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Band II/ 2013 (7mb) - critica – zeitschrift für philosophie & kunsttheorie

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CRITICA-ZPK<br />

<strong>II</strong>/ <strong>2013</strong><br />

der Mensch ist, der souverän herrscht, sondern etwas,<br />

das explizit nicht der Mensch ist, und souverän ohne ihn<br />

existiert – die Leere.<br />

<strong>II</strong>I.<br />

„Ein Gesicht im Sand“. Der Raum ohne den Menschen.<br />

Der Räumlichkeit der Sprache in der Literatur liegt eine<br />

hervortretende Räumlichkeit des Denkens in der Moderne<br />

zugrunde. Während sich die Ordnung der Klassik<br />

im steten Bezug auf die Zeitlichkeit eingrenzte und sich<br />

rückversicherte, „auf jene Eigenschaft der reinen repräsentativen<br />

Abfolge bezog, sich ausgehend von sich selbst zu erinnern,<br />

sich zu reduplizieren und eine Gleichzeitigkeit ausgehend von<br />

einer kontinuierlichen Zeit zu bilden“ 71 , man also auf archäologischer<br />

Ebene konstatieren kann: „die Zeit begründete<br />

den Raum“ 72 , verhält es sich in der Ordnung der Moderne<br />

hingegen umgekehrt, eine Räumlichkeit des Denkens<br />

tritt hervor, welche auch den Charakter der Räumlichkeit<br />

der Sprache betrifft: „diese tiefe Räumlichkeit gestattet<br />

dem modernen Denken, stets die Zeit zu denken und sie als Abfolge<br />

zu erkennen, sie sich als Abschluss, Ursprung oder Wiederkehr<br />

zu verheißen“ 73 . Doch der leere Raum der Sprache bietet<br />

alle diese Dinge nicht an. Es erscheinen in ihm keine<br />

Sequenzen der Zeit, in deren Kette sich Identitäten und<br />

Differenzen von Zeichen und Dingen wiederholen oder<br />

ändern, „sich in einem zusammenhängenden Tableau fester<br />

Unterschiede und begrenzter Identitäten verteilen“ 74 , und im<br />

Raum ausschwärmen und diesen abschließend füllen,<br />

und auch die Verheißung einer Zukunft des Menschen,<br />

die ihm gleichsam das dunkle Rätsel seines Ursprungs<br />

entbärge, „die Linie seines Horizonts, das Licht, von dem es her<br />

gekommen ist und von dem her es in reichem Maße kommt“ 75 ,<br />

bleibt unerfüllt. Der Raum der Literatur ist leer. Nur eines<br />

ereignet sich im Raum der Literatur: das unerwartete<br />

und beunruhigende „Wiedererscheinen des lebendigen<br />

Seins der Sprache“ 76 . Deren Wiedererscheinen verheißt<br />

weder den Schlussakt eines historisch-dialektischen<br />

Prozesses, noch leuchtet in ihr die sich anbahnende<br />

Rückkehr zum verborgenen Ursprung auf. Der Charakter<br />

ihrer Verheißung ist nicht zeitlich, sondern räumlich.<br />

Das Wiedererscheinen des lebendigen Seins der Sprache<br />

71 Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der<br />

Humanwissenschaften. , 1. Aufl. , 21. Nachdr. , Frankfurt am Main<br />

2009, Suhrkamp, S. 409f.<br />

72 ebd. , S. 410.<br />

73 ebd.<br />

74 ebd. , S. 408.<br />

75 ebd. , S. 401.<br />

76 ebd. , S. 76.<br />

in der Literatur verkündet einen anderen Raum – den<br />

Raum ohne den Menschen.<br />

Die Zentrierung des Wissens um das neue Zentrum des<br />

Menschen hatte sich erst im modernen Wissen ereignet.<br />

Die Wissensordnungen der Renaissance und der Klassik,<br />

in den ihnen eigenen Konstellationen, „haben dem<br />

Menschen in der Ordnung der Welt wohl einen privilegierten<br />

Platz geben könne, sie haben jedoch den Menschen nicht denken<br />

können“ 77 . Das fragile Dasein des jungen Menschen – seine<br />

„junge Erfindung“ 78 – begleitet seit seiner Geburt mit der<br />

Entstehung der modernen Wissensordnung unaufhörlich<br />

all jenes, was sich ihm an den Grenzen des Denkens<br />

gleichsam entzieht, jene „immense, schattige Schicht“ 79 ,<br />

die sich unterhalb seiner frischen Entstehung ausbreitet<br />

und zwar durch das Ungedachte, das ihm zugehörige<br />

Un-Gewusste und Un-Bewusste, „ein Stück Nacht, eine<br />

offensichtlich untätige Mächtigkeit, in die es verwickelt ist, ein<br />

Ungedachtes, das voll im Denken enthalten, in dem das Denken<br />

ebenso gefangen ist“ 80 . Zu dieser Schicht des Ungedachten<br />

gehört einerseits das sich stets entziehende Ursprüngliche.<br />

Das Ursprüngliche konfrontiert den Menschen mit<br />

seiner eigenen Historizität, und damit auch mit seinem<br />

jungen Alter, es deutet auf die unentrinnbare Peripherie<br />

der eigenen Abstammung, „es zeigt unaufhörlich und in einer<br />

stets erneuerten Wucherung an, dass die Dinge lange vor ihm<br />

begonnen haben und dass aus diesem selben Grunde keiner ihm,<br />

dessen Erfahrung völlig durch diese Dinge gebildet und begrenzt<br />

wird, einen Ursprung bestimmen könnte“ 81 . Dieser Ursprung<br />

bleibt ihm in jeder neuen Exegese weiterhin verhüllt<br />

und ungewusst, „weil er auf einen Kalender zurückgeht, in<br />

dem der Mensch noch nicht vorkommt“ 82 . Er bleibt für den<br />

Menschen undenkbar, weil es ein Ort ist, an dem er nicht<br />

selbst vorhanden ist, und demnach nicht die Ordnung<br />

um sein Zentrum erzeugen oder auch nur imaginieren<br />

kann.<br />

Andererseits verliert das moderne Wissen in der Zentrierung<br />

um den Menschen die elementare Gewissheit<br />

der Klassik, in der das Denken die Existenz sichert, „die<br />

Frage lautet nicht mehr, wie die Erfahrung der Natur notwendigen<br />

Urteilen Raum gibt, sondern wie es kommt, dass der Mensch<br />

denkt, was er nicht denkt“ 83 , das cartesianische Ich steht in<br />

Frage. „Das ganze moderne Denken ist von dem Gesetz durch-<br />

77 ebd. , S. 384.<br />

78 ebd. , S. 462.<br />

79 ebd. , S. 264.<br />

80 ebd. , S. 393.<br />

81 ebd. , S. 399f.<br />

82 ebd. , S. 400.<br />

83 ebd. , S. 390.<br />

23

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