Band II/ 2013 (7mb) - critica – zeitschrift für philosophie & kunsttheorie
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CRITICA-ZPK<br />
<strong>II</strong>/ <strong>2013</strong><br />
denen Frasers Performances sich darstellen: Räume der<br />
Rezeption (Galerie, Museum), Räume der „Produktion“<br />
(psychologische Therapiesitzung des Künstlers). Was<br />
Frasers Körper mit ihren Räumen verbindet, ist das<br />
Kunstwerk selbst. Es ist das funktionale Äquivalent des<br />
Bindestriches einer Raum-Körper-Konstruktion.<br />
Im folgenden Abschnitt werde ich anzudeuten versuchen,<br />
wie Frasers Performances das Dilemma demonstrieren,<br />
dass Eigenwert und Autarkie des Kunstwerks in<br />
dem Maße leiden, wie sie verteidigt werden. Kurz: Wie<br />
lassen sich Raum-Körper-Konstruktionen künstlerisch<br />
darstellen, ohne dass die Schwelle, deren Dynamik sie<br />
zentriert – das Kunstwerk – übergangen, kontrolliert<br />
und zum Schweigen gebracht wird? Stellt man Frasers<br />
Performances „May I help you?“ und „Projection 2008“<br />
nebeneinander, so fällt auf, dass der Versuch, Raum-<br />
Körper-Konstruktionen der Kunst ihre Autarkie gegenüber<br />
Versuchen der Kontrolle (unter anderem, aber nicht<br />
nur durch den Kunstmarkt) zu lassen, zum Scheitern<br />
verurteilt ist. Ihre Autarkie bedarf der Möglichkeit, all<br />
den Raum-Körper-Konstruktionen der Kunst eine Entfaltungsmöglichkeit<br />
zu geben. Diese Gabe unterdrückt<br />
jedoch den Prozess ihrer eigenen Entfaltung – und die<br />
Person der Künstlerin, falls sie es ist, die den Raum-<br />
Körper-Konstellationen des Kunstwerks ihre Schwellen<br />
gibt, ohne dabei deren Grenze(n) setzen zu wollen.<br />
Raumkontrolle: Andrea Frasers „Projection<br />
2008“ und „May I help you?“<br />
Bevor ich meinen interpretatorischen Ansatzpunkt<br />
weiter ausführe, möchte ich die beiden Performances,<br />
auf die er sich stützt, zunächst skizzieren. 6<br />
„Projection 2008“ besteht aus zwei Video-Installationen,<br />
an deren Projektion auf die gegenüberliegenden Wände<br />
eines länglichen, abgedunkelten Raums der Betrachter<br />
(in der Mitte dieses Raums stehend oder sitzend) teilnimmt.<br />
Beide Projektionen, die aufeinanderfolgend<br />
jeweils eine der beiden Wände ausfüllen, zeigen die<br />
Künstlerin in einem psychoanalytischen Zwiegespräch,<br />
in dem sie zugleich die Seite der Therapeutin und die<br />
der Klientin einnimmt. Beide Projektionen erscheinen<br />
jedoch nicht gleichzeitig. Die jeweils andere verdunkelt<br />
sich, sobald ihr Gegenüber erscheint. Die Monologe der<br />
6 Zuletzt waren beide Performances Teil einer Retrospektive auf<br />
das Werk Frasers im Museum Ludwig in Köln (21.04. - 21.07.<strong>2013</strong>,<br />
Kuratorin: Barbara Engelbach). Die Texte der Performances, auf die<br />
ich mich im Folgenden beziehe, sind Teil des Ausstellungskatalogs<br />
(vgl. Cugini <strong>2013</strong>.)<br />
Therapeutin sind ausschließlich auf eine dieser beiden<br />
Wände, die der Klientin ausschließlich auf die andere<br />
projiziert. Sie folgen aufeinander, ohne dass eine klare<br />
Gesprächsstruktur, zum Teil ohne dass innerhalb der<br />
einzelnen Monologe ein inhärenter Zusammenhang erkennbar<br />
wäre.<br />
In der Performance „May I help you?“ beobachtet der<br />
Betrachter einen fünfzehnminütigen Vortrag einer Galerieangestellten,<br />
der einzelne der ausgestellten Werke<br />
thematisiert und dem imaginären Galeriebesucher (sie<br />
spricht direkt zur Kamera) vorstellt. Dieser Vortrag lässt<br />
sich in sieben Unterabschnitte gliedern: Jeder dieser Unterabschnitte<br />
ergibt sich aus leichten Verhaltens- und<br />
Stiländerungen der Galerieangestellten. Mal gibt sie<br />
sich formell, mal persönlich, ein anderes mal wach und<br />
interessiert, daraufhin müde und distanziert. Der Inhalt<br />
ihrer Monologe besteht zum Teil aus Zitaten von Pierre<br />
Bourdieu und verschiedenen Kunstmagazinen. Hervorzuheben<br />
ist, dass alle Bilder, die in dem inszenierten<br />
Ausstellungsraum vorgestellt werden, ein monochromes<br />
schwarzes Quadrat zeigen (Allan McCollums „Surrogate<br />
Paintings“).<br />
Gesondert präsentieren beide Performances den Kontroll-<br />
und somit Autarkieverlust des Kunstwerks bzw.<br />
der Kunstschaffenden im Kontext des Kunstbetriebs<br />
des 20./21. Jahrhunderts. In „Projection 2008“ ist es die<br />
Künstlerin, die ihre eigene Verzweiflung aufgrund der<br />
(antizipierten) Kritik des Betrachters, der Notwendigkeit<br />
der Akzeptanz durch den Kunstmarkt und dem eigenen<br />
Anspruch, zwischen alldem einen autarken Raum für ihre<br />
eigene Kunst aufrecht zu erhalten, darstellt. In „May I<br />
help you?“ verlieren sich trotz/ wegen der Wandlungen<br />
der Galerieangestellten beim Versuch der Vermittlung<br />
der einzelnen Werke alle präsentierten Kunstwerke in<br />
ihrer hintergrundlosen, starren Monochromizität. Beide<br />
Performances zeigen für sich selbst betrachtet die<br />
Auflösung der Kunst durch ihre Eingebundenheit in den<br />
Kontext von Kunstinstitutionen – und die Künstlerin,<br />
wie sie daran verzweifelt. Für sich genommen legen beide<br />
Performances diese institutionenkritische Rezeption<br />
nahe. Zusammen betrachtet, so meine Vermutung, stellen sie<br />
jedoch die Frage nach einem Ausweg aus dieser Gebundenheit<br />
des Kunstwerks, die Frage nach Raum-Körper-Konstruktionen,<br />
die nicht von ihrer äußerlichen Begrenzung her, sondern ihrer<br />
schwellenartigen Eigendynamik (falls es diese besitzt; dies ist zumindest<br />
Frasers Anspruch in „Projection 2008“) gedacht werden<br />
können. In dieser Frage treffen sich Andrea Fraser und<br />
die zeitgenössischen philosophischen Grenz-Diskurse.<br />
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