15.01.2014 Aufrufe

Band II/ 2013 (7mb) - critica – zeitschrift für philosophie & kunsttheorie

Band II/ 2013 (7mb) - critica – zeitschrift für philosophie & kunsttheorie

Band II/ 2013 (7mb) - critica – zeitschrift für philosophie & kunsttheorie

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

CRITICA-ZPK<br />

<strong>II</strong>/ <strong>2013</strong><br />

Sprache als Literatur. Es ist nicht der Mensch, der den<br />

Text der Literatur schöpft und formt, sondern das Gemurmel<br />

der Stimmen des leeren Raumes – diese repräsentieren<br />

nichts und bedeuten nichts, sondern sprechen<br />

in einem endlosen Verlauf intransitiver Verschränkung<br />

nur von sich selbst. In der Literatur spricht nur die Sprache<br />

– und nicht der Mensch, das Subjekt oder der Autor.<br />

Der leere Raum ist kein Raum der Transparenz. Er ist<br />

ein hermetischer und opaker Raum. Die Literatur unterläuft<br />

sowohl den Modus der Repräsentation als auch die<br />

Exegese der Bedeutung, wie sie für das moderne Wissen<br />

konstitutiv ist, sie bedeutet und repräsentiert nur sich<br />

selbst, „sie braucht also nur noch in einer ständigen Wiederkehr<br />

sich auf sich selbst zurückzukrümmen, so als könnte ihr Diskurs<br />

nur zum Inhalt haben, ihre eigene Form auszusagen“ 91 , und bildet<br />

so einen Raum, in dem der Mensch als erkennendes<br />

und sprechendes Subjekt nicht vorkommt. Beim Übertreten<br />

der Schwelle des leeren Raumes wird ‚der Mensch‘<br />

zu einem Zeichen unter Zeichen und so unweigerlich<br />

auf sich zurückgeworfen, sieht sich hier der finalen Realität<br />

der eigenen epistemischen Konfiguration gegenüber<br />

gestellt – die schöpferische Subjektivität des Menschen,<br />

diskursiv etabliert als der Ursprung der Literatur,<br />

endet an diesem Ort, wo der Mensch sich als abstrakte,<br />

entkörperlichte, wesenlose Figur gespiegelt sieht, als ein<br />

Zeichen, als eine hergestellte Maske, und wo jede schöpfende<br />

Subjektivität hineingreifen muss in die Leere des<br />

Raumes, in der keine ‚Dinge‘ sind, sondern nur Zeichen<br />

und somit „nichts ist“, und nur der Tod bleibt. In ihrem<br />

intransitiven Charakter richtet sie, die Literatur, „sich<br />

an sich selbst als schreibende Subjektivität, oder sie sucht in der<br />

Bewegung, in der sie entsteht, das Wesen jeder Literatur zu erfassen,<br />

und so konvergieren all ihre Fäden zu der feinsten – besonderen,<br />

augenblicklichen, und dennoch absolut universalen – Spitze,<br />

zum einfachen Akt des Schreibens“ 92 , bis lediglich die radikale<br />

Materialität der Lettern, „die schweigsame, vorsichtige<br />

Niederlegung eines Wortes auf das Weiße eines Papiers“ 93 , aufwärts<br />

des Gemurmels zurückbleibt, den Text der Literatur<br />

formiert, und die ausführende Hand lautlos und<br />

sprachlos im leeren Raum verschwindet, „wo es weder<br />

Laut noch Sprecher geben kann, wo sie nichts anderes mehr zu<br />

sagen hat als sich selbst, nichts anderes zu tun hat, als im Glanz<br />

ihres Seins zu glitzern“ 94 . Die Literatur also neigt sich dem<br />

91 ebd. , S. 366.<br />

92 Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der<br />

Humanwissenschaften. , 1. Aufl. , 21. Nachdr. , Frankfurt am Main<br />

2009, Suhrkamp, S. 366.<br />

93 ebd.<br />

94 ebd.<br />

Tode nicht nur zu, verheißt diesen, sie vollzieht den Tod<br />

des Menschen bereits im Verlöschen jeder Subjektivität<br />

im Text der Literatur. Der leere Raum ist der Ort, in dem<br />

sich der Tod des Menschen bereits ereignet hat. Der leere<br />

Raum hat eine negative Transzendenz. 95<br />

Dies Ereignis vom Tod des Menschen kann schließlich<br />

verstanden werden als synchrone Bewegung über drei<br />

Ebenen: Verheißung, Vollzug und Wiederholung. Die Verheißung<br />

der Literatur hat keinen zeitlichen, sondern einen<br />

räumlichen Charakter – sie verkündet in der Botschaft<br />

von der Brüchigkeit der modernen Wissensordnung die<br />

Gewissheit einer sich räumlich-anschließenden Wissensordnung.<br />

Dieser Raum ist ein Raum ohne den Menschen.<br />

Das Ereignis eines Raumes ohne den Menschen<br />

wird im leeren Raum der Literatur bereits vollzogen: in<br />

der manifesten Abwesenheit des menschlichen Souveräns<br />

und der dominanten Anwesenheit des Anderen in<br />

der Form der Sprache als Literatur, in dem Hinausstrahlen<br />

der Historizität und Endlichkeit des Menschen am<br />

Scheidepunkt der Grenzen des Denkens, und im Verlöschen<br />

jeder Subjektivität im Akt des Schreibens, in der<br />

Absorption des Menschlichen im Anderen des leeren<br />

Raumes. Dort präfigurieren und simulieren die Bahnen<br />

des Textes der Literatur den Tod des Menschen innerhalb<br />

des eigenen leeren Raumes jedoch nicht nur, und<br />

vollziehen den Tod des Menschen bereits, zudem wiederholen<br />

sie diesen Vollzug immer und immer wieder –<br />

ohne eine zeitliche Grenze.<br />

Die Literatur ergießt sich und ihren unendlichen Text in<br />

den leeren Raum, den es durch ihre eigene unheimliche<br />

Präsenz geschaffen hat, und dehnt das Gemurmel an die<br />

Grenze der Unendlichkeit. Diese Unendlichkeit erweist<br />

sich für das Wissen der Moderne als undenkbar und darum<br />

als unerträglich, denn die Unendlichkeit des leeren<br />

Raumes ist in ihrer Autoreferentialität nicht erschließbar,<br />

nicht benennbar, nicht kolonisierbar, ein unerträgliches<br />

Zeichen deshalb, weil es nicht ablesbar ist, nicht<br />

entzifferbar, es erschließt sich in keiner Exegese, und<br />

übersteigt damit die Wissenstechniken des modernen<br />

Wissensraumes. Darum ist die Literatur die eminente<br />

Aufgabe des Denkens der Moderne.<br />

95 Es ließe sich fragen und im Anschluss untersuchen, inwiefern<br />

die Leere des literarischen Raumes nicht sogar letztlich in der<br />

Tradition genuin moderner ästhetischer Konzepte wie dem Konzept<br />

des ‚Erhabenen‘ (insbesondere Kant, Hegel und Lyotard) steht. Als<br />

Überschneidungspunkte dieser Positionen mit dem Konzept des<br />

leeren Raumes könnte die Vorstellung von Subjektivität und deren<br />

Verlöschen in der Anschauung des Sublimem bzw. Unendlichen (oder<br />

leeren), oder das Verhältnis Mimesis/Repräsentation/Sprache gelten.<br />

25

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!