Eulenspiegel Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört (Vorschau)
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Kino<br />
Anzeige<br />
Fußpfleger Claude Petersdorf (Michael<br />
Maertens) ekelt sich vor bestimmten<br />
Ingredienzien deutschen<br />
Liedgutes wie dem albernen, zu<br />
ständiger Wiederholung zwingenden<br />
Refrain »Fiderallala, fiderallala,<br />
fiderallalalala«. Frau Sandberg (Margit<br />
Carstensen), seine Lieblings-Kundin<br />
aus dem Seniorenheim, erweitert<br />
den Gruselkatalog noch um das<br />
gewisse »Simsalabimbambasaladusaladim«.<br />
Die aktiven Chormitglieder<br />
der südbrandenburgischen Sängerstadt<br />
Finsterwalde werden diese<br />
Aversion gewiss nicht teilen, wohl<br />
aber die gebürtige Hamburgerin<br />
Frauke Finsterwalder. Vielleicht<br />
brauchte die mit ihrem Mann und<br />
Co-Autor Christian Kracht nach Ostafrika<br />
ausgewanderte Regisseurin<br />
den räumlichen Abstand samt ungetrübter<br />
Draufsicht, um ihrer alten<br />
Heimat das Etikett<br />
Finsterworld<br />
zu verpassen. Anfangs glaubt man<br />
noch, die sonnendurchfluteten Bilder<br />
(Kamera: Markus Förderer) sollten<br />
eine heile, stäubchenfreie Welt<br />
illustrieren, doch bald wird klar, es<br />
handelt sich um eine rabenschwar -<br />
ze Satire über ein Deutschland, in<br />
dem Verlogenheit und Menschenverachtung,<br />
Einsamkeit und Verzweiflung<br />
in dauerhaftem Clinch liegen.<br />
Das ist erschütternd, auch erschütternd<br />
komisch und durchweg<br />
spannend.<br />
Die episodisch ineinandergreifende<br />
Erzählstruktur ermöglicht Einblicke<br />
in eine Familie, die längst<br />
keine mehr ist. So drückt der Globalplayer<br />
Georg Sandberg (Bernhard<br />
Schütz) zwecks Vermeidung<br />
schlechter Laune auf den Aus-Knopf,<br />
sobald seine alte Mutter anruft.<br />
Seine gefühlsmäßig ebenfalls untertemperierte<br />
Gattin Inga (Corinna<br />
Harfouch) erfährt per Zufall, dass<br />
sich beider lange nicht gesehener,<br />
weil vor Jahren in einem Elite-Internat<br />
geparkter Sohn Maximilian (Jakub<br />
Gierszat) gerade auf Klassenfahrt<br />
mit dem Zielort KZ befindet.<br />
Nicht aber, dass er dort spaßeshalber<br />
und um den Geschichtslehrer<br />
(Christoph Bach) in Schwulitäten zu<br />
bringen, seine Mitschülerin Natalie<br />
(Carla Juri) in einen Verbrennungsofen<br />
gesperrt hat.<br />
Frauke Finsterwalder persifliert<br />
ihre eigene Vergangenheit als Dokumentaristin<br />
(Weil der Mensch ein<br />
Mensch ist, Die Große Pyramide) in<br />
der Rolle der Franziska Feldenhoven<br />
(Sandra Hüller, neben Corinna Harfouch<br />
übrigens das zweite schauspielerische<br />
Schwergewicht aus<br />
dem thüringischen Suhl). Diese<br />
Franzi, aktuell genervt von einem<br />
Hartz IV-Empfänger (Markus Hering),<br />
der nicht einmal kameratauglich zu<br />
leiden vermag, hat von der Abbildung<br />
gewöhnlicher Realität die<br />
Schnauze voll. Frauke Finsterwalder<br />
hoffentlich auch. Schließlich ist ihr<br />
erster Spielfilm Finsterworld schon<br />
so et<strong>was</strong> Ähnliches wie ein Meisterwerk.<br />
★<br />
Seit er nach dem gesprochenen Klingelton<br />
Palim-Palim von seinem<br />
Sketchpartner »eine Flasche Pommes<br />
frites« verlangte, ist Dieter Hallervorden<br />
der Hohepriester des niederen<br />
Blödsinns. Nicht jeder mag<br />
ihn, aber jeder kennt ihn, ob aus<br />
der Slapstick-Serie Nonstop Nonsens,<br />
den Didi-Filmen oder der Spott-<br />
Light-Show. Viele bestaunten, dass<br />
es dem schamgrenzensprengenden<br />
Grimassierer nie an geschäftlicher<br />
Waghalsigkeit mangelte. So gründete<br />
er 1960, als die Westberliner<br />
Stachelschweine den 25-jährigen Berufsneuling<br />
nicht haben wollten,<br />
seine eigene Kabarettbühne Die<br />
Wühlmäuse, die ihren Besitzer nach<br />
wie vor gut ernährt. Manche hatten<br />
läuten <strong>gehört</strong>, dass Hallervorden<br />
aus dem Osten ist, diesen Makel<br />
aber, wenn auch nur bis zur jüngsten<br />
Bundestagswahl, durch bekennende<br />
Mitgliedschaft in der FDP<br />
wettmachen konnte. Doch kaum einer<br />
wusste, warum sich der Mann<br />
einst gezwungen sah, den Unrechtsstaat<br />
DDR zu verlassen.<br />
Des Rätsels Lösung erfolgt in der<br />
Zeitschrift Cinema, Heft 10/13, woselbst<br />
Dieter Hallervorden per<br />
Sprechblase verkündet: »1958 bin<br />
ich der Stasi gerade noch von der<br />
Schippe gesprungen.« An nichts Böses<br />
denkend machte er 1953 in seiner<br />
Heimatstadt Dessau das Abitur<br />
und ließ sich anschließend zum Romanistik-Studium<br />
an die Ostberliner<br />
Humboldt-Universität delegieren.<br />
Bald wurde er als Französisch-Dolmetscher<br />
eingesetzt, und da ging es<br />
mit der kommunistischen Indoktrination<br />
auch schon los. Die Fragen<br />
der Gäste und die Antworten der<br />
Gastgeber sollten, man mag es<br />
kaum glauben, wortwörtlich übersetzt<br />
werden! »Doch ich«, sagt Hallervorden<br />
im Cinema-Interview, »gab<br />
gern meine eigene Meinung zum<br />
Besten. Bei einem Symposium auf<br />
Usedom hatte ich übersehen, dass<br />
in den Blumengestecken Mikrofone<br />
versteckt waren. Als mich in der<br />
Pause jemand darauf aufmerksam<br />
machte, bin ich Hals über Kopf abgehauen.«<br />
Das war dann wohl Rettung in letzter<br />
Sekunde. Da der sich nun in Westberlin<br />
als Bauhilfsarbeiter, Bierfahrer<br />
Trotz Finsternis Ziel erreicht<br />
und Gärtner Durchschlagende ahnte,<br />
dass nicht allen DDR-Bürgern die<br />
Flucht in die Freiheit gelingen würde,<br />
wollte er sie wenigstens von dem<br />
verhassten Spitzbart Walter Ulbricht<br />
befreien. Allerdings war das Attentat,<br />
das er gemeinsam mit einem Freund<br />
geplant hatte, zum Scheitern verurteilt,<br />
weil »wir nicht in der Lage waren,<br />
die ballistische Kurve einer Kugel<br />
aus einer fahrenden S-Bahn exakt<br />
zu berechnen.« Dass selbst bei richtiger<br />
Berechnung nie eine aus fahrender<br />
S-Bahn abgefeuerte Kugel die<br />
auf der Protokollstrecke flitzende<br />
Ulbricht-Limousine auch nur gestreift<br />
hätte, war für Didi, den Attentäter,<br />
wohl ebenso wenig vorstellbar wie<br />
für mich der Gedanke, es könnte je<br />
einen ansehenswerten Film mit ihm<br />
geben. Gibt es aber. Heißt<br />
Sein letztes Rennen<br />
und ist das Kino-Debüt des erstklassigen<br />
Fernsehregisseurs Kilian Riedhof.<br />
Sollte die Rolle des kauzigen,<br />
den Unbilden des Alters und des Altersheims<br />
trotzenden Marathonläufers<br />
Paul Averhoff Dieter Hallervordens<br />
letzte gewesen sein, so hätte<br />
seine Karriere immerhin eine ordentliche<br />
Schlusspointe.<br />
Renate Holland-Moritz<br />
48 EULENSPIEGEL 11/13