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Toleranz nach evangelischem Verständnis

Synodale Texte, Vorträge und geistliche Worte von Bischof Markus Dröge.

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Das gilt erst recht aus theologischer Perspektive. Die christliche Theologie fragt<br />

<strong>nach</strong> Gehalt und Verhältnis von Menschenbild und Gottesbild. Sie evoziert dabei<br />

fast zwangsläufig starke moralische Vorstellungen. Doch die dabei formulierten<br />

Erwartungen und Forderungen an jeden Einzelnen können auch zur Last werden.<br />

Je anspruchsvoller die <strong>Toleranz</strong>konzeption, desto eher fühlt sich der Mensch damit<br />

überfordert. Zwei Relativierungen könnten da helfen: Zum einen ist immer<br />

wieder an die grundlegende Einsicht zu erinnern, dass nicht die tugendhafte Lebensführung<br />

zur Gnade Gottes führt, sondern der Glaube zum guten Werk befreit.<br />

Das entlastende Moment der Rechtfertigungslehre gilt auch für eine evangelische<br />

<strong>Toleranz</strong>praxis. Zum anderen rechnet der Protestantismus auch im<br />

institutionellen Denken mit der menschlichen Unzulänglichkeit. Beispielhaft<br />

steht dafür die Lehre von den zwei Regimenten. Die politische Verfasstheit einer<br />

Gesellschaft, ihre Rechtsordnung und die Instrumente ihrer Durchsetzung gewinnen<br />

aus der Reflexion der Weltlichkeit der Welt einen eigenen theologischen<br />

Wert. Im Lichte solcher Differenzierungsfiguren in der evangelischen Ethik lassen<br />

sich dann auch noch einmal unterschiedliche <strong>Toleranz</strong>konzepte einordnen.<br />

Die Nobilitierung einer konviventen <strong>Toleranz</strong> (wie im Grundlagenpapier) führt<br />

nicht dazu, <strong>Toleranz</strong>formen, die mit weniger Empathie verbunden sind, abzuwerten<br />

oder gering zu schätzen. Sie können in der politischen Praxis eine auch theologisch<br />

zu würdigende Funktion erfüllen, wenn sie zum friedlichen Miteinander<br />

und manchmal auch nur Nebeneinander beitragen.<br />

XI.<br />

Wer von <strong>Toleranz</strong> spricht, muss auch auf ihre Grenzen zu sprechen kommen. Zuweilen<br />

liest man: Die Grenze der <strong>Toleranz</strong> ist die Intoleranz. Das ist nicht falsch,<br />

aber doch unscharf, sofern damit gemeint ist: Meine <strong>Toleranz</strong> findet ihre Grenze<br />

in Deiner Intoleranz. Denn dann erinnert sie an den Kantischen Rechtsbegriff<br />

(Recht als Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des Einen mit der<br />

Willkür des Anderen <strong>nach</strong> einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen<br />

vereinigt werden kann). Freiheitsrechte beruhen auf der Idee der Gegenseitigkeit.<br />

Die eigene Freiheit findet in der Freiheit des Anderen ihre Grenze. Doch <strong>Toleranz</strong><br />

bildet sich nicht einfach in den Freiheitsrechten ab. Die Grundrechte schützen<br />

selbst Intoleranz in den Grenzen des geltenden Rechts. Umgekehrt kann die Duldsamkeit<br />

mit dem Nächsten sehr viel weitergehen, als das Recht verlangt.<br />

Zugleich ist Recht eine knappe soziale Ressource. Der Staat kann das friedliche<br />

Zusammenleben zwischen den Menschen nicht alleine garantieren. Er ist immer<br />

auch auf vor- und außerrechtliche Instrumente des Konfliktmanagements angewiesen.<br />

Eine weitverbreitete Haltung der <strong>Toleranz</strong> ist probate Konfliktprävention.<br />

Deshalb ist <strong>Toleranz</strong> ein wesentliches schulisches Bildungsziel.<br />

Die Grenzen der <strong>Toleranz</strong> sind also andere als die Grenzen der Freiheit und sie<br />

sind anders zu bestimmen. In Thomas Manns Roman »Der Zauberberg« doziert<br />

der aufgeklärte Humanist Settembrini gegenüber Hans Castorp: »Dem Problem<br />

der <strong>Toleranz</strong> dürften Sie kaum gewachsen sein, Ingenieur. Prägen Sie sich immerhin<br />

ein, daß <strong>Toleranz</strong> zum Verbrechen wird, wenn sie dem Bösen gilt.« 20 <strong>Toleranz</strong><br />

wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt. Der Satz entspricht wohl<br />

unser aller Intuition. Wer wollte widersprechen? Doch was ist das Böse für<br />

Settembrini? Die Metaphysik. So plädiert er dafür, Gott aus dem Denken zu streichen,<br />

und Luther erklärt er en passent zum »Asiaten«. <strong>Toleranz</strong> wird zum Verbrechen,<br />

wenn sie dem Bösen gilt? Der Satz verdient wohl unsere Zustimmung.<br />

Doch zugleich ist <strong>Toleranz</strong> gerade da gefordert, wo wir darüber streiten, was das<br />

Böse ist. Das Böse ist im Alltag nicht immer (vielleicht gar selten) evident. Wie<br />

sind dann aber die Grenzen der <strong>Toleranz</strong> zu fassen? Das Grundlagenpapier formuliert<br />

mit Bedacht und präzise: »Intoleranz ist eine Brutstätte von Unfrieden<br />

und Gewalt. … <strong>Toleranz</strong> kann es gegenüber menschenfeindlichen Ideologien nicht<br />

geben.« Eine tolerante Gesellschaftsordnung muss sich also gegen »Angriffe der<br />

Intoleranz« 21 verteidigen. Aber die Instrumente dafür sind vielgestaltig. Die vielbemühte<br />

Formel »keine <strong>Toleranz</strong> für Intoleranz« ist zu plakativ, um den moralischen<br />

Ansprüchen einer toleranten Gesellschaft hinreichend gerecht zu werden.<br />

Davon zeugen die Überlegungen zur einseitigen <strong>Toleranz</strong> im Grundlagenpapier.<br />

68 FRÜHJAHRSSYNODE 2013<br />

VORTRÄGE<br />

69

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