Perspektive LiLi-wk.pdf - IDF
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den französischen Texten Kausalität als die kohärenzstiftende Relation. Dies impliziert ein<br />
Selektionsmerkmal für die Subjektbesetzung, insofern diejenigen Kandidaten präferiert<br />
werden, die als Intentionsträger die Quelle für Kausalität darstellen können – anders als in den<br />
englischen Texten, in denen die kausale Verknüpfung innerhalb des temporal deiktischen<br />
Rahmens die Progression der Ereignisse unterstützt. Der globale Rahmen, der in den<br />
französischen Erzähltexten Informationsselektion und –organisation steuert, ist damit<br />
einerseits durch den geringen Grammatikalisierungsgrad im Bereich temporaler Kategorien,<br />
andererseits durch den hohen Grammatikalisierungsgrad der Subjektkategorie bedingt.<br />
Das Deutsche entspricht – wie bereits gesagt – im Bereich der temporalen Verbalmorphologie<br />
dem Französischen. Es besitzt ein unterspezifiziertes Präsens, das keine eindeutige temporale<br />
Verankerung leisten kann. Es unterscheidet sich von den beiden anderen Sprachen durch die<br />
Verbzweit-Regel. Diese Struktur zeichnet die Vorfeldposition aus, aber nicht im Hinblick auf<br />
eine bestimmte grammatische Besetzung. Das Vorfeld ist funktional auf eine<br />
Topikkomponente festgelegt 6 . In den deutschen Texten konkurrieren Zeitausdrücke – in der<br />
Form des temporalen Sequenzierungsadverbs dann – und die Subjektentität um diese<br />
Position. Die Option, die im Deutschen, anders als in den beiden anderen Sprachen, in Bezug<br />
auf die Topikstelle besteht, läßt es zu, dass die temporale Relation als in der quaestio gesetzter<br />
potentieller globaler Kohärenzfaktor etabliert wird. Zentrales Kriterium für die Reihung der<br />
Informationen ist daher in den deutschen Texten die temporale Folge mit weiteren<br />
Implikationen für die Informationsselektion. Folge impliziert geschlossene Intervalle. Die<br />
Informationen sind daher so ausgewählt, dass die dargestellten Situationen einen Abschluss<br />
aufweisen, entweder durch Zielangaben von Bewegungen oder affizierte bzw. effizierte<br />
Objekte von kausativen Handlungen. Dieser Vorgabe entspricht die Wahl einer intentional<br />
handelnden Entität als globaler Topikentität, insofern sie den Ausgangspunkt für zeitlich<br />
abgeschlossene Ereignisse bildet. Der Protagonist wird als globale Topikentität gesetzt,<br />
andere Beteiligte werden durch grammatische Mittel wie Passiv und Subordination<br />
konsequent herabgestuft. Subjektellipsis über weite Textpassagen hinweg sind als sprachliche<br />
Form einer globalen Topikkategorie anzusehen.<br />
Um die These zu prüfen, dass der Verbzweit-Regel entscheidende Funktion für die<br />
Informationsorganisation zukommt, wurden Parallelstudien mit niederländischen Sprechern<br />
durchgeführt (vgl. Carroll & Lambert 2003, van Ierland 2006). In den hier als relevant<br />
identifizierten grammatischen Merkmalen (Verbzweit und Semantik des Präsens) weisen das<br />
Niederländische und das Deutsche gleiche Belegungen auf. Die Filmnacherzählungen der<br />
niederländischen Sprecher zeigen hinsichtlich der globalen Informationsorganisation in der<br />
Tat das gleiche Muster wie die deutschen Texte. Niederländisch und Deutsch sind - in dieser<br />
Hinsicht - gleich strukturiert, und so erklärt sich, dass Niederländer und Deutsche die gleiche<br />
Art der Perspektierung wählen.<br />
Zusammenhänge der hier erläuterten Art verlieren ihren auf Anhieb vielleicht etwas<br />
konstruiert wirkenden Charakter, wenn man sich vor Augen führt, wie Menschen im Laufe<br />
ihrer kognitiven und sprachlichen Entwicklung das Handwerkszeug erwerben, mit dem sie<br />
dann komplexe sprachliche Aufgaben bewältigen. Im Verlauf des Erstspracherwerbs wird<br />
durch die grammatikalisierten Kategorien die Aufmerksamkeit der Sprecher bzw. der Lerner<br />
auf bestimmte Aspekte der Wirklichkeit gelenkt. So erwerben beispielsweise englische<br />
Kinder das progressive als erste morphologisch markierte Verbalkategorie, deutsche Kinder<br />
dagegen das Partizip Perfekt (oder Varianten davon). Dies resultiert in charakteristischen<br />
Mustern der Aufmerksamkeitsverteilung derart, dass es einerseits ausgezeichnete Bereiche<br />
6 Wir diskutieren hier nicht die aktuelle Fragen um den Topikbegriff. Auch ist klar, dass im Vorfeld nicht nur<br />
Topikelemente stehen können. Für die Frage des Einflusses grammatikalisierter Strukturen auf die globale<br />
Informationsorganisation sind jedoch diejenigen Strukturen massgeblich, die als unmarkiert und damit mit dem<br />
geringsten Aufwand aufrufbar gelten können.