Band II/ 2013 (7mb) - critica – zeitschrift für philosophie & kunsttheorie
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CRITICA-ZPK<br />
<strong>II</strong>/ <strong>2013</strong><br />
Befunde der Archäologie Foucaults werden hier nicht<br />
schlicht nachgezeichnet, sondern selbst aufgenommen,<br />
diskutiert und auseinandergesetzt – und zugespitzt.<br />
In der Untersuchung der Räumlichkeit der Sprache fällt<br />
zunächst das Licht auf die Transgressivität und die Intransitivität,<br />
die als spezifische Räumlichkeiten der Sprache<br />
als Literatur auftreten, und einen Innen- und Außenraum<br />
des Wissens an den Grenzen des Denkens konstituieren.<br />
Es soll untersucht werden, inwiefern davon gesprochen<br />
werden kann, dass die Literatur einen anderen<br />
Raum eröffnet, eine Heterotopie, welche die Zentrierung<br />
des modernen Wissens um den Menschen beunruhigt,<br />
und so zur unausweichlichen Aufgabe des modernen<br />
Wissens wird. Das „Wiedererscheinen des lebendigen Seins der<br />
Sprache“ 7 als das Andere des Menschen soll als Bedrohung<br />
des modernen Wissens, das sich um das Zentrum des<br />
Menschen sammelt, ausgewiesen werden. Es soll herausgearbeitet<br />
werden, inwiefern die Heterotopie der Literatur<br />
als leerer Raum bezeichnet werden kann, und auf<br />
welchen Ebenen dieser leere Raum – in zwei ironischen<br />
Umkehrungen – einen Raum ohne den Menschen anordnet.<br />
Die Anordnung des Raumes ohne den Menschen soll begreifbar<br />
gemacht werden als synchrone Bewegung über<br />
drei Ebenen: Verheißung, Vollzug, Wiederholung. Es soll<br />
aufgezeigt werden, inwiefern der oft zitierte Tod des Menschen<br />
eine epistemische Notwendigkeit hat, die in der<br />
simultanen Genese von Mensch und Literatur begründet<br />
liegt, und die sich nur nachvollziehen lässt, wenn<br />
Sprache räumlich gedacht wird. Diesem Programm entsprechend<br />
soll zunächst begonnen werden mit der Untersuchung<br />
des diskursiven Raumes von Wörtern und<br />
Dingen.<br />
<strong>II</strong>.<br />
„Die beunruhigende Heterotopie“: Der Raum der Sprache.<br />
1. Wörter und Dinge.<br />
Foucaults archäologische Untersuchung des europäischen<br />
Wissens der Neuzeit deckt drei große Epochen<br />
auf, die zwar aufeinander folgen, aber nicht durch eine<br />
teleologische oder konsistente Entwicklung charakterisiert<br />
sind: Renaissance, Klassik, Moderne. Die drei Epochen<br />
sind gekennzeichnet durch tiefe fundamentale Brüche,<br />
„zwei große Diskontinuitäten in der episteme der abendländischen<br />
Kultur“ 8 , welche die wichtigsten Einschnitte in der<br />
7 ebd. , S. 76.<br />
8 ebd. , S. 25.<br />
europäischen Wissensgeschichte darstellen. Die Archäologie<br />
untersucht, wie die Epochen sich sprachlich<br />
auf die Welt bezogen, welche Bedeutung dies für ihre<br />
Wissenskonzeption hatte, und begegnet dabei einer „ungeheuren<br />
Reorganisation der Kultur, deren erste Etappe das klassische<br />
Zeitalter gewesen ist“ 9 .<br />
In der Renaissance findet die Archäologie ein ternäres<br />
Zeichensystem, bestehend aus Zeichen, Ding und der<br />
Ähnlichkeit, die eine Verbindung zwischen Zeichen und<br />
Ding herstellt. Auf den Dingen der Welt sind die zugehörigen<br />
Zeichen in den Signaturen bereits vorhanden; das<br />
Ding selbst ist folglich bereits Ausdruck seiner schriftlichen<br />
Darstellung. Die Dinge erweisen sich als von einer<br />
göttlichen Urschrift beschrieben – schon im Ursprung,<br />
„als Adam den Tieren ihren ersten Namen gab, hat er die sichtbaren<br />
und schweigenden Zeichen nur abgelesen“ 10 , diese müssen<br />
lediglich mittels der ihr aufgeprägten Signaturen, „eines<br />
Stigmas auf den Dingen“ 11 , entziffert werden. Die Wissensordnung<br />
der Renaissance ist geprägt durch ein „absolutes<br />
Privileg der Schrift“ 12 . Die Klassik hingegen errichtet ein binäres<br />
Zeichensystem aus Bezeichnendem und Bezeichnetem,<br />
in dem die Verbindung von beiden durch die<br />
Ähnlichkeit entfällt. Vielmehr werden das Ding und das<br />
Zeichen in einen funktionalen Zusammenhang gestellt,<br />
in dem das Zeichen das Ding repräsentieren soll. Hinter<br />
diesem Vorgang der Repräsentation tritt die Sprache zurück<br />
und verbleibt in einer unscheinbaren Transparenz.<br />
Sie tritt zurück zugunsten der exakten Repräsentation<br />
der Binarität von Zeichen und Ding im Raum des Diskurses<br />
und verschwindet darin gleichsam. Die Sprache<br />
nimmt damit eine radikal andere Rolle bezüglich der<br />
Konstitution von Wissen ein als in der Renaissance: „das<br />
Primat der Schrift wird aufgehoben“ 13 , der bisherige Zusammenhang<br />
von Wörtern und Dingen wird damit aufgebrochen,<br />
„die Sachen und die Wörter werden sich trennen“ 14 .<br />
Diese Trennung führt zu einer essentiellen Transformation<br />
des Seins der Sprache, von der sich schließlich<br />
sagen lässt, „dass die klassische Sprache nicht existiert, sondern<br />
nur funktioniert“ 15 . Das Verschwinden der Sprache in ihrem<br />
Funktionieren, wie in der Klassik geschehen, „trennt<br />
uns von einer Kultur, in der die Bedeutung der Zeichen nicht existierte,<br />
da sie in der Souveränität des Ähnlichen resorbiert war“ 16 ,<br />
sie bedeutet den fundamentalen Verlust des „primitiven<br />
9 ebd. , S. 76.<br />
10 ebd. , S. 70.<br />
11 ebd. , S. 75.<br />
12 ebd. , S. 70.<br />
13 ebd. , S. 75.<br />
14 ebd. , S. 76.<br />
15 ebd.<br />
16 ebd.<br />
17