Band II/ 2013 (7mb) - critica – zeitschrift für philosophie & kunsttheorie
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CRITICA-ZPK<br />
<strong>II</strong>/ <strong>2013</strong><br />
An den Grenzen des Denkens eröffnet die Sprache als<br />
Literatur also eine Heterotopie – den leeren Raum – in<br />
dessen Weite der Tod des Menschen sich bereits ereignet<br />
hat, und bedroht somit das Wissen der Moderne,<br />
das sich um den Menschen zentriert, mit dem Aufzeigen<br />
der Möglichkeit eines Raumes ohne den Menschen.<br />
In diesem Raum herrscht die Souveränität der Sprache<br />
als Literatur – „die Sprache ohne Anfang, ohne Endpunkt und<br />
ohne Verheißung“ 96 . Die Perspektive der Archäologie erschließt<br />
den Menschen als eine Konstellation der modernen<br />
Wissensordnung. Das moderne Wissen hat in<br />
der Fragmentierung des „lebendigen Seins der Sprache“ 97<br />
simultan mit dem Zentrum des Menschen auch das Außen<br />
der Literatur entstehen lassen. Innen und Außen –<br />
das Zentrum und dessen Bedrohung – entstanden also<br />
in einer simultanen Genese. Betrachtet man den Menschen<br />
und die Literatur als Konstituenten eines gemeinsamen,<br />
reziproken Komplexes von Wissen, so kann der Tod des<br />
Menschen als das beunruhigende, und in der Disposition<br />
der modernen Wissensordnung immer schon notwendig<br />
enthaltende Wissen verstanden werden, dass ein<br />
Raum ohne ihn möglich ist. Der Mensch hatte sich „in den<br />
Zwischenräumen einer fragmentierten Sprache“ 98 zusammengesetzt,<br />
und wird in der „erneuten Sammlung der Sprache“ 99<br />
– im Moment deren Wiedererscheinens – zurückweichen<br />
müssen. Der Satz vom Tod des Menschen wäre missverstanden,<br />
begriffe man ihn als eine Forderung oder als<br />
eine Provokation – aus archäologischer Perspektive liegt<br />
angesichts der simultanen Genese des Menschen und<br />
der Literatur als Geschwister des modernen Wissens<br />
eine epistemische Notwendigkeit darin, „daß der Mensch<br />
verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“ 100 .<br />
IV.<br />
sches Produkt einer spezifischen Konstellation von Wissensobjekten.<br />
Andererseits ist dies auch als eindeutige<br />
Absage an die klassische Literaturtheorie zu lesen, die<br />
Literatur als ein ästhetisches Phänomen auffasst. Die Literatur<br />
ist kein genuin ästhetisches Phänomen, sondern<br />
die eminente Aufgabe des Denkens der Moderne – sie<br />
bedroht von einem Außen, vom leeren Raum aus, die<br />
Wissensordnung der Moderne. Sie beinhaltet die Möglichkeit<br />
des Ausbruchs, des limetischen Überschreitens,<br />
der Transgressivität, wie die Möglichkeit der endlosen<br />
Selbstbezüglichkeit, der Intransitivität. Der Doppelcharakter<br />
der Literatur, ihre Intransivität und Transgressivität,<br />
als spezifische Räumlichkeit der Sprache, eröffnet<br />
einen Raum ohne den Menschen und führt so das Wissen<br />
der Moderne an den Rand ihres eigenen möglichen<br />
Endes – ihres eigenen Todes. Der oft zitierte ‚Tod des Menschen‘<br />
kann demnach am ehesten als die Möglichkeit eines<br />
Raumes ohne den Menschen begriffen werden. Der<br />
Literatur kommt also eine entscheidende Rolle in Die<br />
Ordnung der Dinge zu – sie ist die Hauptfigur des Narrativs<br />
Foucaults, das eine Geschichte des Wissens der Moderne<br />
spinnt, und an dessen Ende jener ‚Tod des Menschen‘<br />
steht.<br />
Literaturverzeichnis<br />
Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften.<br />
, 1. Aufl. , 21. Nachdr. , Frankfurt am Main 2009,<br />
Suhrkamp.<br />
Foucault, Michel: Schriften zur Literatur, Frankfurt am Main 2009,<br />
Fischer Taschenbuch Verlag GmbH.<br />
Foucault, Michel: Wahnsinn und Gesellschaft, Frankfurt am Main<br />
1973, Suhrkamp.<br />
Wunderlich, Stefan: Michel Foucault und die Frage der Literatur. Beitrag<br />
zu einer Archäologie poststrukturalistischen Denkens, Frankfurt<br />
am Main 2000.<br />
Der Literatur kommt in Die Ordnung der Dinge eine systematische<br />
Bedeutung zu, die sich weder in einer illustrierenden<br />
Funktion der Literatur im ganzen Textgebilde,<br />
noch in einer Analyse von Literatur als ästhetischem<br />
Phänomen erschöpft, vielmehr wird hier Literatur als<br />
ein Phänomen des Wissens vorgestellt, und zwar insbesondere<br />
des modernen Wissens. Einerseits besteht hier<br />
eine eindeutige Absage an den traditionellen Wissensbegriff<br />
der Philosophie, denn Wissen tritt hier nicht auf<br />
als ‚wahre gerechtfertigte Meinung‘, sondern als histori-<br />
96 ebd. , S. 77.<br />
97 ebd. , S. 76.<br />
98 ebd. , S. 461.<br />
99 ebd.<br />
100 ebd. , S. 462.<br />
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