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people | Interview<br />
→ Wie gut kennen Sie inzwischen die Stadt?<br />
Wie war es für Sie, sich hier einzuleben?<br />
Man ist sehr schnell zu Hause. Man fühlt, dass<br />
man in Europa ist. <strong>Berlin</strong> ist eine Stadt, wo<br />
alles einfach ist: die Verbindungen, die Funktionalität,<br />
die Vielfalt. Es passieren überall so<br />
viele Dinge, dass man gar nicht alles entdecken<br />
kann. Ich muss ehrlich zugeben, dass<br />
meine Frau bisher viel mehr entdecken konnte<br />
als ich und dies nicht zuletzt wegen der<br />
tollen Organisation des Auswärtigen Amtes<br />
»Willkommen in <strong>Berlin</strong>«, bei der sie von Ratgebern<br />
für Frauen von Diplomaten profitiert<br />
hat. Auch hat sie jetzt selbst eine »deutsche<br />
Konversationsgruppe« für Frauen von Diplomaten<br />
gegründet. Wir haben hier eine sehr<br />
nette Nachbarschaft und der <strong>Berlin</strong>er macht<br />
die Kontaktaufnahme einfach. Die Grünflächen<br />
in dieser Stadt sind einfach fantastisch,<br />
zur Erholung sehr gut geeignet und deshalb<br />
so gut besucht. Es ist ein Geschenk, in <strong>Berlin</strong><br />
zu leben.<br />
→ Wie erleben Sie die Stadt und die <strong>Berlin</strong>er?<br />
Die Stadt <strong>Berlin</strong> funktioniert besser als andere<br />
europäische Hauptstädte, weil sie »polyzentrisch«<br />
ist, also mehrere Zentren besitzt. Man<br />
hat nicht das Gefühl, immer nach Mitte oder<br />
ins Stadtzentrum und abends zurück nach<br />
Hause zu müssen, wie das zum Beispiel in<br />
Brüssel der Fall ist. Das liegt auch daran, dass<br />
jeder Bezirk seine eigene Dynamik und ein<br />
eigenes Handelszentrum besitzt.<br />
Das Bemerkenswerteste am <strong>Berlin</strong>er ist<br />
seine Lässigkeit – alles funktioniert irgendwie.<br />
Es gibt viel Unangepasstheit, die der Stadt<br />
ein jugendliches Flair im täglichen Leben gibt.<br />
Was mich immer wieder beeindruckt, ist die<br />
Intensität, mit der die <strong>Berlin</strong>er feiern können,<br />
sei es bei einer Sportveranstaltung oder anderen<br />
großen Festen, wie beispielsweise auf<br />
der Biermeile. Und die frenetische Begeisterung,<br />
die bei Sport- und anderen Ereignissen<br />
im Olympia-Stadion herrscht und die ich bis<br />
in meine Residenz in Charlottenburg hören<br />
kann. Nicht zuletzt sollte man auch die Silvesterfeier<br />
am Brandenburger Tor erwähnen, wo<br />
sich etwa eine Million Menschen, Touristen<br />
und <strong>Berlin</strong>er, gemeinsam versammeln, um<br />
das neue Jahr zu begrüßen.<br />
→ Was sind Ihre liebsten Plätze/Theater/<br />
Restaurants etc. in der Stadt?<br />
Unsere Botschaft liegt glücklicherweise in<br />
der Nähe des Gendarmenmarktes. Und wenn<br />
ich morgens zur Botschaft fahre, komme ich<br />
Chefredakteur Frank Nehring und Janine Pirk-Schenker im Gespräch mit Botschafter Renier Nijskens.<br />
immer am Brandenburger Tor vorbei. Dabei<br />
bekomme ich immer noch eine Gänsehaut,<br />
wenn ich an die historischen Ereignisse denke.<br />
Zu meiner Entspannung gehe ich gern ins<br />
Grüne, an die Seen oder auch in den Botanischen<br />
Garten in Dahlem. Die Themen-Ausstellungen<br />
im Deutschen Historischen Museum<br />
faszinieren mich immer wieder. Und erst<br />
die vielen künstlerischen Darbietungen in der<br />
Philharmonie oder im Konzerthaus: einfach<br />
grandios!<br />
Was die Restaurants betrifft, möchte ich<br />
gerne Neues in dieser Stadt entdecken, wo die<br />
Kreativität im gastronomischen Bereich doch<br />
erstaunlich hoch und sehr erschwinglich ist.<br />
→ Es heißt, Belgien hat die höchste Dichte von<br />
Restaurants mit Michelin-Sternen im Verhältnis<br />
zu den Einwohnern. Wir denken sofort an<br />
Pralinen, belgische Waffeln, delikaten Käse,<br />
Kriek, … Vermissen Sie diese Esskultur in<br />
Deutschland?<br />
Ich möchte zu allererst feststellen, dass in<br />
<strong>Berlin</strong> viele gute belgische Produkte erhältlich<br />
sind. Und was wir hier nicht finden, lassen wir<br />
regelmäßig aus Belgien kommen. Außerdem<br />
achte ich stets darauf, unseren Gästen ein<br />
Menü anzubieten, dass der belgischen Gastronomie<br />
zur Ehre reicht. Ich denke da zum<br />
Beispiel an Kochen mit Bier, an die enorme<br />
Vielfalt von belgischem Käse, an Schlemmernachtische<br />
usw. Aber eines ist sicher: Die<br />
deutsche Küche kennt eine außergewöhnliche<br />
Kreativität. Die jungen Küchenchefs werten<br />
ihren Einfallsreichtum auf, in dem sie den<br />
Geschmack betonen und Gerichte kreieren,<br />
die nicht nur sehr gut aussehen, sondern auch<br />
sehr gut schmecken. Also, um es kurz zu sagen,<br />
ich vermisse nichts.<br />
Steckbrief<br />
Renier Nijskens<br />
• 1949 geboren in<br />
Dinant, Belgien<br />
• verheiratet, zwei verheiratete Kinder<br />
• Studium der Politik- und Sozialwissenschaften<br />
an der Katholischen Universität Löwen,<br />
Schwerpunkt: Internationale Beziehungen<br />
• 1976 –1987: Verschiedene diplomatische<br />
Positionen in Kinshasa, Kuwait, Tunis und<br />
Ottawa<br />
• 1987–1990: Botschafter von Belgien in<br />
Niger und Burkina Faso<br />
• 1990 –1994: Direktor der Abteilung Naher<br />
Osten und Nordafrika im belgischen Außenministerium<br />
• 1994 –1998: Botschafter von Belgien in<br />
Kenia und Uganda/Sondergesandter für die<br />
Region der Großen Seen<br />
• 1998 –2000: Botschafter von Belgien in<br />
Korea<br />
• 2000 –2004: Botschafter von Belgien im<br />
Kongo<br />
• 2007–2011: Direktor der Abteilung Asien<br />
und Ozeanien bzw. Afrika im belgischen<br />
Außenministerium<br />
• seit März 2011: Botschafter von Belgien in<br />
der Bundesrepublik Deutschland<br />
• Fremdsprachen: Englisch, Französisch,<br />
Niederländisch, Deutsch, Arabisch und<br />
Portugiesisch<br />
→ Herr Botschafter, wir danken Ihnen für das<br />
Gespräch.<br />
Das Interview führten Frank Nehring und<br />
Janine Pirk-Schenker.<br />
Fotos: Thorsten George<br />
12 <strong>Berlin</strong>.<strong>Friedrichstraße</strong> Nr. 4 <strong>2013</strong>