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Eulenspiegel Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört (Vorschau)

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Hirsch. Er grinste, freute sich auf den Kommentar<br />

von ihr. Doch sie war noch bei Gerhard, dem sie<br />

ad hoc angeboten hatte, mit Schnups zum Arzt<br />

zu gehen.<br />

Sie fuhr mit der Bahn die alte Strecke. Im Haus<br />

lehnte ein Fahrrad im Flur, das sie nicht kannte.<br />

Es machte ihr nichts aus, dass Kalluweit aus dem<br />

Zahn um Zahn<br />

Erdgeschoss sie als Abtrünnige nicht mehr grüßte.<br />

Wie schön war ihre neue Gegend. Sie klingelte,<br />

suchte den Schlüssel unter der Matte, rief: »Ich!«<br />

Im Korridor sah es aus wie im Krieg. Ein <strong>zusammen</strong>geklappter<br />

Rollstuhl neben der Tür, unter<br />

der Wandlampe gestapelte Kisten. Ihr Kochlöffel<br />

ragte hervor, ein Reibeisen; obenauf lag ihr vermisster<br />

Hut. Die Garderobe hing voll mit Jacken,<br />

die sie ausgesucht hatte, dass nicht einmal er<br />

sich drin gefallen konnte. Aber dergleichen hatte<br />

ihr Gerhard nicht bemerkt.<br />

»Sag nichts«, rief er, als sie reinkam. Niemand<br />

hatte sein Zeug ge<strong>was</strong>chen: Hemd und Hose waren<br />

übersät mit Flecken. Rätselhefte lagen durcheinander<br />

mit Gurkenschalen und Pillen. Es stank.<br />

»Wo ist das Tier?«, sagte sie knapp; sie hatte<br />

nicht vor, diese Luft einzuziehen.<br />

Enttäuscht zeigte er zum Schuhkarton am Fenster.<br />

»Soll ich’s einschläfern lassen, oder ist Schnupsis<br />

Gesundung dir <strong>was</strong> mehr wert?«<br />

»Brüh doch mal Kaffee, Gundi!« Er machte Anstalten,<br />

sich aus dem Sessel zu stemmen, fiel<br />

aber zurück, faltete kraftlos die Hände vor der<br />

Brust. Er hatte begriffen, dass er sie dazu nicht<br />

kriegen würde.<br />

Sie tätschelte ihm die Wange. »Betest du für<br />

Schnups, mein Schäfchen?«<br />

Gerhard drehte sich ächzend ein, zog zwei Hunderter,<br />

sagte: »Reicht vielleicht.«<br />

★<br />

Es war nicht weit bis zur Praxis, zwei Querstraßen<br />

und über die Elbe, das war ohnehin ihr Weg. Sie<br />

hörte Krallen an der Pappe kratzen. Gerhard hatte<br />

hübsch mittig in den Deckel Löcher gebohrt. Sie<br />

nahm ihn ab auf der Brücke, sah sich um und<br />

stellte das Behältnis auf die Brüstung. Schnups<br />

richtete sich auf in der Brise. Sie sah sofort, dass<br />

bloß die Zähne geschliffen werden müssten;<br />

Schnups sah, dass Gundi nicht Gerhard war.<br />

Rainer Klis<br />

Zeichnung: Kat Weidner<br />

EULENSPIEGEL 11/13 55

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