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Perspektive LiLi-wk.pdf - IDF

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Sprecher sprechen über das jeweilige Ereignis als Ganzes, Abschlüsse und Endpunkte sind<br />

daher von entscheidender Bedeutung.<br />

Für die Blickbewegungsmessung wurden Stimuli gewählt, die Bewegungsereignisse<br />

darstellten, die ein potentielles Ziel aufwiesen, z.B. ein Auto fährt auf einer Landstraße, im<br />

Hintergrund sieht man ein Haus. Die Versprachlichung der deutschen Sprecher lautet in den<br />

meisten Fällen: ein auto fährt auf ein Haus zu. Englische Sprecher erwähnen dagegen den<br />

möglichen Zielort nicht: a car is driving along a country road. Die Frage war nun, wie ‚tief’<br />

greift dieser Unterschied in Prozesse der konzeptuellen Verarbeitung.<br />

Die ersten Befunde zu den Blickbewegungen zeigen, dass tatsächlich Unterschiede auf der<br />

Ebene der visuellen Aufmerksamkeitssteuerung bestehen. Tabelle 1 gibt die Ergebnisse zur<br />

Fixierung von potentiellen Endpunkten in den Szenen, getrennt gemessen vor und nach<br />

Sprechbeginn.<br />

Tabelle1<br />

Unterschied in der Anzahl der Fixationshäufigkeit vor und nach Sprechbeginn (= SOT)<br />

15 Sprecher, 9 Szenen<br />

Sprache Fixation vor SOT Fixation nach SOT Differenz<br />

Niederländisch 4.06 5.59 1.53<br />

Deutsch 8.7 9.5 0.8<br />

Englisch 2.9 8.04 5.57<br />

Die Werte für das Deutsche und Niederländische entsprechen den Befunden in den<br />

Produktionsdaten. Die deutschen Probanden betrachten die Region bzw. das Objekt, das als<br />

potentielles Ziel der Bewegung angesehen werden kann, signifikant häufiger als die<br />

niederländischen Sprecher und zwar vor und im Verlauf der Rede. Bezieht man die<br />

englischen Sprecher mit ein, so ist zunächst interessant, dass diese vor Sprechbeginn den<br />

niedrigsten Wert aufweisen, also sich die Aufmerksamkeit nicht auf einen möglichen<br />

Endpunkt richtet, nach Sprechbeginn steigt der Wert dann allerdings enorm an. Wir sehen hier<br />

wiederum einen Unterschied zwischen den Sprachsystemen gespiegelt.<br />

Die englische und die niederländische Verlaufsform sind unterschiedlich weit<br />

grammatikalisiert. Das bedeutet, sie sind in ihren Anwendungskontexten unterschiedlich stark<br />

beschränkt. Dies zeigt sich auch daran, dass in den niederländischen Filmnacherzählungen im<br />

Unterschied zu den englischen niemals Verlaufsformen verwendet werden. Während das<br />

englische progressive kaum Beschränkungen unterworfen ist (lediglich Situationen, die als 0-<br />

Zustand charakterisiert werden können, lassen diese grammatische Operation nicht zu, vgl.<br />

Klein 1994), auch mit Endpunkterwähnungen durchaus kompatibel ist (we are walking to the<br />

station, a car is driving to a house), ist die niederländische Verlaufsform in der Regel nicht<br />

mit Endpunkten zu verbinden *de trein is naar de station aan het fahren. 8 Ein Sprecher des<br />

Englischen kann daher die Verbform des progressive wählen, ohne dass er bereits die<br />

gesamten Informationskomponenten für die Verbalisierung geplant haben muss. Er kann sich<br />

im Verlauf der Rede noch entscheiden, einen Endpunkt zu erwähnen oder nicht. A car is<br />

driving along a country road ist ebenso ein möglicher Satz wie a car is driving along a<br />

country road to a house. Das Muster der visuellen Aufmerksamkeit spiegelt diese strukturelle<br />

Option, insofern als der Blick auf den potentiellen Endpunkt nicht zu Beginn der<br />

Redeplanung erfolgen muss, sondern im Verlauf noch erfolgen kann. Die Information kann<br />

dann immer noch syntaktisch integriert werden. Der Sprecher des Niederländischen dagegen<br />

8 Allerdings zeigen neueste Studien (Natale et al.2006), dass das Niederländische derzeit einen rasanten<br />

Grammatikalisierungsprozess durchläuft. Gegenwärtig unterscheiden sich die Grammatikalitätsurteile in bezug<br />

auf diese Konstruktion erheblich zwischen den Generationen.

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