Band II/ 2013 (7mb) - critica – zeitschrift für philosophie & kunsttheorie
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CRITICA-ZPK<br />
<strong>II</strong>/ <strong>2013</strong><br />
Körper-Konstruktionen. Deleuze, Derrida und Nancy<br />
haben in ihren Schriften und Reden diese Ansicht wirkungsvoll<br />
vertreten. 4<br />
Diese Anordnung von Autoren ist notwendigerweise<br />
vereinfachend: Keiner der genannten Autoren erkennt<br />
nicht auch die implizite Berechtigung der jeweils anderen<br />
Positionen an. Teilweise ist dies ein unvermeidliches<br />
Resultat ihrer philosophischen Position. Mit der Anordnung<br />
sollte vielmehr die schwerpunktmäßige Ausrichtung<br />
der Fragen und Perspektiven der jeweiligen Autoren<br />
gekennzeichnet werden. Die Kategorisierung aporietheoretischer<br />
Untersuchungen der Gegenwarts<strong>philosophie</strong><br />
klammert darüber hinaus Standpunkte aus, die die<br />
Frage nach instrumentellen Kalkülen zur (Auf-)Lösung<br />
aporetischer Situationen in den Vordergrund rücken<br />
(unter anderem Cilliers und Rescher). 5<br />
Trifft meine Charakterisierung der zeitgenössischen<br />
Philosophie zu, so zeigen die verschiedenen Thematisierungen<br />
von Grenzproblematiken Folgendes: Der Fokus<br />
auf die aporetische Struktur von Grenzen trennt Körper<br />
in gleichem Maße, wie diese Grenzen Körper verbinden.<br />
Diese Einsicht ist keineswegs originell. Die gleichzeitige<br />
Bindung des Getrennten macht aus der Grenze jedoch<br />
eine Schwelle: Die Seiten der Grenze, die Grenze(n) der<br />
Seiten, verräumlichen (sich). Sie gewinnen eine Dynamik,<br />
die sie selbst überschreitet: Die Unterscheidung<br />
von „Räumen“ und „Körpern“ implodiert im Bindestrich,<br />
der sie markiert. Verräumlichungen rücken eine<br />
Frage in den Mittelpunkt aporetischer Untersuchungen,<br />
die in der zeitgenössischen philosophischen Diskussion<br />
unterrepräsentiert ist: die Frage nach der Vermessung<br />
dieser Verräumlichung.<br />
Ist die Grenze nicht nur als End- und Ausgangspunkt<br />
des Begrenzten thematisierbar – als Form der Raum-<br />
Körper-Konstruktion –, so gewinnt die Dynamik der<br />
Grenze – als Schwelle – einen eigenen Charakter. Statt<br />
dem Endprodukt, der Konstellation von Körpern in/ zu<br />
Räumen, rückt ein Prozess in den Vordergrund: Ist die<br />
Dynamik der Schwelle allein mit Bezug auf ihre durch<br />
sie verbundenen/ getrennten Fluchtpunkte hinreichend<br />
charakterisiert? Falls nicht: Wie lässt sich die Dynamik<br />
der Schwelle und somit die Dynamik der Bindestriche in<br />
4 So auch für Deleuze 2007; Derrida 1998 und Nancy 2004.<br />
5 Reschers Intention zielt darauf ab, auf der Suche nach<br />
Konsistenz das „schwächste Glied“ in aporetischen Konstellationen<br />
auszuklammern, während Cilliers die Philosophie zunächst einmal<br />
mittels systemtheoretischer Theoriesprache für die Frage der<br />
„Komplexitätsreduktion“ empfänglich machen möchte (vgl. Cilliers<br />
2007 und Rescher 2009).<br />
Raum-Körper-Konstruktionen darstellen?<br />
Topologisch kann – vorausgesetzt, die erste der beiden<br />
obigen Fragen wird nicht bejaht – der Begriff der<br />
Schwelle weder auf der Seite des absoluten Raums<br />
noch der Seite des relationalen Raums verortet werden.<br />
“Schwelle” denkt Grenzräume weder als primäre Größe,<br />
der durch seine Kreuzung, Bevölkerung oder Verfestigung<br />
unberührt bleibt. Sie denkt Grenzräume dennoch<br />
nicht relational als abstrahierenden Grenzwert von<br />
Grenzkörpern. Mit dem Begriff der “Schwelle” interessiere<br />
ich mich für den prozessualen Akt von Grenzräumen,<br />
der deren unleugbaren relationalen Charakter mit<br />
dem ebenso wenig leugbaren Mehrwert jeder Grenzziehung<br />
vor den begrenzten Körpern miteinander verbindet.<br />
Vermessung der Schwelle meint nicht mehr und nicht weniger<br />
als die Frage nach der Darstellbarkeit dieses prozessualen<br />
Geschehens, ohne einen bestimmten Raumbegriff<br />
postulieren zu müssen. Das Problem der Darstellbarkeit<br />
verweist auf den kritischen Punkt der Kontrollierbarkeit<br />
dieses Geschehens. Mit anderen, bewusst<br />
mehrdeutigen Worten: Was macht der Bindestrich einer<br />
Raum-Körper-Konstruktion? Es geht nun darum anzudeuten,<br />
was in Kauf genommen werden muss, wenn<br />
diese Frage beantwortet werden soll. Ich denke, Andrea<br />
Frasers Performances „May I help you?“ und „Projection<br />
2008“ zeigen diese Konsequenzen in aller Deutlichkeit<br />
auf.<br />
Andrea Frasers Performances werden gerne institutionenkritisch<br />
rezipiert. Diese Rezeption ist weder falsch<br />
noch richtig. Sie ist eine naheliegende Form, Frasers<br />
Darstellungen von Kunst-Räumen – der Institution des<br />
Museums, der Vermittlung von Kunstwerken in einer<br />
Galerie, der Position des Künstlers zwischen Institutionen<br />
und Akten der Vermittlung – anschlussfähig darzustellen.<br />
In dieser Form der Darstellung wird meiner<br />
Ansicht nach jedoch vorausgesetzt, dass Frasers Performances<br />
Antworten geben, statt sich mit Problembeschreibungen<br />
zu begnügen.<br />
Die Zusammenhänge, auf die es mir im Folgenden ankommt,<br />
können, müssen jedoch nicht institutionenkritisch<br />
dargestellt werden. Sie fragen nach der Kontrollierbarkeit<br />
und damit der Entledigung von Kontrolle der Raum-Körper-Konstruktionen<br />
innerhalb der zeitgenössischen Kunstwelt.<br />
Frasers Körper nehmen verschiedene Gestalten an: mal<br />
ist es der Körper des Künstlers, mal derjenige des Kunstwerks.<br />
Ebenso vielschichtig zeigen sich die Räume, in<br />
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