 2007, S. 73 ff.<br />

19 Bernard Williams, <strong>Toleranz</strong> – eine politische oder moralische Frage?, in: Rainer Forst (Hg.),<br />

<strong>Toleranz</strong>, 2000, S. 103 ff.<br />

20 Thomas Mann, Der Zauberberg. Große kommentierte Frankfurter Ausgabe Bd. 5.1., 2002,<br />

S. 778.<br />

21 Karl Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 1, S. 333: »Wenn wir nicht bereit<br />

sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen,<br />

dann werden die Toleranten vernichtet und die <strong>Toleranz</strong> mit ihnen.«<br />

70 FRÜHJAHRSSYNODE 2013<br />

VORTRÄGE<br />

71

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