Magazin 195909
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iologische KampfmiHel<br />
Einsatz und Schutzmöglichkeiten<br />
von Prof. Dr . H. KUewe<br />
Die ansteckenden Krankheiten haben<br />
seit Mensmengedenken nirnt nur in Friedenszeiten<br />
viele hundert Millionen Mensdlen<br />
dahingerafft und einen maßgeblichen<br />
Einfluß auf den kulturellen Aufstieg<br />
und den Niedergang der Völker gehabt,<br />
sondern vor allem BUrn. bei kriegerisrnen<br />
Auseinandersetzungen den Ausgang der<br />
Kämpfe entscheidend beeinflußt. Man<br />
kann sogar sagen, daß bis Mitte des vorigen<br />
Jahrhunderts weit mehr Kriege durch<br />
ansteckende Krankheiten als durch das<br />
Gesmick der Diplomaten, der Heerführer<br />
und die Madtt der Waffen beendet wurden.<br />
Das ist verständlim, weil man damals<br />
die Krankheitserreger nirnt kannte<br />
und deshalb keine gezielten Sdtutz- und<br />
Abwehrmaßnahmen durchführen konnte.<br />
Erst in den letzten 80 Jahren wurden die<br />
meisten Erreger der heute bekannten ansteckenden<br />
Krankheiten namgewiesen.<br />
Und zwar handelt es sim um kleine, nur<br />
mit dem Mikroskop sidltbare pflanzliche<br />
Lebewesen, die Bakterien oder Spaltpilze,<br />
die z. B. Cholera, Pest, Rotz, Ruhr, Tuberkulose<br />
usw. hervorrufen, dann um kleinste<br />
tierisme Einzeller, die Protozoen,<br />
welche u. a. die Erreger der Amöbenruhr,<br />
Malaria, der afrikanischen Schlafkrankheiten<br />
usw. sind. Ferner gibt es Krankheitserreger,<br />
die Viren, von denen manche<br />
1000ma} kleiner sind als die Bakterien<br />
(etwa ein millionstel Millimeter groß), die<br />
man nur mit dem übermikroskop (Elektronenmikroskop)<br />
sehen kann. Zu den Viren,<br />
die den Menschen befallen können,<br />
zählen die Erreger von Erköltungskrankheiten,<br />
Grippe, Fleckfieber, Kinderlähme,<br />
Pocken, Papageienkrankheit u. a.<br />
Der 100. Teil eines Milligramms<br />
Manche Bakterien bilden gegen Hitze<br />
und Desinfektionsmittel widerstandsfähige<br />
Dauerformen, die man .. Sporen"<br />
nennt: sie kommen normalerweise im<br />
Darm von Pflanzenfressern vor und gelangen<br />
mit dem Dung in den Boden. in Staub<br />
ete. Gelangt solche Erde in tiefergehende<br />
Wunden. so können sie bei Menschen und<br />
Tieren Wundstarrkrampf, Gasödeme ete.<br />
hervorrufen. Andere Sporenbildner, die<br />
Milzbrandbazillen, finden sich zunächst<br />
bei kranken Tieren und werden von diesen<br />
durch Berühren der Aussmeidungen.<br />
durdl Verletzungen beim Enthäuten und<br />
Zerlegen des Tierkörpers. ferner durch<br />
Einatmen von Milzbrandsporen und -haltigern<br />
Staub auf Menschen übertragen.<br />
Zu den Sporenbildnern zählt auch der Botulinus-Bazillus,<br />
der normalerweise ebenfalls<br />
im Darm von Tieren vorkommt und<br />
mit dem Dung an Gartenfrüchte gelangen<br />
kann. Die Keime können auch bei erkrankten<br />
Tieren aus dem Darm ins<br />
Fleisch wandern und dann sich in konser·<br />
vierten Fleischwaren befinden. Bei Aufbewahrung<br />
d er Konserven über etwa<br />
15° C keimen die Sporen in der Konserve<br />
aus und bilden dann einen Giftstoff, das<br />
Botulinus-Toxin, das schon oft genug zu<br />
schwersten Vergiftungen geführt hat. Das<br />
Gift kann aum allein gewonnen und in<br />
Nebel-(Aerosol-)Form ausgebracht werden.<br />
Wird es dann eingeatmet, so kann es<br />
ebenfalls zu Vergiftungen kommen. Bereits<br />
der 100. Teil eines Milligramms ist<br />
geeignet, einen Mensrncn zu töten, Deshalb<br />
hat das Botulinus-Gift im Rahmen<br />
dieses Themas eine große Bedeutung.<br />
Von den anderen Sporenbildnern haben<br />
nur die Milzbrand-Sporen eine gewisse<br />
Anwendungsmöglichkeit als Kampfstoff,<br />
weil aum sie in Areosol- und Pul verform<br />
eingesetzt werden können.<br />
Wenn man bedenkt, daß diese versrniedenen,<br />
früher unbekannten Krankheitserreger<br />
in der Vergangenheit so viele Menschen<br />
krank gemadtt und getötet haben,<br />
und daß schon seit Jahrhunderten immer<br />
wieder angenommen wurde, daß Krankheiten<br />
von Mensm zu Mensch übertragen<br />
werden können. war es verständlidl, daß<br />
aum bei feindlichen Auseinandersetzungen<br />
der Gedanke auftauchte. durm künstlime<br />
Verbreitung einer Krankheit, dem<br />
Gegner Schaden zuzufügen. So saUen<br />
smon die Tartaren Pestlehnen durch<br />
Wurfmaschinen in die Mauern der belagerten<br />
genuesischen Stadt Caffa auf der<br />
Krim gesd1leudert haben, um die Obergabe<br />
zu erzwingen, als in ihren eigenen<br />
Reihen die Seuche bereits ausgebrochen<br />
war. - Von hier aus soll die große Pestepidemie<br />
des 14. Jahrhunderts ihren Ausgang<br />
genommen haben. - Als es nun im<br />
vorigen Jahrhundert gelungen war, Krankheitserreger<br />
auch in größeren Mengen<br />
künstlich zu züchten. erhielt die Idee eines<br />
Bakterienkrieges neue Nahrung. Aber erst<br />
seit dem ersten Weltkrieg, als man in den<br />
versdliedensten Ländern diesem Problem<br />
nähergetreten war, kam man auf Grund<br />
neuerer Erkenntnisse zu der überzeugung,<br />
daß bakterielle und viruzide Kampfstoffe<br />
nimt nur gegen Menschen und Tiere, sondern<br />
auch chemische Substanzen gegen<br />
Pflanzen mit Vorteil eingesetzt werden<br />
können. Man glaubte, mit Hilfe der modernen<br />
Technik künstlich Seuchen oder<br />
Vergiftungen mit Bakteriengiften (z.B. Botulinustoxin)<br />
hervorrufen zu können, die<br />
unabsehbare Folgen haben würden. Durch<br />
Bücher, Zeitsduiften und Zeitungsartikel<br />
haben diese Erkenntnisse in vielen Bevölkerungsschichten<br />
Eingang gefunden und<br />
eine gewisse Beunruhigung hervorgerufen.<br />
Es gibt keine geheimen Bakterien<br />
Wenn ich nun im folgenden zu den Problemen<br />
des Bakterienkrieges Stellung<br />
nehme, 80 verrate ich kein Geheimnis. In<br />
über 250 Veröffentlichungen aus den verschiedensten<br />
Ländern der Welt wurde<br />
bisher über die einsatzfähigen Organismen.<br />
Gifte und synthetischen Stoffe, die<br />
Menschen, Tiere oder Pflanzen schädigen<br />
können, sowie über die Einsatzmöglichkeiten<br />
dieser Kampfstoffe berichtet. Der<br />
Hauptzweck nachstehender Ausführungen<br />
soll aber sein. aus dem bisher Mitgeteilten<br />
einmal das Mögliche von dem Unmöglichen<br />
und Sensationellen zu trennen,<br />
dann vor allem Schutzmaßnahmen anzugeben<br />
für den Fall, daß tatsächlich der<br />
Bakterienkrieg angewendet wird. Zu dem<br />
Sensationellen sei bereits gesagt. daß 811<br />
das Gerede über Bakteriengifte, die in<br />
kurzer Zeit Millionen Menschen dahinraffen<br />
können, unsinnig ist. Es gibt keine<br />
geheimen Bakterien und Gifte. Alle lebenden<br />
und toten Stoffe, die als Kampfstoffe<br />
in Frage kommen. sind heute weitgehend<br />
bekannt. Eine überraschung durch Großeinsatz<br />
eines neuen Krankheitserregers<br />
oder Giftes ist nur in neuen, bisher unbekonnten<br />
technischen Wegen der Ausbringung<br />
möglirn.<br />
Das, was früher in der Fachwelt als Bak·<br />
terienkrieg angesehen wurde, wird heute<br />
als biologischer Krieg (BK) bezeichnet, da<br />
nicht nur Bakterien und Viren, sondern<br />
auch tierische Lebewesen, Protozoen und<br />
Insekten, ferner das schon erwähnte Botulinustoxin<br />
zu den biologischen Kampfstoffen<br />
zählen. sodann gehören hierher<br />
alle Schädlinge und chemische Substanzen.<br />
die das Wachstum von Nutzpflanzen<br />
beeinträchtigen können.<br />
Von Krankheitserregern, die in den<br />
verschiedensten Veröffentlichungen als<br />
Kamp/mittel gegen Menschen aufgeführt<br />
wurden, sind zu nennen: Die Erreger von<br />
Brucellosen, Milzbrand, Pest, Rotz, Pseuda-Rotz,<br />
Tularaemie, Fleckfieber. Gelbfieber,<br />
Grippe. Papageienkrankheit (Ornithosis),<br />
Qu-Fieber, Virus-Gehirnentzündung<br />
und das Gift des Botulinus-Bazillus.<br />
Andere als die genannten Krankheitserreger<br />
kommen aus verschiedensten Gründen,<br />
die hier nicht angeführt zu werden<br />
brauchen, für den Einsatz nicht in Frage.<br />
An infizierten Insekten, die in großen<br />
Mengen gezüchtet und freigelassen werden<br />
müßten, kommen als überträger von<br />
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